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"Es ist nie zu spät"

Ulrike Unterthurners Faszination gehört dem lebenslangen Lernen.
Ulrike Unterthurners Faszination gehört dem lebenslangen Lernen. ©Laurence Feider
"Erwischt war gestern"

Gespräch über Basisbildung und Analphabetismus mit Ulrike Unterthurner, Leiterin der Stadtbücherei.

Dornbirn. Noch bis zum 25. März kann man in der Dornbirner Stadtbücherei die Wanderausstellung “Erwischt war gestern. Basisbildung: die beste Entscheidung” besichtigen. Sie erzählt von den größten Hürden und Hindernissen und den großen wie kleinen Erfolgen der KursteilnehmerInnen des abc-Basisbildungszentrums in Salzburg.

Was erwartet den Besucher bei der Ausstellung?
Unterthurner: Das Tolle an dieser Ausstellung ist, dass sie aus Sicht der Betroffenen erzählt. Auf 14 Hörstationen kommen sie zu Wort und erzählen wie sie durch mangelnde Lese- und Schreibfähigkeit von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und dem bestehenden Arbeitsmarkt großteils ausgeschlossen sind. Sie erklären wie sie im Alltag an Formularen und Fahrplänen scheitern und zu Meistern im Vertuschen werden. Die Ausstellung schildert aber auch wie diese Menschen dank Basisbildungskursen die Chance zum Nachlernen genutzt haben und wie viel Lebensqualität sie dadurch gewonnen haben.

Was hat Sie dazu bewegt diese Ausstellung nach Dornbirn zu holen?
Unterthurner: Ich denke, dass wir als Bücherei die Verantwortung haben, Angebote für alle Menschen unabhängig ihres Bildungsstandes zu haben. Wir möchten auch für die “Unsichtbaren” da sein und ihnen Anreize und Motivationen bieten, sich ihrem Bildungsdefizit zu stellen und persönlich zu wachsen. Die Ausstellung soll ihnen das Gefühl vermitteln “Ich stehe nicht allein da, meine Situation ist nicht beschämend”. Für uns alle ist es interessant zu reflektieren wie sich jemand in unserer Welt zurechtfindet, der den Code des Zeichensystems nicht beherrscht.

Wie groß ist das Problem des Analphabetismus in Vorarlberg?
Unterthurner: In Vorarlberg gibt es rund 30000 Menschen die oft trotz absolvierter Schulpflicht nicht über ein erforderliches Mindestmaß an Lese- und Schreibfähigkeit verfügen. Entgegen einer landläufigen Meinung ist diese Gruppe sehr heterogen, sowohl in Bezug auf Alter, soziale Stellung und berufliche Qualifikation. Migranten spielen nur eine untergeordnete Rolle und fallen als Nichtlesende nicht auf. Großteils betrifft es Menschen die hier aufgewachsen sind.

Wie kann es passieren, dass jemand trotz neun Jahren Schulpflicht nicht richtig lesen und schreiben kann?
Unterthurner: Die Gründe sind vielfältig und liegen im schulischen, sozialen und familiären Umfeld. Gerade in den ersten acht Schuljahren sind fürsorgliche Lehrer das Um und Auf. Ich möchte ihnen jedoch nicht den “schwarzen Peter” zuschieben, oft versagt auch das Umfeld und die Familie. Anstelle intensiver Förderung erleben manche Kinder mit Lernschwierigkeiten Abwertungen und Demütigungen die in einer lebenslangen Unsicherheit münden. Ich befürchte, dass das Problem weiter zunimmt, da Schüler zusehends allein gelassen werden und durch uneingeschränkten Medienkonsum das konzentrierte Lesen und Schreiben verlernen.

Wie kommt die Ausstellung bei den Besuchern an?
Unterthurner: Was mich persönlich sehr freut ist, dass schon viele Jugendliche -unter anderem der Berufsschule- und interessierte Lehrerinnen die Ausstellung besucht haben. Für Gruppen biete ich persönliche Führungen an und dabei kommt es zu spannenden Diskussionen. In jeder Gruppe kannte bis jetzt mindestens einer jemanden der nicht richtig lesen und schreiben kann. Hier ist die Mund-zu-Mund-Propaganda ungemein wichtig, bitte erzählen Sie den Menschen in Ihrer Umgebung von der Ausstellung und den Basisbildungsprogrammen!

Welche weiteren Projekte und Themenschwerpunkte wird es in Zukunft in der Stadtbücherei geben?
Unterthurner: Letzte Woche hat das neue Kinderprogramm “Geschichten die sich gewaschen haben” mit monatlichen Leseabenteuern gestartet. Demnächst steht eine Stadtführung mit blinden und sehbeeinträchtigen Menschen auf dem Programm, sowie verschiedene Schreibwerkstätten und Lesungen wie z.B. mit der Vorarlberger Autorin Doris Rüdisser. An der Umweltwoche vom 29. Mai bis 2. Juni werden wir uns auch wieder mit verschiedenen Aktionen beteiligen. Längerfristig planen wir für Herbst/Winter einen Themenschwerpunkt über Medienkunde und -pädagogik für Eltern, Politiker und Jugendliche.

Zur Person
Ulrike Unterthurner
Familie: ein Sohn (15J) und eine Tochter (11J)
Ausbildung: Geschichtsstudium in Innsbruck und Leipzig, Ausbildung zur Bibliothekarin
Beruf: seit 1991 Leitung der Dornbirner Stadtbücherei, nicht als “Bücherverwalterin” sondern als “Vermittlerin”
Hobbies: “Alles was mit Lernen zu tun hat”, Lesen, Reisen, Joggen, am See spazieren gehen u.v.m.
Derzeitiges Lieblingsbuch: “Die 15 Gebote des Lernens” von Peter Struck
Motto: “Ich möchte die Menschen dabei unterstützen ihren eigenen Weg zu gehen.”

An den Vorarlberger Volkshochschulen gibt es zahlreiche Grundbildungs-Angebote für Erwachsene. Informationen und Beratung gibt es beim “ALFA-Telefon Vorarlberg” unter Tel.: 0664 3281000.

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