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"Wie kommt man überhaupt so weit, zu sagen, eine Geburt muss wirtschaftlich sein?"

Mit dieser Frage bringt die selbstständige Hebamme Melanie Matt ihre Kritik an der geplanten Spitalsreform auf den Punkt. Sie ist skeptisch, erklärt aber im VOL.AT-Interview, warum noch kein Urteil über die Pläne möglich ist und warum große Geburtenstationen nicht automatisch schlecht sein müssen.

Die angekündigte Spitalsreform und die damit zusammenhängende Petition schlagen aktuell in Vorarlberg hohe Wellen. Besonders die geplante Zusammenlegung der Geburtenstationen von Dornbirn und Bregenz sorgt für Kritik.

VOL.AT live vor Ort

Bei der Kundgebung beim Landhaus in Bregenz werden am Mittwochnachmittag einige Demonstranten erwartet. Geburten betreffen schließlich alle – wir wurden alle geboren. Doch bekommt die Geburtshilfe zu wenig Wertschätzung im Gesundheitssystem und ist die Aufregung gerechtfertigt?

Melanie Matt von den Ländlehebammen ist selbstständig als Hebamme tätig. Sie hat aber auch schon Erfahrungen sowohl in einem großen als auch in einem kleinen Krankenhaus gesammelt und kennt die Unterschiede. ©evarauchphotography

Darf man bei Geburten einsparen?

"Wie kommt man überhaupt so weit, zu sagen, eine Geburt darf nur so viel kosten, damit sie wirtschaftlich ist?", stellt Hebamme Melanie Matt eine grundlegende Frage beim Gespräch mit VOL.AT in den Raum. Für sie steht fest: Geburtshilfe darf kein Sparprogramm sein.

Diesen Gedanken greift die diplomierte Pflegefachkraft Birgit Kalb auf. Die Wolfurterin setzt sich mit der Interessengemeinschaft Geburtskultur seit Jahren dafür ein, das Thema Geburtshilfe in die Gesellschaft zu bringen. Sie sieht eine stressfreie Geburt als gesellschaftliches Fundament für die Entwicklung und Gesundheit an. Die 61-Jährige betont: "Das ist natürlich nicht etwas, was sich unmittelbar rechnet, sondern das ist etwas, was sich langfristig rechnet."

Die Beraterin Birgit Kalb begleitet Frauen am Weg zur Geburt. ©VOL.AT/Laura Schwärzler

Konkrete Infos fehlen für klares Urteil

Die selbstständige Hebamme Melanie Matt, die Frauen in der Schwangerschaft, bei Hausgeburten und im Wochenbett begleitet, versteht die aktuelle Skepsis in der Gesellschaft. Jedoch mangelt es der 28-Jährigen noch an genauen Informationen über die konkrete Umsetzung für ein klares Urteil: "Mir fehlt einfach noch diese zukunftsvisionäre Sicht und Erklärung, die hinter den Plänen steckt."

Werden die Betten bald nicht mehr von Müttern belegt?/Archiv ©Mirjam Mayer

"Kommt auf den Betreuungsschlüssel an"

Die Beantwortung der offenen Fragen erhofft sich die Satteinserin von der geplanten Präsentation des Landes Vorarlberg am Donnerstag. Denn eine große Geburtenstation sei nicht per se abzulehnen. Auf die Struktur komme es vielmehr an, so die Hebamme.

"Zentralisierung ist nicht schwarz-weiß zu sehen und die Geburtshilfe in einer großen Geburtenstation ist nicht automatisch schlechter als in einer kleinen", erklärt die 28-Jährige. Sie selbst war bereits im großen St. Josef Krankenhaus in Wien und in der kleineren Geburtenstation in Bludenz als Hebamme tätig – sie kennt diese Unterschiede.

Die neue Geburtenstation wurde 2023 eröffnet. ©Mirjam Mayer
VOL.AT bei der Eröffnung 2023 in Dornbirn. ©Mirjam Mayer

Gesundheitsreform statt Spitalreform

"Meine Sorge ist, dass es wirklich nur eine reine Spitalreform ist", betont die 28-Jährige im Gespräch mit VOL.AT. Aus ihrer Sicht wäre eine "echte Gesundheitsreform" nötig, die neben der Zentralisierung auch die Stärkung der Primärversorgung im ländlichen Raum beinhaltet. So können Spitäler entlastet werden.

Betreuungsschlüssel ausschlaggebend

Die Zusammenlegung birgt laut der Hebamme sowohl Risiken als auch Chancen – es komme auf die Umsetzung und den Betreuungsschlüssel an. Kritisch sieht sie es besonders, falls Personal eingespart wird, um Kosten bei Leerläufen zu sparen. Das könnte eine Verschlechterung der Versorgung zur Folge haben. Dabei sieht sie die Kontinuität bei der Versorgung der einzelnen Frauen in Gefahr.

"Sowohl in der Geburtshilfe als auch der Geburtsmedizin braucht es eine Eins-zu-eins-Betreuung, Zeit, Ruhe und Kommunikation in der Begleitung." Wenn diese Betreuung nicht mehr möglich wäre, sieht die Hebamme der Ländlehebammen in beiden Bereichen Risiken: "Bei den gesunden Geburten kommt es dann zu Problemen, die es sonst nicht gäbe. Oder man verpasst Dinge, die bei einer Risikogeburt oder bei einer komplizierteren Geburt passieren."

Zu Besuch in der Praxis von Birgit Kalb. ©VOL.AT/Schwärzler

Wenn stattdessen die größere Routine und die höhere Anzahl an Personal in Hochphasen positiv genutzt werden, sieht sie es als Chance. "Ich würde mir wünschen, dass man sich für die Zusammenlegung so lange Zeit nimmt, dass etwas Tolles herauskommt", meint Matt und wünscht sich, dass dabei die Hebammen ins Boot geholt werden.

Freie Wahl des Geburtsortes in Gefahr

Das Gründungsmitglied der Interessengemeinschaft IG Geburtskultur, Birgit Kalb, setzt sich schon seit über zehn Jahren für die freie Wahl des Geburtsortes ein. "Die ist absolut wichtig, weil eben auch das ein Aspekt ist, wo der Frau das Gefühl der Selbstbestimmtheit gibt einerseits, und das andere wiederum darum geht, dass die Frau sich an dem Ort, den sie wählt, wirklich wohlfühlt", sagte die Beraterin von Schwangeren im Gespräch mit VOL.AT.

Stress und Unwohlsein durch die falschen Rahmenbedingungen können laut ihr zu Komplikationen bei der Geburt führen. Dabei spricht sie das im Jänner 2023 veröffentlichte Positionspapier des Deutschen Hebammenverbands an, welches vor den Risiken einer Zentralisierung der Geburtshilfeversorgung warnt. Darin heißt es etwa, dass die Zentralisierung unter anderem die Sicherheit von Mutter und Kind gefährden und den Fachkräftemangel durch Überbelastung verschärfen kann.

Birgit Kalb im Gespräch mit VOL.AT. ©VOL.AT/Schwärzler

Für Kalb ist klar: Die Atmosphäre bei der Geburt sollte nicht aus den Augen verloren werden. Sichere Rahmenbedingungen sind entscheidend – nicht nur für das subjektive Wohlbefinden, sondern auch für den medizinischen Verlauf und die psychische und physische Gesundheit. "Ein total wichtiges Argument, damit der Verlauf der Geburt möglichst nicht durch Stressfaktoren gestört wird", so die 61-Jährige. Wenn Frauen an einem Ort gebären müssten, den sie nicht selbst gewählt haben, könne das negative Auswirkungen haben. Deswegen setzt sich die 61-Jährige für die freie Wahl des Geburtsortes ein.

Rückhalt aus der Bevölkerung

Zentral ist für Matt nicht nur die Geburt selbst, sondern auch die Zeit davor und danach. Nicht nur bei der Geburt ist die Entfernung ein Thema. Durch eine Zentralisierung kann sich für anfallende Untersuchungen und Kontrollen ebenfalls der Anfahrtsweg ändern. Matt betont: "Wenn ich Mütter habe mit vier, fünf Kindern daheim, die vielleicht kein Auto zur Verfügung haben und weitere Anfahrtswege machen, ob die das dann noch wöchentlich gut hinbekommen?"

Birgit Kalb über ein Thema, das ihr besonders am Herzen liegt: Stressfreie Geburten. VOL.AT/Schwärzler

Eines ist klar: Die Diskussion bewegt nicht nur Betroffene, die einen Kinderwunsch haben. Kalb berichtet von vielen Rückmeldungen, nachdem sie eine Petition zur Erhaltung der Dornbirner Geburtenstation in ihrem WhatsApp-Status geteilt hatte. "Es hat sich gezeigt, dass es wirklich quer durch die Bevölkerung geht", erzählt sie. Warum? "Weil sie selber mal geboren worden sind."

(VOL.AT)

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