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Deutschland vor zähem Machtpoker - Rösler tritt nach FDP-Desaster zurück

Nach der Bundestagswahl steht Deutschland ein langwieriger Machtpoker bevor.
Nach der Bundestagswahl steht Deutschland ein langwieriger Machtpoker bevor. ©AP (Themenbild)
Kanzlerin Merkel ist die strahlende Siegerin. Doch eine dominante Union könnte mögliche Koalitionäre abschrecken. Der bisherige Regierungspartner FDP liegt am Boden.
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Deutschland steht nach dem Wahltriumph von Kanzlerin Angela Merkel vor einem wochenlangen Machtpoker. “Deutschland braucht eine stabile Regierung”, sagte die CDU-Vorsitzende am Montag. Eine von SPD oder Grünen tolerierte Minderheitsregierung lehnte sie damit ab.

Merkel leitet Sondierungsgespräche mit SPD ein

Die CSU peilt eine große Koalition an. SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich offen für Sondierungsgespräche mit der Union, betonte aber, es gebe “keinen Automatismus in Richtung große Koalition”. Noch sperriger gaben sich die Grünen. Auch in Hessen deuteten sich nach der Landtagswahl vom Sonntag schwierige Koalitionsverhandlungen an.

FDP-Fiasko: Rösler nimmt den Hut

Als Konsequenz aus dem historischen Debakel seiner Partei trat FDP-Chef Philipp Rösler einen Tag nach der Wahl zurück.

EPA
EPA ©EPA

Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Christian Lindner steht als Nachfolger schon in den Startlöchern. Neben Rösler trat die gesamte FDP-Spitze ab. Auch die Grünen-Führung stellte ihre Ämter nach den deutlichen Verlusten vom Sonntag zur Verfügung.

Gespräche mit Grünen nicht ausgeschlossen

Merkel sagte, sie habe bereits “einen ersten Kontakt” mit Gabriel gehabt. Dieser habe darauf verwiesen, dass die SPD ihren Konvent zur Lage nach der Wahl abwarten wolle. Auch Gespräche mit den Grünen seien nicht ausgeschlossen, ließ Merkel erkennen. In der CSU-Spitze gebe es “überhaupt keine Bereitschaft” für ein Bündnis mit den Grünen, machte hingegen CSU-Chef Horst Seehofer in München deutlich. Die CSU peile eine große Koalition an. Auch führende Grünen-Politiker äußerten sich über ein Bündnis mit der Union skeptisch.

Schwarz-rote Neuauflage durchaus realistisch

Realistischste Option dürfte – auch angesichts starker inhaltlicher Differenzen zwischen Union und Grünen – die Neuauflage der schwarz-roten Koalition aus den Jahren 2005 bis 2009 sein.

Union kratzt an absoluter Mehrheit

Die Union hatte die Bundestagswahl mit einem Ergebnis knapp unterhalb der absoluten Mandatsmehrheit gewonnen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis liegt Rot-Rot-Grün rechnerisch mit acht Stimmen vor der Union. Ein solches Bündnis wird von der SPD-Spitze klar abgelehnt. Auf dem linken Flügel wächst allerdings der Widerstand gegen eine große Koalition. Die SPD hatte am Sonntag mit 25,7 Prozent ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit 1949 erzielt.

Gabriel: “Liegt nicht an uns”

SPD-Chef Gabriel betonte: “Es liegt nicht an uns, für Mehrheiten zu sorgen, sondern an Frau Merkel.” Es gebe keine Vorfestlegungen für eine Regierungsbildung. Fragen nach “roten Linien” in möglichen Koalitionsverhandlungen ließen Gabriel wie Merkel offen. Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kündigte an, er werde sein Mandat als SPD-Abgeordneter wahrnehmen.

FDP-Wiederauferstehung fraglich

Der 34 Jahre alte FDP-Bundesvize und nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Christian Lindner kündigte eine Rundumerneuerung seiner schwer angeschlagenen Partei an. Ziel sei es, die FDP 2017 wieder zurück in den Bundestag zu führen. Die Partei ist nach ihrer 4,8-Prozent-Schlappe zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht mehr im Bundestag vertreten. Die neue FDP-Spitze soll noch in diesem Jahr gewählt werden.

Damit hat der neue Hoffnungsträger eine Herkulesaufgabe vor sich – mit offenem Ende. Organisatorisch, finanziell und personell stehen der einst stolzen und selbstbewussten Partei schwere Zeiten bevor. 

Die schnelle Entscheidung auf den künftigen Vorsitzenden und die Rücktritte von Präsidium und Bundesvorstand am Montag sollten vor allem Ruhe in die frustrierte und verunsicherte Parteibasis bringen und ein erstes Signal der Erneuerung senden. Die FDP will ihre Anhänger damit bei der Stange halten und Chaos vermeiden.

Wiederaufbau aus “Trümmern und Ruinen”

Der Partei steht nun ein Wiederaufbau aus “Trümmern und Ruinen” bevor, wie der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki anmerkte. Dies kann jedoch nur über die Landesverbände funktionieren, denn eine Bundestagsfraktion gibt es nicht mehr. In neun von 16 Landtagen sind die Liberalen noch vertreten, aber nur noch in Sachsen in der Regierung. Lindner macht in Düsseldorf eine engagierte Oppositionsarbeit. Hoch angerechnet wird ihm in der Partei, wie er die nordrhein-westfälische FDP im vergangenen Jahr trotz miserabler Umfragewerte mit unerwarteten 8,6 Prozent wieder in den Landtag führte.

Grüne wählen Führungsspitze vorzeitig neu

Die Grünen-Chefs Claudia Roth und Cem Özdemir kündigten an, die Führungsspitze werde beim Parteitag im Herbst vorzeitig neu gewählt. Die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin ließen ihre politische Zukunft offen. Der langjährige Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, kündigte an, nicht mehr für das Amt antreten zu wollen.

Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Linkspartei und Grünen kommen an diesem Dienstag zu den ersten Sitzungen nach der Wahl zusammen. Auch dort dürften die Konsequenzen aus dem Wahlausgang im Zentrum der Beratungen stehen.

Große Koalition: der Favorit der Wirtschaft

Die Wirtschaft favorisiert eine große Koalition. Damit werde Deutschland als Euro-Retter weiterhin eine Hauptrolle spielen. Einzige Sorge von Ökonomen und Analysten: Dass CDU/CSU und SPD sehr lange brauchen, um sich nach vier Jahren Pause zu einer erneuten Zusammenarbeit zusammenzuraufen. Die Finanzmärkte reagierten kaum auf die sich abzeichnende Fortsetzung der Kanzlerschaft Merkels. Das Resultat sei an den Märkten schon vorausgesehen worden.

AfD kämpft um Einzug ins EU-Parlament

Die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) will nach ihrem knappen Scheitern auf Bundesebene nun um den Einzug ins Europaparlament und in ostdeutsche Landtag kämpfen. “Ich sehe große Chancen im kommenden Jahr”, sagte Parteichef Bernd Lucke.

Regierungsbildung in Hessen

In Hessen zeichnete sich nach der Landtagswahl eine monatelange komplizierte Regierungsbildung ab. “Hessen braucht eine stabile Regierung”, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Seine Partei erhielt zwar erneut die meisten Stimmen, doch seine Koalition mit der FDP verlor ihre Mehrheit. Ebenso wenig reicht es für Rot-Grün, die Linke könnte im Wiesbadener Landtag den Ausschlag geben. “Das ist ein schwieriges Ergebnis, das hat sich kein Mensch gewünscht. Es wird keine schnelle Lösungen geben”, sagte der hessische SPD-Vorsitzende Schäfer-Gümbel dem Sender hr-iNFO.

(dpa/ red)

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