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Belgrad bereitet sich auf nationalistische Großdemo vor

In Belgrad sind die Bürger am Dienstagabend zu einer Großkundgebung gegen die Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic aufgerufen. Auftreten soll auch Luka Karadzic, der Bruder des Haager Angeklagten.

Die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) als Organisator rechnete mit mehreren Zehntausend Demonstranten. Unterstützt wird die “Allserbische Versammlung gegen das verräterische Diktatorenregime von Boris Tadic” von der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des abgewählten Premiers Vojislav Kostunica. Die Polizei hat die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Der serbische Minister für Arbeit, der in der Regierung auch für die Zusammenarbeit mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal zuständig, sieht einen “dramatischen Anstieg politischer Spannungen” im Zusammenhang mit der Festnahme des Ex-Präsidenten der bosnischen Republika Srpska. Eine Reihe höchster Staats- und Regierungsvertreter hätten ernstzunehmende Drohungen “aus dem Ausland” erhalten. “Was am schlimmsten ist, ist die Entstehung eines sehr schlechten politischen Klimas, des schlechtesten seit dem Mord an Premier (Zoran) Djindjic (im März 2003, Anm.)”, so Rasim Ljajic zur bosnischen Tageszeitung “Dnevni avaz”. Das Belgrader Sondergericht für Kriegsverbrechen wartet unterdessen weiter auf Karadzic’ Berufungsantrag gegen die Auslieferung an Den Haag. Der laut dem Anwalt des Haager Angeklagten kurz vor Ablauf der Einspruchsfrist am Freitag aufgebene Brief war auch am Dienstagnachmittag nicht eingelangt. Wie lange das Gericht auf den Antrag noch warten will, kann es selbst entscheiden. Im Gesetz ist lediglich die Rede von einer “vernünftigen Frist”. Beobachter sprechen mittlerweile von einer Verzögerungstaktik des Karadzic-Anwalts.

Weil die Auslieferung noch aussteht – bis Montagabend hatte Justizministerin Snezana Malovic eine entsprechende Anordnung jedenfalls nicht unterzeichnet – hat auch die EU ihre Entscheidung über mögliche Handelserleichterungen für Serbien erneut vertagt, wie aus Brüsseler Ratskreisen verlautete. Die EU-Außenminister hatten in der Vorwoche angesichts der Verhaftung von Karadzic die Botschafter in Brüssel beauftragt, diesen Schritt zu prüfen. Während Außenministerin Ursula Plassnik (V) sich dafür ausgesprochen hatte, ein Interimsabkommen in Kraft zu setzen und das Ratifizierungsverfahren für das umfassende Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) einzuleiten, hatten die französische EU-Ratspräsidentschaft, die Niederlande und Belgien klar gemacht, dass sie von Belgrad die Festnahme weiterer Kriegsverbrecher erwarten. Dabei geht es insbesondere um den flüchtigen früheren bosnisch-serbischen General Ratko Mladic.

Karadzic bereitet sich indes in der Belgrader Haft weiter auf seine Verteidigung in Den Haag vor, die er selbst übernehmen will. Seit sechs Jahren arbeite er daran und sei nun bemüht, ein beschlagnahmtes Notebook und 50 Disketten von der serbischen Polizei zurückzubekommen, auf denen er seine Verteidigung gespeichert haben soll, schilderte sein Anwalt Svetozar Vujacic. Darunter sollen auch fotokopierte Dokumente des Generalstabs der bosnisch-serbischen Truppen sein, die eigentlich als vernichtet galten. Karadzic werde sich nicht gleich bei seinem ersten Auftritt vor dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen zur Anklage äußern, kündigte Vujacic zudem an. Das Haager Gericht wirft Karadzic in elf Punkten Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen das Kriegsrecht vor.

Karadzic als “Dragan Dabic” zeigt ein in Belgrad aufgetauchtes neues Video bei einer Feierlichkeit am 22. Juni in Novi Banovci unweit der serbischen Hauptstadt. Unter den Gästen der Privatklinik “Fruchtbarkeit” (Plodnost) waren bekannte Ärzte, Künstler, Journalisten, aber auch einige Diplomaten. Keiner erkannte in dem Mann mit weißem Vollbart, Brille und einem hellen Hut den jahrelang flüchtigen Haager Angeklagten.

Bekannt wurde am Dienstag auch, dass der serbische Geheimdienst bereits seit Jahren über einen Hinweis verfügte, wonach Karadzic als Wunderheiler mit langem weißen Haar und Vollbart in Belgrad lebte. Dies bestätigte der ehemalige BIA-Chef, Goran Petrovic, noch am Montag dem TV-Sender “Avala”. Allerdings widersprechen sich Angaben, woher die Information kam. Laut Petrovic sei der Hinweis 2003 von einem ausländischen Nachrichtendienst gekommen, ein ranghoher Polizeifunktionär sagte der Tageszeitung “Press” (Dienstag-Ausgabe): “Erst vor rund zwei Monaten, als wir begonnen haben, ‘Dragan Dabic’ zu observieren, wurde im Archiv auch die im Jahre 2002 verfasste Notiz entdeckt.” Die Angabe eines Informanten “Z.” – welche auch die Namen dreier serbischer Geschäftsleute enthalten habe, die Karadzic damals finanziell unterstützten – wurde demnach als “unseriös” verworfen und nicht einmal geprüft.

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