Das Thema der Tagung, ob Wirtschaftswachstum sozial verträglich, nachhaltig und umweltfreundlich sein kann, erscheine angesichts der Gegenwart mit ihren täglichen Hiobsbotschaften über Finanzkrise, Rezessionsgefahr und trübe Wirtschaftsaussichten im Allgemeinen geradezu überambitioniert, räumte Vizekanzler Außenminister Spindelegger (V) in seiner Eröffnungsrede ein. Die Tagung wird heute, Freitag, mit Expertendiskussionen fortgesetzt.
Europa bemühe sich diesbezüglich um eine ausgewogene Balance, brauche aber dennoch Wachstum. Daher müsse Europa auch über seine Grenzen hinausschauen und in Fragen wie Ökologie und sozialer Verträglichkeit an die Zukunft denken. Das sei eine große Herausforderung, angesichts der sozialen Probleme mancher EU-Mitgliedsstaaten. “Die Menschen, die auf die Straße gehen, weil sie um ihr Überleben Sorge haben, fragen nicht, ob Wirtschaftswachstum nachhaltig und umweltverträglich sein soll”, so Spindelegger. “Sie wollen nur, dass es überhaupt ein Wachstum und eine Perspektive für die Zukunft gibt.”
Ähnlich sieht die Lage wohl in weniger entwickelten Teilen der Erde aus. Wie in Indien, wo die Mehrheit der Bevölkerung in ihren Häusern beispielsweise keine Versorgung mit elektrischem Strom hat. So stellte Lydia Powell von der “Observer Research Foundation” in ihrem Tagungspapier über die aufstrebende Wirtschaftsmacht klar, dass in Indien ein Wachsen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Allheilmittel für alle Lebensbereiche angesehen wird, für soziale und politische Probleme und sogar für den Umweltbereich.
Ähnliche Erkenntnisse wurden in Studien über China oder Afrika gefunden. Fazit: Soziale Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit wird erst dann in weiten Teilen der Welt eine Priorität erlangen, wenn Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend mit Fortschritt und Entwicklung gesehen wird.
In Deutschland oder Österreich herrsche trotz der Krise bereits die Erkenntnis vor, dass “Wachstum nicht um jeden Preis” erreicht werden müsse, zitierte Liz Mohn, Vize-Chefin der Bertelsmann-Stiftung aus einer für die diesjährigen Ausgabe des “Trilogs” erstellten Untersuchung. Europa müsse aber über seinen Tellerrand blicken, um wettbewerbsfähig zu bleiben: “Globale Fragen bedürfen globaler Antworten.”
“Und Europa muss zusammenhalten”, forderte Mohn. Ein gutes Beispiel seien die Olympischen Sommerspiele in London gewesen, wo die EU, wäre sie als eine Mannschaft aufgetreten, die Medaillenwertung angeführt hätte. Ein Aspekt, den Außenminister Spindelegger wohlweislich nicht aufgriff. Das medaillenlose Österreich wäre in so einem Fall ja bekanntlich ein heißer Rettungsschirmkandidat gewesen…
Spindelegger empfängt in Salzburg führende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Diplomatie. So ist die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ebenso gekommen wie die Außenminister von Aserbaidschan und Georgien. Mit Willem Kok (Niederlande), Iveta Radicova (Slowakei) und Wolfgang Schüssel (V) sind auch drei ehemalige Regierungschefs in Salzburg dabei. Schüssel fungiert dabei als Kuratoriumsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, die laut Eigendefinition “frühzeitig gesellschaftliche Herausforderungen identifizieren sowie exemplarische Lösungsmodelle entwickeln und verwirklichen” will.
Auch WTO-Generalsekretär Pascal Lamy wird teilnehmen, ebenso UNIDO-Generaldirektor Kandeh K. Yumkella. Angesichts der Finanzkrise und des Heranwachsens neuer Wirtschaftsmächte, etwa aus dem asiatischen Raum oder Lateinamerika, müssten neue Wege beschritten werden, welche umweltverträglich sind und einer weiteren Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken, so das Credo vor der Veranstaltung, die am Donnerstag mit einem Abendessen begonnen hat. Eine besondere Herausforderung sei durch das unehrenhafte Verhalten von Banken beim Streben nach Profiten entstanden, heißt es in einem Thesenpapier. Dies habe für Empörung gesorgt und die Forderung nach Regulativen nach sich gezogen. (APA)
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