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Mariazellerbahn in NÖ entgleist: Prozess vertagt

Im Juni entgleisten zwei Waggons der Mariazellerbahn in NÖ.
Im Juni entgleisten zwei Waggons der Mariazellerbahn in NÖ. ©APA/EINSATZDOKU.AT/ED STEYRER
Nach einem Zugunfall mit 32 Verletzten auf der Mariazellerbahn im Vorjahr hat sich der Triebwagenführer am Mittwoch in St. Pölten vor Gericht verantworten müssen. Die Anklage lautet auf grob fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Gemeingefährdung. Der Prozess wurde allerdings auf unbestimmte Zeit vertagt.
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Eine “Himmelstreppe” der Mariazellerbahn war am 26. Juni 2018 im Raum Völlerndorf in der Gemeinde Gerersdorf (Bezirk St. Pölten-Land) entgleist, die hinteren Wagen fuhren auf die vordere Garnitur auf. Von den rund 80 Passagieren wurden vier schwer und 28 leicht verletzt. Der Schaden lag im zweistelligen Millionenbereich, wegen Aufräum- und Reparaturarbeiten war die Strecke bis 2. Juli gesperrt.

“Nach dem Ergebnis der Untersuchungen, der Ermittlungen und der Sachverständigengutachten ist festzuhalten, dass keinerlei technische Probleme am Zug bestanden haben”, hielt Staatsanwalt Leopold Bien in seinem Eröffnungsvortrag fest. “Nach einer streckenkonformen, unauffälligen Fahrt, bei der alle Geschwindigkeitsbeschränkungen genau eingehalten wurden”, hätte der Triebwagenführer vor einer Kurve das Tempo von 70 auf 35 km/h verringern müssen, so der Vertreter der Anklagebehörde. Dieses Bremsmanöver habe der Beschuldigte nicht vorgenommen. “Über eine signifikante Zeitspanne von fast 20 Sekunden” habe er “gar keine Bedienhandlung vorgenommen”. Als eine Warneinrichtung im Zug unmittelbar vor der Kurve ein akustisches Signal abgab, habe der Triebwagenführer darauf reagiert und eine “nicht mehr situationsadäquate, rein elektrische Verzögerungsbremsung eingeleitet, keine Notbremsung”, wurde dem 26-Jährigen eine falsche Bedienhandlung vorgeworfen. Der Zug verringerte sein Tempo auf 62 bis 64 km/h, dadurch kippte der erste Triebwagen und zwei nachfolgende prallten dagegen.

Laut Gutachten keine Bewusstseinstrübung

Ein Gutachten sei zum Schluss gekommen, dass eine vom Angeklagten geschilderte Bewusstseinstrübung “nicht sein kann”, sagte Bien. Der Staatsanwalt verwies auch darauf, dass der Beschuldigte auf das Warnsignal reagiert und eine Verzögerungsbremsung gesetzt hatte. “Entweder man ist im Blackout oder man ist nicht im Blackout und handlungsfähig. Eine Mittelvariante ist nicht möglich”, so Bien. So bleibe nur der Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit. Zwei Privatbeteiligten-Vertreter machten Beträge von 10.000 bzw. 2.500 Euro an Schmerzengeld bzw. Schadenersatz für Verletzte geltend. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Mann, der unbescholten ist, in der Einzelrichterverhandlung bis zu zwei Jahre Haft.

Der Zugunfall habe für den Angeklagten ein “fürchterliches, einschneidendes Erlebnis” bedeutet, sein Mandant sei ein “überaus korrekter, genauer und penibler” Mensch, sagte der Verteidiger. Der Beschuldigte sei mit den Bremsfunktionen der Triebwagengarnitur “bis ins kleinste Detail vertraut” und habe seit dem Jahr 2014 ungefähr 1.400 bis 1.500 Fahrten auf der Mariazellerbahn absolviert, er habe die Strecke “im kleinen Finger”. Den Eintritt der Bewusstseinstrübung, durch die der Triebwagenführer nicht zurechnungsfähig gewesen sei, könne sich sein Mandant “bis heute nicht erklären”. Die Frage beschäftige den 26-Jährigen “Tag und Nacht”. Eine Ablenkung beispielsweise durch ein Mobiltelefon komme nicht infrage, verwies der Rechtsanwalt auf entsprechende Untersuchungen. Es sei auszuschließen, dass der Angeklagte die Bremsung bewusst gesetzt habe. Ein Verschulden seines Mandanten sei auszuschließen, beantragte der Verteidiger einen Freispruch.

Triebwagenführer: “Auf einmal war ich weg”

Der 26-jährige Angeklagte gab am Mittwoch im St. Pöltner Prozess an, sich nicht mehr an den Zugunfall auf der Mariazellerbahn erinnern zu können. “Auf einmal war ich weg. Wie ich wieder langsam zu mir gekommen bin, war es schon zu spät. Da ist der Zug schon auf der Seite gelegen.” Was dazwischen war, könne er nicht mehr sagen.

Nach dem Unfall hatte er seinen Angaben zufolge versucht aufzustehen, weil er sich schwach fühlte. “Ich habe Kräfte gesammelt, damit ich überhaupt einmal aufkomme”, dann habe er die Fahrdienstleitung angerufen. Der Triebwagenführer selbst wurde bei dem Unfall leicht verletzt – er trug Blutergüsse und Schürfwunden davon. Insgesamt erlitten mehr als 30 Personen Blessuren, vier davon schwere.

Der Richter wollte wissen, wie es dem Angeklagten heute gehe. “Mich macht das schon fertig”, sagte der Beschuldigte. Er mache sich Gedanken, “warum das genau mir passieren muss”. Als Triebwagenführer zu arbeiten, “das war schon immer mein Traum”. Auf die Frage, wie er sich die Zukunft vorstelle, meinte der 26-Jährige: “Keine Ahnung.”

Der Mann hatte 2013 begonnen, bei der Niederösterreichischen Verkehrsorganisationsgesellschaft (NÖVOG) zu arbeiten. Nach dem Unfall im Juni des Vorjahres war er nicht mehr als Triebwagenführer tätig, sondern in der Werkstatt. Er wird nach Angaben des Betreibers wegen eines anderen Vorfalls, der in keinem Zusammenhang mit dem Unfall steht, das Unternehmen verlassen.

Zeugen im Falle des Zugunglücks in NÖ

“Kurz vor der Kurve habe ich mir gedacht: Bist du fertig, der legt sich heute ziemlich in die Kurve”, schilderte ein 24-Jähriger. Als er in der umgekippten Bahngarnitur zu sich kam, sei er am Boden gelegen. Ein anderer Fahrgast habe das Fenster eingeschlagen, wodurch Passagiere aus dem Zug klettern konnten. Der junge Mann war wegen Brüchen von Rippen und Schlüsselbein nach dem Unfall zwei Monate im Krankenstand.

Eine 19-Jährige erzählte, sie sei auf dem Weg in die Arbeit gewesen und habe den Kopf gegen das Zugfenster gelehnt und die Augen geschlossen gehabt. Die Glasscheibe sei bei dem Unfall zu Bruch gegangen. “Menschen haben geschrien”, schilderte die Zeugin. “Es ging alles sehr schnell.” Die junge Frau war mit Prellungen vom Hubschrauber in ein Wiener Krankenhaus geflogen worden. Eine gleichaltrige Zeugin, die sich im umgekippten Wagen befand, zog sich ebenfalls Prellungen zu.

Drei Schwerverletzte bei Unfall mit Mariazellerbahn

Ein weiterer Passagier hatte mehrere Brüche, eine Gehirnerschütterung und Luftröhrenverletzungen erlitten. Nach dem Unfall “gingen die Lichter aus bei mir, dann weiß ich nichts mehr”, sagte der Mann im Zeugenstand. Erst am nächsten Tag kam er in der Intensivstation zu Bewusstsein, zwei Wochen verbrachte er im Krankenhaus. “Die Schmerzen gingen über Monate.” Der Mann schloss sich mit 10.000 Euro als Privatbeteiligter am Verfahren an, die Summe wurde vom Angeklagten – wie auch die anderen Geldforderungen von Verletzten – nicht anerkannt.

Der Beschuldigte habe von einem “Gedächtnisverlust” bzw. “Kreislaufversagen” gesprochen, sagte der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Richard Billeth. Erkrankungen und Alkoholkonsum wurden als Ursache ausgeschlossen. Der Gutachter bezeichnete es als “unwahrscheinlich, dass ein gesunder junger Mann aus sitzender Position einen Kreislaufkollaps erleiden soll, der so stark ist, dass er das Gedächtnis völlig verliert”, dadurch hätte der 26-Jährige bewusstlos sein müssen. “Diese Möglichkeit halte ich für extrem unwahrscheinlich.” Auf das sogenannte Sifa-Horn habe er nach 0,62 Sekunden durch Betätigen des Sifa-Pedals reagiert und dann eine manuelle Bremsung eingeleitet, “ein Bewusstloser kann das nicht machen”. Deshalb schloss der Gutachter ein Kreislaufproblem des Beschuldigten ebenfalls aus.

Der Sachverständige aus dem Bereich Eisenbahnwesen, Thomas Strassmayer, hielt zu einer Untersuchung von Zug und Oberbau fest: “Es lagen keine technischen Störungen vor.” Laut Analyse des Fahrtenschreibers sei die “Himmelstreppe” regelkonform unterwegs gewesen, das habe sich aber dann “schlagartig geändert”: “Dann passt eigentlich gar nichts mehr” – mit Ausnahme des kurzzeitigen Entlastens des Sifa-Pedals. Der 26-Jährige habe die Geschwindigkeitstafel mit 35 km/h nicht beachtet und vor der Kurve keine Bremsung durchgeführt. “Alle 400 Meter verlangt das Fahrzeug einen Impuls, um die Aktivität des Triebfahrzeugführers festzustellen”, erklärte der Gutachter, deshalb sei das Sifa-Horn ertönt. Daraufhin habe der Angeklagte das Sifa-Pedal kurzzeitig entlastet und wieder gedrückt. Die Bremsung sei nicht normenkonform durchgeführt worden.

Prozess um Zugunfall in NÖ wurde vertagt

Der Prozess um einen Zugunfall auf der Mariazellerbahn ist am Mittwochnachmittag am Landesgericht St. Pölten auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Laut dem Richter soll ein internistisches Gutachten eingeholt werden. Ein Sachverständiger soll dabei abklären, ob der Triebwagenführer vor dem Unfall eine Synkope, also eine rasch einsetzende Ohnmacht, erlitten haben kann.

(APA/Red)

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