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Beschneidungen verbieten: "Versuch einer neuerlichen Shoah"

Ariel Muzicant vergleicht ein mögliches Verbot der Beschneidung mit einer neuerlichen Shoah.
Ariel Muzicant vergleicht ein mögliches Verbot der Beschneidung mit einer neuerlichen Shoah. ©APA
Bregenz - Von Achselzucken bis zur Empörung reichen Reaktionen auf Beschneidungsinitiative. Politische und religiöse Verantwortungsträger reagieren mit Kritik auf die „Empfehlung“ von Landeshauptmann Markus Wallner an Ärzte, „vorläufig keine Beschneidungen mehr durchzuführen“. Auch das Büro von Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz reagierte zurückhaltend auf Wallners Vorstoß.
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Dort verwies man auf das grundrechtlich garantierte Recht auf Religionsfreiheit und meinte, dass man trotz des deutschen Urteils keinen Anlass für eine Gesetzesänderung sehe.

Versuch einer neuerlichen Shoah

Gegenüber den VN fragte der Ehrenpräsident der jüdischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant, mit feinem Spott, wann denn der Vorarlberger Landeshauptmann Impfungen an Kleinkindern verbieten werde. Sehr viel ernster fährt Muzicant fort: „Ich denke, wir sollten der österreichischen Bevölkerung und den Regierungen in Europa klar und deutlich sagen, dass das Verbot der Beschneidung der Versuch einer neuerlichen Shoah, einer Vernichtung des jüdischen Volkes gleichzusetzen wäre – nur diesmal mit geistigen Mitteln. Ich denke, dass es wichtig ist, so hart und überspitzt zu formulieren, um jenen, die sich auf Menschenrechte berufen, klarzumachen was sie anrichten.“

Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, bezeichnete die „Empfehlung“ Wallners als „klare Ausgrenzung“. Sanac qualifizierte die Debatte als „scheinheilig“, weil es dabei nicht um die Kinder gehe, sondern um Religionsfreiheit bzw. „Religionsfeindschaft“. Er hoffe aber auf eine „vernünftige Lösung“.

“Aufgesetzte Diskussion”

Gesundheitsminister ­Alois Stöger bewertete die Beschneidungs-Debatte in Österreich als „aufgesetzte Diskussion“. Dabei sei ein Thema aus Deutschland übernommen worden, „das nicht wichtig ist“, sagte Stöger am Rande einer Pressekonferenz. Grundsätzlich hätte jedes Landeskrankenhaus die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob es Beschneidungen durchführt, weil das „keine Pflichtleistung“ sei, erklärte der Gesundheitsminister. Das Justizministerium hatte am vergangenen Mittwoch zur Beschneidung bei Buben festgehalten, dass diese Frage in Österreich zwar nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, „nach herrschender Lehre“ aber straffrei sei. Die Rechtsauffassung, wonach die Beschneidung bei Buben bei Vorliegen einer elterlichen Einwilligung straffrei ist, bestätigen Lehrende an der Juridischen Fakultät der Universität Wien. Ass.-Prof. Wolfgang Wieshaider zeigte sich skeptisch gegenüber dem Vorschlag, dass eine Einwilligung in die Beschneidung erst durch einen Jugendlichen selbst erfolgen soll. Nicht jede Entscheidung könne warten, bis man erwachsen ist. Das „Erziehungsrecht der Eltern im religiösen Bereich ist sinnvoll, wie auch in anderen Bereichen“, sagte der Jurist.

Beschneidungen – Die Buchreligionen im Vergleich

Beschneidung im Judentum

Die Beschneidung wird laut Ariel Muzicant „seit 3500 Jahren von Juden am 8. Lebenstag des Buben durchgeführt“. Voraussetzung ist, dass das Baby gesund ist. „Der Mohel (Beschneider) überprüft daher sehr genau, bevor er beschneidet.“ So ist z. B. bei Gelbsucht die Beschneidung untersagt (man möge sich einmal überlegen, über welches Wissen die Weisen des Judentums vor 3500 Jahren verfügt haben, um solche Vorkehrungen zu treffen). Beschneidung und die jüdische Mutter sind wesentliche Fundamente des Judentums. Die Beschneidung verbindet Abraham und seine Nachkommen mit Gott. Ein gläubiger Jude glaubt daran, dass dies von Gott angeordnet wurde. „Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Welt ist heute säkular, das heißt nicht strenggläubig, und dennoch wird die Beschneidung bei fast allen jüdischen Knaben durchgeführt“, so Muzicant.

Christentum

Im frühen Christentum sprach sich Paulus von Tarsus gegen eine Pflicht zur Beschneidung für die neu bekehrten Heidenchristen aus. Paulus war selbst ein beschnittener Judenchrist. Für ihn entscheidend war nicht die körperliche Beschneidung, sondern die „Beschneidung des Herzens“. Im Christentum wurde das Ritual der Beschneidung weitgehend durch die Taufe abgelöst.

Beschneidung im Islam

Die Beschneidung wird heute bei Muslimen als ein Zeichen der Religionszugehörigkeit im Kindesalter – bis zum Alter von 13 Jahren – durchgeführt. Oft ist der Akt Anlass für ein großes Familienfest. Der Koran erwähnt die Beschneidung nicht explizit. Sie lässt sich lediglich aus der Anweisung, der Religion Abrahams zu folgen, ableiten. Beschrieben ist sie dagegen in der Sunna. Die Beschneidung des männlichen Geschlechtsteils gilt vielen Muslimen als Pflicht und wird in der Regel bei männlichen muslimischen Kindern schon frühzeitig – oft als Baby – von den Eltern in Auftrag gegeben. Es gilt als eines der Zeichen des Prophetentums, dass die Propheten bereits beschnitten – also ohne Vorhaut – geboren werden. Beschnitten zu sein kann interpretiert werden als „dem Vorbild der Propheten zu entsprechen“.

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