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"Ein paar Jährchen will ich noch leben!"

Lochau - 100 Jahre hat Josef Dworschak aus Lochau bereits auf dem Buckel. Als der Jubilar ein Kind war, fuhren auf den Straßen noch Pferdekutschen statt Autos.

Zum hundertsten Geburtstag bekam der Jubilar unter anderem sieben Flaschen Cognack geschenkt. Denn seine Lieben wissen, dass er jeden Abend einen heißen Tee mit einem anständigen Schuss Cognack trinkt. „Vorbeugend, denn ich bin erkältungsanfällig“, so Josef Dworschak.

Sonst ist er mit seiner Gesundheit aber im Großen und Ganzen zufrieden. Die Beine tragen ihn noch. Und auch sein Geist ist noch wach und klar. Zum Beweis erklärt der ehemalige Ingenieur der NEUE am Sonntag den Satz des Pythagoras. Dessen hätte es gar nicht bedurft, denn im Gespräch mit dem „Sonntag“ beweist der Mann, der vor hundert Jahren in Nordmähren geboren wurde (dieses Gebiet gehörte damals noch zur österreichungarischen Monarchie), dass sein „Hirnkastel“ noch hervorragend funktioniert. Auch sein Gedächtnis ist noch fabelhaft. So kann sich der alte Mann sogar noch gut an seine Kindheit erinnern, obwohl die mehr als 85 Jahre zurückliegt.

Schiefertafel statt Heft

Dworschak wuchs in Brüsau, einer Stadt in Mähren, auf. Dort verlebte er nach eigenen Angaben eine sorgenlose Kindheit. Als er eingeschult wurde, schauten die Schulutensilien noch anders aus als heute. „Es gab noch keine Papierhefte und Bleistifte. Wir schrieben mit einem Schieferstab auf einer Tafel mit Holzrahmen. An diese war ein Schwamm und Lappen angehängt, damit wir das Geschriebene wieder löschen konnten.“

Bis zum Herbst 1913 brannten auch noch Petroleumlampen in den Schulen. Doch dann hielt die Elektrizität Einzug in den Schulen und Privathäusern. „Ich erlebte staunend, wie bei uns die ersten elektrischen Lampen erleuchtet wurden“, erzählt Dworschak. Und: „Es war ein Ereignis. Ein Haus ums andere erstrahlte im Licht. Das faszinierte uns so sehr, dass wir in Gruppen von Haus zu Haus gingen und zusahen, wie das erste Mal Licht aufblitzte.“

Zur Schule lief der Bub immer zu Fuß. Anno dazumal war der Schulweg aber noch sicherer als heute. „Auf der Straße war noch wenig Verkehr. Denn es gab noch keine Autos. Nur die Pferdekutschen oder -Schlitten der Fabrikanten und reichen Bauern waren unterwegs. Im Winter war das ganz romantisch“, so der Rentner.

Der Bub war noch nicht lange eingeschult, als der Erste Weltkrieg ausbrach. „Unsere Lehrer mussten einrücken. Danach hatten wir Lehrerinnen“, so Dworschak, der sich vor allem noch an das Fräulein Bös erinnern kann. „Die war aber nicht bös, sondern ganz nett.“ Strafen teilte sie nur aus, wenn einer ganz schlimm war. „Dann hat sie dem Schüler mit einem Stock einen Klaps auf die Hand gegeben.“

Dem Siebenjährigen war bewusst, dass Krieg war. „Hinter unserem Haus verlief die Eisenbahnstrecke. Plötzlich fuhren den ganzen Tag Transporte mit Soldaten, Waffen und Pferden vorbei.“ Der Bub winkte ihnen begeistert zu. Manchmal blieben die Züge auch stehen. „Dann wurden die Soldaten von den Frauen mit Kuchen und Broten bewirtet.“

Mit Göring im Zimmer

Dworschak erinnert sich auch an „kolossale Einschränkungen“ während des Krieges. „An zwei Tagen der Woche durfte kein Fleischgericht auf den Tisch kommen. Und zum Frühstück durften wir kein Brot essen. Das wurde von Kommissionen streng überprüft.“ Hunger musste er aber nicht leiden, „denn mein Großvater hatte eine Landwirtschaft.“

Das Gedächtnis lässt den rüstigen Senior im Gegensatz zu den Augen nicht im Stich. Dworschak berichtet von seinem Studium der Elektrotechnik, von seiner Arbeit in einer Maschinenfabrik in Brünn. Dort arbeitete er bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieg, als Ingenieur. Dann musste er einrücken. Zunächst kam er nach Krakau, dann nach Berlin. Dort wurde er als Kurier eingesetzt. Nicht unerwähnt lassen möchte er, „dass ich neben Hermann Göring im Zimmer gesessen bin.“

Im Krieg verwundet

Der Krieg ging weiter. Im Zuge der Ardennenoffensive lernte er ihn von seiner schlimmsten Seite kennen. Als Feldwebel oblag es ihm, die Toten und Verwundeten „aufzusammeln“. Allein der Gedanke daran sorgt bei ihm noch heute für eine Gänsehaut. Aber Dworschak erging es besser als so manchem anderen. Er überlebte den Krieg leicht verwundet.

Doch in seine zerstörte Heimat konnte er nicht mehr zurück. Die Deutschen wurden aus dem Sudetenland vertrieben. „Die Heimat war verloren. Das war ein schwerer Schlag für mich.“ Dworschak kam bei seiner Schwester in Dornbirn unter. In Bregenz fand der Ingenieur eine Arbeitsstelle, die ihm so gut gefiel, dass er dort bis zur Pensionierung blieb.

Dworschak hält im Redefluss inne, trinkt einen Schluck Kaffee. Der Rückblick auf sein Leben hat ihn leicht erschöpft. „Mein langes Leben war sehr schön“, resümiert er aber dann, „nur die beiden Kriege hätten nicht sein sollen.“ Nachsatz: „Schmerzlich war auch der Verlust der Heimat und der Tod unseres einzigen Sohnes. Er fehlt uns sehr.“

Trotzdem: Dworschak lebt noch immer gerne. „Ich möchte noch drei bis vier Jahre zusammen mit meiner Frau leben.“ Der 100-Jährige möchte nicht vor seiner Frau gehen. „Denn ich möchtÑ sie nicht allein lassen mit ihrem Pech, das sie gehabt hat.“ Seit seine Frau Gisela (85) gestürzt ist, kann sie nicht mehr gehen. „Ich sitze morgen, mittags und abends bei ihr am Bett.“

Die zwei alten Leute sind froh, dass sie einander noch haben. Nie hätten sie gedacht, dass ihnen so viele gemeinsame Jahre geschenkt sein würden. Dworschak rechnete damit, „dass ich höchstens 85 Jahre alt werde“. Jedes weitere Jahr habe er dann aber natürlich freudig begrüßt.

Und wie erklärt er sich, dass er nun bereits die 100 überschritten hat? „Ich hab vernünftig gelebt, hab nie geraucht, mich viel an der frischen Luft bewegt und mich gesund – mit viel Gemüse – ernährt.“

Beim Interview mit dem „Sonntag“ ist Josef Dworschak ganz in seinem Element. Mit viel Temperament schildert der 100-Jährige Episoden aus seinem Leben. Seine Frau Gisela (im Hintergrund) hört zu.

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