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Mehr Bürgerrechte und Würde

VN-EXKLUSIVINTERVIEW: Vordenker Prinz Hassan bin Talal von Jordanien über eine neue Weltordnung. Der Präsident des "Club of Rome" geißelt Ausbeutung des Globus.    GlobalMarshallPlan

VN: Sie sind als Königliche Hoheit Präsident des Club of Rome. Warum engagieren Sie sich so sehr für Fragen der zukünftigen globalen Entwicklung?

Hassan: Für die Gestaltung der Zukunft gibt es kein Computerformular. In den frühen Siebzigerjahren ist der Club of Rome mit der Studie von Dennis Meadows „Die Grenzen des Wachstums“ berühmt geworden. Aktuelle Untersuchungen in Brüssel zeigen, dass Meadows zu 85 Prozent recht hatte. Nehmen wir die Umweltbelastung: 40 Billionen Tonnen hochgiftiger Schmutz werden pro Jahr in die Luft geblasen. Das hat den Club of Rome veranlasst, eine Reihe von Untersuchungen in Auftrag zu geben. Ein Ergebnis ist der globale Marshall Plan. Die Hoffnung ist, dass wir diese Entwicklung stoppen können.

VN: Schon gut, aber warum stellen Sie als Mitglied eines Königshauses sich an die Spitze?

Hassan: Das hat wenig mit der Herkunft zu tun. Jeder hat eine Vergangenheit. Wenn ich Prinz bin, habe ich eine königliche Vergangenheit, wenn ich in der Sowjetunion geboren bin, habe ich eine kommunistische. Wer an der Zukunft interessiert ist, muss aus der Erfahrung lernen. Wenn ich in die Zukunft schaue, dann haben wir ein Problem mit den Politikern, nicht mit der Politik. Sie denken von einem Tag auf den anderen. Politiker haben für eine kurze Periode, zum Beispiel vier Jahre, ein demokratisches Handlungsprogramm. Und die Institutionen sind damit beschäftigt, den Kuchen aufzuteilen. Sei dies nun die EU, Regierungen, die NGOs. Alle beschäftigen sich mit nationalen Budgets, jeder konzentriert sich auf kurzfristige Vorstellungen.

VN: In welchen Zeiträumen sollten wir denn denken?

Hassan: Ein Beispiel: Wenn Sie bis 2015 schauen, dann sehen wir in der westasiatischen Region von Indien bis Suez und Suez bis Marokko, im mittleren Osten und Nordafrika einen Beschäftigungsbedarf für 100 Millionen Menschen, die Arbeit brauchen.

VN: Hat uns das hier im Herzen Europas zu interessieren?

Hassan: Wir sprechen von den populärsten, den ärmsten und gefährlichsten Regionen der Welt. Wenn Sie mich auf meine königliche Abstammung ansprechen: Im Nahen Osten haben große Dynastien wie die Babylonier, die Phönizier die Kultur geprägt. Der Libanon steht auch heute im Mittelpunkt. Supranationale Politik ist gefragt. Große Konflikte haben ihre Wurzeln in den Rohstoffen: im Öl, dem schwarzen Gold und weißen Gold, dem Wasser. Das sind supranationale, nicht regionale Themen.

VN: Welche Rolle spielen die politischen Systeme?

Hassan: Die Frage am Ende des Tages ist nicht, welche Form der politischen Systeme existiert. Bedeutend ist lediglich die volle Mitbeteiligung der Bürger. Ich habe in meinem Leben viele verschiedene Versionen der Mitbeteiligung gesehen. Und ich habe durch das Fernglas geschaut. Verantwortung und Macht müssen an die Menschen delegiert werden. Unglücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der die Rechte der Bürger mehr und mehr ineffektiv sind.

VN: Wie wollen Sie Bürgerrechte effektiver machen?

Hassan: An erster Stelle steht die Information, deshalb machen wir dieses Interview. Bildung ist besonders wichtig, ich erwähne alle Programme in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges, die dazu veranlassen, in den Schuhen der anderen zu wandern. So müssen wir uns auch in die Schuhe jener Menschen begeben, die Opfer der Umweltzerstörung sind. Oder denken Sie sich in die Schuhe der Armen hinein. Warum ist das nicht die Norm?

Wir haben heuer 60 Jahre UNO, also Multilateralismus. Ich wünsche mir, dass nicht jeder nur aus seiner Sicht handelt, sondern an Zusammenarbeit denkt. VN: Ist es bei der Erhaltung der Artenvielfalt nicht schon fünf nach zwölf?

Hassan: Die größte Artenvielfalt haben wir im Sudan, der Teil einer potenziellen Konfliktzone ist. 20 Jahre Bürgerkrieg sind über das Land gezogen. Was den afrikanischen Kontinent betrifft, sprechen wir da über menschliche Würde? Denn wichtiger ist offensichtich, Erdöl vom Roten Meer an die Westküstse der USA zu transportieren. Das ist ein Teil des großen Spiels.

VN: Welche Alternativen sehen Sie zu Blut für Öl?

Hassan: Wir brauchen mehr Interaktion zwischen Ausbildung und Medien, weil der Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der fossilen Energiequellen undKriegerkanntwird.Man hat dann nicht Öl im Kopf, sondern den Menschen. Der Respekt vor menschlicher Würde betrifft auch das Zusammenleben. Sie muss im Mittelpunkt stehen, und nicht der Profit.

VN: Nichts Wesentliches hat sich geändert, was gibt Ihnen dennoch Zuversicht?

Hassan: Vor 30 Jahren habe ich mit Bruno Kreisky, Olof Palme, Willy Brandt gesprochen. Diese Leute hatten eine Vision. Heute habe ich den Eindruck, dass diese Visionen fehlen. Tatsache ist, dass Visionen nicht unrealistisch sein müssen. Ich glaube nicht, dass Bürgerbeteiligung und wirkliche Ethik im Zusammenleben erreicht wurden. Durch freien Warenverkehr allein kann Verantwortung für die Zukunft nicht entwickelt werden.

VN: Sind wir in einer besseren Situation als zuvor?

Hassan: Wir können nicht für die friedliche Nutzung der Kernenergie sein, gleichzeitig haben wir vielleicht schon zehn oder 20 Länder, die imstande sind, Atombomben zu bauen. Aber die Initiativen beginnen zu greifen: Wir versuchen, die Mehrheit zu bilden gegen Krieg, organisierte Kriminalität, den Kampf für menschliches Überleben. Wir können nicht von Globalisierung reden, wenn wir keinen Globus mehr haben.

ZUR PERSON

Prinz Hassan bin Talal Geboren: 1947 als jüngster Sohn des jordanischen Königs Talal in Amman Ausbildung: Studium der orientalischen Sprachen, Geschichte und Politologie in Oxford (Großbritannien) Laufbahn: Von 1965 bis 1999 stand er seinem Bruder König Hussein als Kronprinz und Berater zur Seite. Nach dem Tod des Königs zog er sich aus der aktiven jordanischen Politik zurück und widmet sich voll seinem Herzensanliegen: der Entwicklung eines gemeinsamen ethischen Bewusstseins. Leitende Funktionen in Organisationen wie der Initiative gegen Atomgefahren.

Club of Rome

Bei dieser Vereinigung handelt es sich um einen weltbürgerlichen Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftsbossen, die sich mit der „Lage der Menschheit“ befassen. Der 1968 gegründete Club wurde erstmals berühmt mit Dennis Meadows Werk „Die Grenzen des Wachstums“. Hassan bin Talal ist seit Dezember Präsident des Clubs of Rome. Er tritt seit Jahren als Vermittler zwischen Ost und West auf, wo er für das Verständnis für die arabische Kultur und den Islam wirbt. „Es gibt nur eine Heilige Schrift“ für Christen, Moslems, Buddhisten und Hinduisten“, sagt er. Zum Konflikt im Nahen Osten verfasste er zahlreiche Bücher.

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