Wer ist die heilige Kümmernis?

Hittisau. 500 Jahre wurde eine Frau am Kreuz als Heilige und Heilerin verehrt. Bekannt ist sie hierzulande als heilige Kümmernis. Sie trägt ein langes Kleid und: einen Bart. Die Figur hat sich immer wieder auf unterschiedliche Weise als Projektionsfläche für die Anliegen verschiedenster gesellschaftlicher Gruppierungen geeignet. Nicht zuletzt trägt Conchita Wurst viele Züge der Heiligen. Gestern wie heute stellt die Figur eine Allegorie der Befreiung und Toleranz dar.
Die neue Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau „Frau am Kreuz – Von der mittelalterlichen Heiligen zur Pop-Ikone“ möchte eine Bestandsaufnahme zur Kultfigur der Frau am Kreuz quer durch die Jahrhunderte abgeben. Sie zeigt das außergewöhnlich breite Spektrum auf, in dem das Motiv auftaucht und geht auf geschichtliche, theologische und soziale Aspekte ein. „Mich hat an dieser Ausstellung der Aspekt eines Menschenbildes interessiert, das geschlechterinklusiv ist. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander hat schon immer das Denken, Fühlen und Handeln einer Gesellschaft entscheidend beeinflusst. Um Frauengeschichte zu verstehen, müssen wir auch Geschlechtergeschichte verstehen”, so die Leiterin des Frauenmuseums Stefania Pitscheider Soraperra.
Beliebter Kult
Seit etwa Mitte des 15. Jahrhunderts breitete sich der Kult der heiligen Kümmernis viceversa von Norden kommend weit nach Süden aus. Hunderte schriftliche und ikonographische Zeugnisse belegen dessen Beliebtheit in Bayern, Tirol und Vorarlberg. Die Anrufung der heiligen Kümmernis war oft ein Notschrei von Frauen mit Gewalt- oder Inzesterfahrungen. Nach einer Legende begehrte der Vater die Tochter „in unnatürlicher Liebe“.
Das Motiv der Frau am Kreuz erfuhr im Laufe der Geschichte unterschiedlichste Interpretationen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die Heilige besonders verehrt. Doch wird die Kultfigur der heiligen Wilgefortis/Kümmernis derzeit neu entdeckt. In unterschiedlichsten Zusammenhängen begegnen wir ihr in der Kunst, der Pop-Kultur, der Werbung, der Politik.
Die heilige Kümmernis zeigt manchmal einen weiblichen, meist jedoch einen intersexuellen Körper am Kreuz. Ihr Kult wurde bislang von der Wissenschaft unter frauenspezifischen, nicht aber unter postgender-Aspekten – das heißt auf ihre Zwei- bzw. Mehrgeschlechtlichkeit hin – untersucht. Dabei sprengt gerade diese Kultfigur starre Geschlechtergrenzen. Die Ausstellung widmet sich auch diesem Aspekt.
Ausstellung
FRAU AM KREUZ
Von der mittelalterlichen Heiligen zur Pop-Ikone
31. März bis 20. Oktober 2019
Öffnungszeiten
Mittwoch: 14 bis 17 Uhr
Donnerstag bis Sonntag: 10 bis 17 Uhr
Öffentliche Führung
Jeden Montag, 18 Uhr
Jeden 1. Sonntag im Monat, 17 Uhr
Kuratorin: Dr.in Ulrike Wörner