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Fischer: "Teuerung größtes Problem"

Schwarzach - Der Österreichische Bundespräsident Heinz Fischer erklärt im Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten", was die nächste Regierung alles zu lösen haben wird.

VN: Die Politik ist in eine Vertrauenskrise geraten. Was muss passieren, damit sie wieder herauskommt?
Fischer: Ich denke, es wird ein Bündel an Maßnahmen notwendig sein und es werden sich auch die Verhaltensweisen der Politiker grundsätzlich ändern müssen. Wenn man sich gegenseitig immer wieder die unfreundlichsten Dinge an den Kopf wirft, dann entsteht in Summe natürlich ein negatives Klima. Zweitens muss man schauen, dass das, was man sagt und das, was man tut, übereinstimmt. Und drittens muss man die Probleme, die man angeht, auch tatsächlich lösen. Ein Problem in Angriff zu nehmen und dann ungelöst liegen lassen, wie das z.B. bei der Verfassungsreform der Fall war, ist schlechter als ein Problem gar nicht in Angriff zu nehmen.

VN: Wie würden Sie nach diesem Ende der Großen Koalition einer Neuauflage gegenüberstehen?
Fischer: Die Große Koalition hat momentan keinen berauschenden Rückenwind in der Bevölkerung. Aber sie von vornherein auszuschließen wäre sicherlich ein Fehler. Abgesehen davon müssen wir zuerst einmal schauen, welche Kombinationen nach der Wahl überhaupt möglich sind und dann in einem zweiten Schritt ausloten, welche Parteien gewillt und in der Lage sind, ein gemeinsames Arbeitsprogramm zustande zu bringen.

VN: Wäre ein Vizekanzler Strache tragbar?
Fischer: Ich würde es für einen Fehler des Bundespräsidenten halten, den Politiker A, B oder C während des Wahlkampfes als nicht tragbar zu bezeichnen: Außerdem wird der eine oder andere ohnehin nie für eine Regierungsfunktion vorgeschlagen.

VN: Ist Rot-Blau denkbar?
Fischer: Ich glaube, ich kürze diesen Teil des Gespräches ab, indem ich sage, dass ich den Spielraum, der für den Bundespräsidenten am Tag nach der Wahl gegeben ist, nicht vor der Wahl noch kleiner machen möchte, indem ich ohne jede Not voreilige Festlegungen vornehme.

VN: Sie könnten sich den gesamten Spielraum offen lassen, wenn Sie erklären, dass alle gewählten Parteien regierungsfähig sind.
Fischer: In eine Pauschalfeststellung könnte hineingeheimnist werden, dass der Bundespräsident gewillt ist, alles so rennen zu lassen, wie es läuft. Das wäre nicht korrekt, denn ich bin an der bestmöglichen Regierung interessiert.

VN: Warum sind Sie bereit, über ein Mehrheitswahlrecht zu diskutieren?
Fischer: Ich glaube, dass es nach der Wahl einen tiefgehenden Nachdenkprozess über bestmögliche Lösungen für die weitere politische Entwicklung geben muss. Zu sagen, es ist alles optimal, wäre Realitätsverweigerung. Wir müssen selbstkritisch vieles überprüfen und dürfen in einer solchen Diskussion keinen Vorschlag von ernstzunehmenden Leuten zurückweisen. Bundeskanzler Gusenbauer hat beispielsweise angeregt, den Bundeskanzler mit einer Richtlinienkompetenz gegenüber anderen Regierungsmitgliedern auszustatten. Ich kann nicht sagen, dass ich davon überzeugt bin. Aber ich bin einverstanden. Das gilt auch für eine Diskussion über das Wahlrecht.

VN: Soll es einen Konvent geben, der solche Fragen erörtert?
Fischer: Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie man das am besten diskutieren kann. Aber dass sich die nächste Bundesregierung damit beschäftigen muss, ist klar.

VN: Trauen Sie Molterer und Faymann einen Neubeginn nach der Wahl zu? Der eine ist immerhin schon Vizekanzler, der andere Regierungskoordinator.
Fischer: Meine Aufgabe ist es nicht, zu disqualifizieren und negative Vorurteile über Spitzenpolitiker zu verstärken. Sondern umgekehrt: Ich möchte Ermunterung geben und helfen, Gegensätze zu überwinden. Ich spekuliere nicht auf Negatives, ich hoffe auf die positive Überraschung. Ich möchte versöhnen und nicht spalten.

VN: Was sind die größten Probleme der Bevölkerung, die die nächste Regierung lösen muss?
Fischer: Die Frage der Teuerung ist ins Spitzenfeld der Probleme gerückt. Die Pflege beschäftigt uns schon seit etlichen Jahren. Auch die Realeinkommensentwicklung einschließlich der Arbeitsplätze bleibt eine große soziale Herausforderung. Wir müssen außerdem unser gemeinsames Europaverständnis festigen und entwickeln. Und schließlich würde ich Bildung und Wissenschaft zu den großen Aufgaben zählen. Wenn die nächste Regierung in diesen fünf Bereichen überzeugende Lösungen zustande bringt, dann hätten wir eine spürbare Verbesserung der Stimmung erreicht.

VN: Was aber kann die Politik gegen die Teuerung tun?
Fischer: Meine Aufgabe ist es nicht, konkrete Vorschläge zu machen. Aber ich wünsche, dass man ein Gefühl dafür hat, wie sehr die sozial Schwachen durch die überproportionalen Preissteigerungen in Bedrängnis geraten und dass man daher handeln muss. Experten haben schon zahlreiche Vorschläge gemacht: Der Wirtschaftsforscher Felderer hat sich dafür ausgesprochen, sich mit der Mehrwertsteuer für sensible Produkte zu beschäftigen. Die Arbeiterkammer hat in einer Studie darauf hingewiesen, dass Lebensmittelpreise in Österreich teilweise höher sind als in Deutschland und auch Maßnahmen angeregt, wie man auf gleiches Niveau kommen könnte. Außerdem registriere ich, dass wenige Stunden nach einer Ölpreiserhöhung auch der Benzinpreis steigt; umgekehrt dauert es länger. Wünschenswert wäre es, dass Preiserhöhungen und Preissenkungen nicht mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten an die Konsumenten weitergegeben werden.

VN: Sie haben die Europapolitik erwähnt: War der SPÖ-Schwenk kontraproduktiv?
Fischer: Zu diesem Leserbrief habe ich in der Öffentlichkeit schon sehr sorgfältig und präzise Stellung genommen. Und die Frau Außenministerin hat meine Stellungnahme im Parlament zustimmend zitiert.

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