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"Kinder ohne Kindheit scheitern"

Landarzt und Bestsellerautor Günther Loewit fordert: „Wir müssen unsere Kinder aus dem goldenen Käfig entlassen!“
Landarzt und Bestsellerautor Günther Loewit fordert: „Wir müssen unsere Kinder aus dem goldenen Käfig entlassen!“ ©Pixelkinder
Landarzt und Bestseller-Autor Günther Loewit kommt zur ersten Abendveranstaltung der "Buch am Bach".

Für alle, die am Dienstagabend, 25. Juni, 19.30 Uhr, noch nichts vorhaben, für den gibt es jetzt einen ganz besonderen Tipp. Die VN laden zum Vortrag mit Landarzt und Günther Loewit zum Thema „Wir schaffen die Kindheit ab“.  Neugierig? Vorab ein Interview mit dem 61-Jährigen, der die Kindern aus ihrem goldenen Käfig holen will. Denn flügge werden sie nur, wenn sie vorher fliegen lernen.

Was hat Sie bewogen ein Buch mit dem Titel „Wir schaffen die Kindheit ab!: Helikoptereltern, Förderwahn und Tyrannenkinder“ zu schreiben?

Günther Loewit: Zuerst habe ich ein Buch übers Sterben geschrieben. Ich habe mir die Frage gestellt, warum wir mit dem Sterben ein Problem haben? Die Antwort ist, wir haben ein Problem mit dem Loslassen, weil hinter uns nichts nachkommt. Als ich ein junger Arzt war, starben alten Menschen ­­­am Ende ihres Lebens. Heute geben wir 93-Jährigen Chemos, die sie endgültig umbringen. Wussten Sie, dass die letzten drei bis sechs Lebensmonate eines Menschen das Sozialsystem genauso viel kosten, wie das ganze Leben zuvor? Wenn wir diese Summen verwenden würden, um es jungen Leuten zu geben, die ein Kind kriegen wollen, bin ich überzeugt, dass es mehr Kinder gäbe.

Das heißt, wir schaffen nicht nur die Kindheit, sondern auch die Kinder ab?

Günther Loewit: Auf eine österreichische Mutter kommen 1,2 Kinder. Aber ohne Kinder sind wir zum gesellschaftlichen Untergang verurteilt. Und ohne lebendige Kindheit sind unsere wenigen Kinder zum Scheitern verurteilt. Es beschäftigt mich deshalb sehr, dass wir ungeheure finanzielle Ressourcen in das Verhindern von Sterben investieren, anstatt entsprechende familien- und kinderfreundliche gesellschaftliche Grundlagen zu schaffen.

Kinder ohne Kindheit: Was bedeutet das für die Zukunft unserer Gesellschaft?

Günther Loewit: Eine schwere Frage. Wir leben bereits in einer überalterten Gesellschaft. Kinder sind rar und  gelten deshalb als kostbar. Das hat zur Folge, dass der Nachwuchs überproportional beschützt und behütet wird.

Beschützen und behüten klingt eigentlich gut?

Günther Loewit: Ja, wenn es in einem gesunden Verhältnis stünde. Doch eine überproportionale Behütung schafft eine abgeschirmte und unnatürliche Atmosphäre. Die Kinder haben keine Chance, sich in diesem „goldenen Käfig“ auszuprobieren, hinzufallen, wieder aufzustehen und von vorne anzufangen. Das gehört jedoch zum Kind sein dazu und ist die Basis für das spielerische Erlernen von Lebenskompetenz wie beispielsweise Frustrationstoleranz. Nur dann können sie als Erwachsene Krisen und Niederlagen auch erfolgreich meistern. Dasselbe gilt für Begabungen. Wer nicht lernt, in sich hinein zu hören und sich auszuprobieren, kann keine Fähigkeiten an sich entdecken.

Wie geht es diesen Kindern ohne Kindheit, wenn sie einmal erwachsen sind?

Günther Loewit: Ich bin bald 40 Jahre Arzt, aber ich hatte noch nie so viele junge Patienten, die mit den einfachen Anforderungen des Alltags nicht zurechtkommen. Sie können weder mit Spannungen in Beziehungen noch mit Druck am Arbeitsplatz umgehen. Überbehütet wirkt lähmend, nicht beflügelnd.

Was raten Sie Eltern, die ihren Kindern die Kindheit zurückgeben wollen. Welche „Medizin“ würden Sie Ihnen verschreiben?

Günther Löwit: Da gibt es eine schnelle Antwort: Geschwister!

Welche Rolle spielen Bilder- und Kinderbücher? Können Sie Kindern ein Stück Kindheit geben?

Günther Loewit: Eine riesige Rolle. Täglich sage ich Eltern in meiner Ordination: Nehmen Sie Ihren Kindern das Handy weg und geben Sie ihnen ein Buch. Bilder- und Kinderbücher erklären die Welt auf kindlichem Niveau. Sie stellen Fragen, geben Antworten, erklären, laden zum Entdecken ein. Das abendliche Vorlesen im Bett waren die schönsten Stunden mit meinen Kindern. Vorlesen ist Kommunikation und Beziehung. Bilder- und Kinderbücher sind aus meiner Sicht förderungswürdig und notwendig. Sie fördert die Bandbreite des Denkens. Wir fangen in der Mathematik ja auch nicht mit schwierigen Gleichungen mit Variablen an.

Ihr Buch ist im September 2016 erschienen. Würden Sie es wieder genauso schreiben? Welches Wissen konnten Sie in diesen drei Jahren zusätzlich erwerben?

Günther Loewit: Man würde ein Buch nie mehr gleich schreiben. Heute würde es noch provokanter und mutiger sein. Also noch mehr anecken. Und ich habe auch zwei weitere Manuskripte finalisiert. Im Frühjahr 2020 erscheint ein weiteres Buch mit dem Titel: „Sieben Milliarden für nichts: meine Erfahrungen als Landarzt mit dem österreichischen Gesundheitssystem.“ Im Verlag Edition A und im Herbst 2020 eines mit dem Titel „Sehnsucht Unsterblichkeit: Der Aufstieg der Medizin zur Religion“ bei Goldegg.

Zur Person

  • Name: Dr. Günther Loewit
  • Beruf: Arzt
  • Alter: 61 Jahre
  • Familie: verheiratet, 3 Kinder (20, 22 und 24 Jahre alt)
  • Hobbys: Mein Leben ist mein Hobby!

Vortrag „Wir schaffen die Kindheit ab“

  • Datum: Dienstag, 25. 9. 2016 um 19.30 Uhr
  • Ort: Kulturbühne Ambach, 6840 Götzis
  • Karten: Der Eintritt beträgt 5 Euro, Karten sind an der Abendkassa erhältlich. Der Reinerlös geht an die VN-Aktion „Ma hilft“. VN-Abonnenten erhalten gegen Vorlage der VN-Vorteilskarte zwei Karten zum Preis von einer.

(Red.)

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