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Atomstreit in deutscher Regierung

Der Streit innerhalb der deutschen Regierung über die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke spitzt sich zu. Offener Dissens zwischen Umweltminister Gabriel und Kanzleramt.

Im Gegensatz zu Kanzleramt und Wirtschaftsministerium lehnte Umweltminister Sigmar Gabriel am Freitag einen Antrag des Konzerns RWE auf Übertragung von Reststrommengen des stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich auf die hessische Anlage Biblis A ab. Der Energieversorger will die Übertagung notfalls gerichtlich erzwingen.

Der SPD-Minister lehnte den RWE-Antrag als Verstoß gegen das Atomgesetz ab und betonte seine alleinige Zuständigkeit für diesen Schritt. Eine Übertragung von Strommengen von Mülheim-Kärlich sei nach dem Atomvertrag von 2001 nur für bestimmte namentlich genannte Kraftwerke möglich. Biblis A gehöre nicht dazu. Der endgültige Bescheid werde nach Ablauf einer Entgegnungsfrist im April oder Mai ergehen.

Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg sagte jedoch, Kanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium hielten die Übertragung der Reststrommengen für möglich. RWE stehe der Klageweg offen. Steg betonte, an der Rechtsgültigkeit der Ablehnung durch das Bundesumweltministerium ändere die unterschiedliche Einschätzung nichts.

Der Chef der Kraftwerkstochter RWE-Power, Jan Zilius, sagte in Essen, nach Überzeugung des Konzerns bestehe ein gesetzlicher Anspruch auf die Strommengenübernahme. Damit solle der Weiterbetrieb von Biblis A bis 2011 sichergestellt werden, statt den Reaktor wie vorgesehen 2008 vom Netz zu nehmen. Der Weiterbetrieb sei technisch uneingeschränkt möglich, sicherheitstechnisch voll verantwortbar und wirtschaftlich geboten. „Wir werden deshalb weiter für Biblis A kämpfen“, sagte Zilius.

Gabriel berichtete, dass RWE seinen Antrag und damit seine Rechtsauffassung mit einem Rechtsgutachten untermauert habe. Dieses sei jedoch angesichts des Wortlauts des Atomgesetzes „rechtsfehlerhaft und abwegig“.

Die hessische Landesregierung unterstrich, dass Gabriels Ablehnung noch nicht das Ende sei. Umweltminister Wilhelm Dietzel forderte den Bundesminister auf, die hessische Atomaufsicht in die Entscheidung zur Zukunft von Biblis A einzubinden. Keine Behörde kenne die Anlage so gut wie das Wiesbadener Umweltministerium. Der CDU-Politiker warnte vor einer ideologischen Entscheidung.

Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer warf der großen Koalition absurdes Theater vor. Während Gabriel laut Gesetz zur Ablehnung des Verlängerungsantrags gezwungen sei, verhielten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos gegenüber der Rechtslage gleichgültig: „Sie ermutigen RWE zur Fortsetzung des wortbrüchigen Verhaltens“, erklärte er. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast erklärte: „Der Konsens hat damals ganz klar festgestellt, dass man auf alte AKW nichts übertragen darf.“

Demgegenüber warf die FDP-Fraktion Gabriel vor, er habe mit seiner Entscheidung Merkel blamiert. Energieexpertin Gudrun Kopp erklärte, während die Kanzlerin auf dem EU-Gipfel in Brüssel einen Kompromiss zu Gunsten deutlicher Absenkung von Treibhausgasen herauskämpfe, beharre Gabriel auf einem Kurs, der den gegenteiligen Effekt zur Folge habe. Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katherina Reiche, warnte vor eine energiepolitischen Sackgasse, wenn Laufzeitverlängerungen für bestehende AKWs nicht in Erwägung gezogen würden.

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