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Jung und alt unter einem Dach

Bregenz - Nachbarschaftshilfe statt Pflegeheim: Die 59 Bewohner der Bregenzer "Lebensräume für Jung und Alt" sind im Alltag füreinander da.

Ob beim Kochen, Einkaufen oder Babysitten: Die drei Generationen im Haus profitieren voneinander.

In der Bregenzer Mariahilfstraße 44 leben drei Generationen unter einem Dach. Kinder, Erwachsene und Senioren bewohnen die 38 Appartements der “Lebensräume für Jung und Alt.” Die Siedlung gehört zum Sozialzentrum Mariahilf. Gemeinnütziger Träger ist die St. Anna Hilfe. Das Besondere an der bunten und modernen Wohnanlage: Nachbarschaftshilfe ist hier nicht nur ein Wort. Die 59 Mieter unterstützen sich. Beim Einkaufen, Babysitten und auch bei der täglichen Pflege.

Neven Adamovic wohnt mit seiner Familie seit der Eröffnung im Jahr 2004 in dem Wohnblock. Seine Frau und er arbeiten im Pflegebereich. “Von daher haben wir keine Scheu vor älteren Menschen”, sagt er. Ihren 86-jährigen Nachbarn haben die beiden betreut, bis es zu Hause nicht mehr ging. Der 34-Jährige hat dem Pensionisten Spritzen gesetzt und darauf geachtet, dass er seine Medikamente regelmäßig nimmt.

“Meine Frau und ich sind zweimal am Tag zu ihm hinüber gegangen. Er konnte nicht mehr raus und hat sich über jedes Gespräch gefreut.” Unterstützung unter Nachbarn ist für Neven nichts Ungewöhnliches. “Wir kommen aus Kroatien, da ist es üblich, dass man sich hilft.” Die Anwohner revanchieren sich bei ihm, wenn sie auf dem Spielplatz auf seine beiden Kinder aufpassen. Jung und Alt profi – tieren voneinander.

Ältere bleiben länger mobil

Ein Ziel der Lebensräume ist, dass die Älteren länger mobil bleiben können und ihre Pfl egebedürftigkeit hinaus gezögert wird. “Durch die Nachbarschaftshilfe werden immense Pflegekosten eingespart”, sagt Lebensräume-Gemeinwesenarbeiterin Beate Weinzierl-Bahl.

Aber: Keiner ist verpflichtet, sich einzubringen. Dass sich manche Bewohner zurückziehen, sei in Ordnung. Jeder steuert so viel zur Gemeinschaft bei, wie er eben will und kann. Sonja Aschauer tut viel für ein aktives Zusammenleben. Ihre Nachbarin, die an Krebs erkrankt war, hat sie bis zu deren Tod in ihrer Wohnung betreut. “Sie hätte sonst viel früher in ein Pflegeheim gemusst”, sagt die 58-jährige Bregenzerin.

Die Lebensräume für Jung und Alt sind bisher einzigartig in Österreich. Die Mieten der barrierefreien Wohnungen sind günstig, weil das Projekt durch die Stadt gefördert wird. Wer einziehen will, muss Österreicher sein und mindestens fünf Jahre in Bregenz gelebt haben. “Meine frühere Wohnung war mir einfach zu teuer”, sagt die 62-jährige Pensionistin Zita Kanik. In den Lebensräumen zahlt sie 7,50 Euro Warmmiete.

Zita ist die kreative Seele der Mariahilfstraße. Samstags trifft sie sich mit anderen Bewohnern und malt mit Öl- und Acrylfarben. Sie war auch die Initiatorin der Wohnhaus-Bücherei. Von Agatha Christie bis Ephraim Kishon: Die Büchersammlung im Keller lässt jedes Leserattenherz höher schlagen.

Für kulinarische Genüsse ist in den Lebensräumen Andreas Jörg zuständig. Vor seinem Autounfall galt der 29-Jährige als einer der aufstrebendsten Haubenköche Vorarlbergs. Heute sitzt er im Rollstuhl und schwingt mit großer Leidenschaft bei gemeinsamen Festen den Kochlöffel. Ob Spargel mit Speck, knackige Würstel oder ein leckeres Risotto: Andi hält sogar Kochkurse ab. “Die Mieter hier sollen von selbst aktiv werden. Das hält sie jung”, meint Beate Weinzierl-Bahl. Die Koordinatorin ist für die Fragen und Probleme der Bewohner da. Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten organisiert sie allerdings nicht. “Die Initiative muss von den Bewohnern ausgehen”, sagt sie. Die Selbstverantwortung soll den Mietern nicht genommen werden. Auch den Senioren nicht.

Der Jüngste 4, der Älteste 86

Die Altersspanne im Haus reicht von vier bis zu 86 Jahren. Probleme zwischen Jung und Alt gebe es nicht. Im Gegenteil. Die Älteren sagen, dass es in der Siedlung mit acht Kindern viel zu wenige von ihnen gibt. Bei schönem Wetter wird der Spielplatz in der Anlage zum Treffpunkt. Man sitzt zusammen, plaudert und lacht. Fast jeder kennt die Telefonnummer vom anderen. Wer Unterstützung braucht, meldet sich. Die Wege im Haus sind kurz. Im Notfall kommen die Nachbarn auch nachts im Pyjama vorbei.

Beate Weinzierl-Bahl findet: “Wichtig ist die Sicherheit: Ich kann jemanden fragen, wenn ich Hilfe brauche.” Das sei in anderen Wohnsiedlungen schon längst nichts Selbstverständliches mehr.

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