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Wenn Handyrechnungen explodieren

Neben dieser Telefonrechnung sieht selbst die wunderbare Brotvermehrung alt aus: 4.406 Gesprächsverbindungen mit einer Gesamtdauer von 76.569 Minuten und das alles in einem Zeitraum von 25 Stunden vertelefoniert. Kosten brutto: 15.348,96 Euro! Offensichtlich ein Abrechnungsfehler, ein Versehen? Mitnichten – behauptet jedenfalls der Netzbetreiber Orange.
Interview mit der AK Vorarlberg
Handy-Rechnungs-Opfer Björn

Organisierte Abzocke, Sicherheitslücken und/oder technische Ahnungslosigkeit – sagen Landeskriminalamt und AK Vorarlberg.

Björn Hölbling aus Feldkirch traf beinahe der Schlag, als er die Handy-Rechnung seines Netzbetreibers Orange öffnete: 15.348,96 Euro standen dort als Gesamtsumme. Für ihn als Hausmeister in einem Altenwohnheim war völlig rätselhaft, wie diese Summe entstehen konnte. Auch der angeforderte Einzelgesprächsnachweis brachte nur wenig Licht in die Sache: Innerhalb von 25 Stunden, vom 8. auf den 9. Jänner, war von seinem Handy-Anschluss aus 4406 Mal eine Verbindung zu einer kostenpflichtigen 0820er-Nummer aufgebaut und dabei fast 77.000 Minuten verbraucht worden. Eine für Herrn Hölbling unglaubliche Geschichte. Er wandte sich an seinen Netzbetreiber und erhielt eine beruhigende Nachricht: Er müsse die Summe nicht bezahlen. Nur einen Tag später dann der Schock: Die Service-Stelle von Orange meldete sich noch einmal. Herrn Hölbling wurde erklärt, die Überprüfung seines Falles habe ergeben, dass er die Kosten bewusst verursacht habe, die Rechnung sei daher zu begleichen.

Kein Einzelfall

Was an dieser Geschichte noch mehr erschreckt: Bei Herrn Hölbling handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Der Vorarlberger AK-Konsumentenberatung liegen aktuell zwei weitere Fälle vor, bei denen es jeweils um rund 10.000 Euro geht. Davon ist einer bereits erledigt: Telering zog die Forderung nach einer Intervention zurück. Es habe sich um einen Systemfehler gehandelt, so die offizielle Erklärung. Im anderen Fall, der ebenfalls einen Orange-Kunden betrifft, ist die Sache verzwickter: Der Kunde, Besitzer eines iPhones mit einem Orange-Datenpaket von 2 GB, hatte zwischen dem 7. und dem 24. Jänner insgesamt ein Datentransfervolumen von rund 8,5 GB verursacht, anschließend wurde der Anschluss von Orange gesperrt. Interessanterweise entstand der Großteil des Traffics bei einer einzigen durchgehenden Verbindung an einem Tag. Die Reaktion von Orange auf eine Intervention von AK-Konsumentenberater Paul Rusching macht die Sache noch verdächtiger: Man habe dem Kunden am 26. Jänner eine Gutschrift über netto 7.205,14 Euro angeboten – ein Restbetrag von rund 1.000 Euro sei aber zu bezahlen.

Zuerst Betriebe, jetzt Konsumenten

Wie bei der AK-Konsumentenberatung läuten derzeit auch bei Harald Longhi vom Landeskriminalamt alle Alarmglocken. Zwar kennt der erfahrene Fahnder solche Vorgangsweisen schon länger, allerdings waren sie bislang ausschließlich bei Betrieben zu beobachten: „Wir hatten vor etwa eineinhalb Jahren Fälle, bei denen Firmen Telefonrechnungen in Höhe von bis zu einer Million Euro erhielten, weil ihre Telefonanlagen von Profis gehackt worden waren. Seit einiger Zeit müssen wir feststellen, dass sich diese Angriffe vermehrt auch gegen Private richten.“

Im Fall von Björn Hölbling vermutet Longhi, dass der Feldkircher Opfer eines Phishing- oder eines Schadsoftware-Angriffes wurde. Die Täter dürften sich jedenfalls Zugang zur Web-Administration des Konsumenten verschafft und dort eine Telefonumleitung auf eine kostenpflichtige 0820er-Nummer eingerichtet haben. Per Computer wurden dann parallel zahlreiche Gespräche auf diese Nummer geleitet und so in kurzer Zeit enorme Kosten verursacht. Für Longhi ist klar, dass es für diese Machenschaften zweierlei Voraussetzungen braucht: „Erstens eine hohe kriminelle Energie, zweitens eine große Bandbreite an fachspezifischem Wissen, wo sich die Schwachstellen der Netzbetreiber befinden.“

Entsetzt über die Möglichkeiten zur Abzocke im Telekommunikationsbereich zeigt sich auch AK-Direktor Rainer Keckeis: „Für uns als Konsumentenschützer ist es vollkommen unverständlich, dass es überhaupt möglich ist, das Handy eines Privaten auf eine kostenpflichtige Nummer umzuleiten. Niemand würde so etwas tun, das wäre ja vollkommen schwachsinnig.“

Rechnungserstellung undurchsichtig, nicht nachvollziehbar

„Grundsätzlich sind Kostenerfassung und Rechnungserstellung der Mobilfunkbetreiber undurchsichtig und meist nicht nachvollziehbar“, weiß Konsumentenberater Rusching. Würden im Zuge von Urgenzen Kulanzangebote gelegt, dann müsse diesen in der Regel zugestimmt werden, bevor der Konsument überhaupt eine Rechnung erhält. Allerdings hilft auch die Standardrechnung meist nicht weiter, nicht einmal der Einzelgesprächsnachweis. „Dort werden zwar Verbindungen und verbrauchte Datenvolumen aufgelistet, der Kunde weiß aber nicht, welcher Internetdienst in Anspruch genommen wurde. Und an die Logfiles kommt man – wenn überhaupt – nur, wenn Einspruch bei der Regulierungsbehörde RTR eingelegt wird“, erklärt Rusching. Das birgt allerdings das Risiko, dass man die volle Rechnung zu zahlen hat, wenn man sich vor der RTR nicht durchsetzen kann. Und noch etwas ärgert die Konsumentenschützer: Die Netzbetreiber verdienen an den Umtrieben großteils mit, während sie andererseits jegliches Risiko auf den Kunden überwälzen, auch wenn die Sicherheitslücken in ihrer Verantwortung liegen.

Jedes Handy eine potenzielle Kostenfalle

Dass jedes Handy eine potenzielle Kostenfalle ist, darin sind sich Longhi und Rusching einig. Auch wenn keine Betrüger am Werk sind, verfangen sich Konsumenten gleich reihenweise in den technischen Fallstricken. „Wir haben jede Menge Rechnungen zwischen 800 und 2.000 Euro“ sagt dazu Paul Rusching. Nicht selten würden Kunden an ihrer technischen Ahnungslosigkeit scheitern. So auch in jenem Fall, als ein Vater versuchte, das soeben gedrehte Handy-Filmchen auf seinen E-Mail-Account zu schicken. Dies misslang mehrfach, weil vermutlich die Datei zu groß oder das Postfach voll war. Was der gute Mann nicht wusste: Sein Handy versuchte immer wieder, den Film abzuliefern und schickte das Datenpaket insgesamt 18 Mal vergeblich durchs Netz, obwohl der Kunde in der Annahme war, die Aktion abgebrochen zu haben. Ergebnis: Eine Rechnung über 1.808,56 Euro.

Absurdes Kostenverhältnis

Die horrenden Kosten, die so anfallen, stehen in keinem Verhältnis zur tatsächlich erbrachten Leistung, ärgert sich AK-Direktor Rainer Keckeis. Dabei sei es egal, ob die Kosten durch organisierten Betrug oder lediglich durch Übermengen entstehen. „Es kann doch nicht sein, dass zwei „vertragliche“ Gigabyte meinetwegen 30 Euro pro Monat kosten und sechs weitere 10.000 Euro, nur weil sie über den Vertrag hinausgehen. Meine Bank verlangt ja auch 15 Prozent Zinsen, wenn ich mein Konto überziehe und nicht 7000 oder 10.000 Prozent. Zudem müsse es technisch möglich sein, Datenübertragungen oder Telefonate zu stoppen, wenn Limits überschritten werden. Diese sollten nur dann wieder freigegeben werden, wenn der Kunde die Sperre selbst aktiv entriegelt. „Mich wundert auch, warum die Netzbetreiber untereinander kein Warnsystem haben, damit sofort reagiert werden kann, wenn kriminelle Angriffe auf ihre Netze bzw. ihre Kunden passieren“, sagt Direktor Keckeis. „Die Problembereiche müssten ihnen jedenfalls bekannt sein, gibt es doch eigene Foren im Internet, in denen sie sich austauschen und vorbereiten“, ergänzt Harald Longhi.

Konsumentenpolitische Forderungen der AK

  • Keine Möglichkeit, private Handys auf kostenpflichtige Nummern umzuleiten.
  • Verpflichtender Übertragungsstopp bei Überschreitung von Kostenlimits, Fortsetzung nur durch aktive Quittierung durch den Verbraucher.
  • Erbrachte Leistung und Kosten müssen in einem logischen Verhältnis stehen.
  • Kostenerfassung (Billing) und Rechnungserstellung müssen auch für Konsumenten nachvollziehbar sein.
  • Missbrauchsrisiko darf nicht ausschließlich beim Konsumenten liegen.

Interview mit Konsumentenschützer Paul Rusching von der AK Vorarlberg

Überhöhte Handyrechnungen, Interview mit Opfer Björn

Aussendung: AK Vorarlberg

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