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Antisemitismus: 66 Prozent der Juden fühlen sich in der EU bedroht

©Ungarische Juden beim Tashlikh-Ritual am Donauufer in Budapest.
Für 66 Prozent der Juden, die in der EU leben, ist Antisemitismus immer noch ein großes oder ziemlich großes Problem, wie eine Studie der Europäischen Union zeigt. In Ungarn und Frankreich denkt fast jeder zweite daran auszuwandern, weil man sich als Jude nicht mehr sicher fühlen könne.
Als 1938 die Synagogen brannten
Vorarlberger Opfer: Johann A. Malin
Vorarlberger Opfer: Fam. Turteltaub
Vorarlberger Opfer: Hugo Lunardon
Vorarlberger Opfer: Hugo Paterno
Archivbilder: Reichskristallnacht 1938

Die Ergebnisse der Befragung wurde am Freitag von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) in Wien präsentiert. FRA-Direktor Morten Kjaerum alarmierte: “76 Prozent der Personen, die in den letzten fünf Jahren antisemitischen Angriffen ausgesetzt waren, gaben an, die Vorfälle nicht angezeigt zu haben.”

“Antisemitismus in der EU ein Problem”

Die Ergebnisse zeigten Handlungsbedarf auf, sagte Kjaerum: Man könne nicht weiter leugnen, dass es immer noch Antisemitismus in der EU gebe. Speziell für die Polizei müsse es Weiterbildungen geben. Besonders beeindruckt zeigte sich Kjaerum davon, dass 30 Prozent der Befragten ernsthaft in Betracht ziehen, aufgrund ihrer Angst vor Antisemitismus ihr Land zu verlassen.

Die Studie wurde in acht EU-Mitgliedstaaten durchgeführt, in denen laut Schätzungen 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung in der Union leben: Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Schweden und Ungarn. Das Besondere an der Untersuchung ist laut Kjaerum, dass diesmal wirklich die betroffene Minderheit befragt wurde, in welcher Form und wie stark sie die Angst vor antisemitischen Angriffen erlebt. 38 Prozent der Teilnehmer gaben an, das Tragen von Attributen, die sie als Juden identifizieren könnten, zu vermeiden.

Deutliche Unterschiede zwischen den Ländern

Kjaerum verwies auf die deutlichen Unterschiede der Ergebnisse der einzelnen Länder, vor allem in Bezug auf die Bereitschaft, einen Vorfall anzuzeigen: “Wir sollten uns an den Ländern orientieren, die eine hohe Anzeigenrate haben.” So wird laut den Erhebungen beispielsweise in Großbritannien und Deutschland deutlich mehr angezeigt als etwa in Ungarn.

Judenhass in Ungarn und Frankreich nimmt zu

Als großes Problem wird der Antisemitismus von den Betroffenen vor allem in Ungarn und Frankreich wahrgenommen. 90 Prozent der in Ungarn lebenden Juden und 85 Prozent der Juden in Frankreich sehen hier eine ausgeprägt antijüdische Haltung – mit zunehmender Tendenz. In Deutschland beträgt dieser Wert 61 Prozent.

Jeder zweite denkt an Auswanderung

Ungarn und Frankreich zeigen auch alarmierende Ergebenisse bei der Frage, ob in den vergangenen fünf Jahren in Erwägung gezogen wurde, das Land zu verlassen, weil man sich als Jude nicht sicher gefühlt hat. In Ungarn beantworten 48 Prozent diese Frage mit Ja, in Frankreich noch immer 46 Prozent. Auch im EU-Durchschnitt ist der Wert sehr hoch: Fast jeder Dritte (29 Prozent) gibt an, eine Übersiedelung angedacht zu haben.

Unter den antisemitischen Kommentaren sei das Leugnen oder Relativieren des Holocausts weit verbreitet. Außerdem werde den Juden eine “naziähnliche” Haltung gegenüber den Palästinensern vorgeworfen.

Angst vor der Zukunft?

Serge Cwajgenbaum, Generalsekretär des Jüdischen Europakongresses (EJC), saß ebenfalls am Podium und bedankte sich bei der FRA: “Die FRA hat damit gute Arbeit geleistet und hilft uns, an Glaubwürdigkeit zu gewinnen.” Antisemitismus sei keine jüdische, sondern eine demokratische Angelegenheit, betonte Cwajgenbaum und rief die Politik zum Handeln auf. “Ich persönlich lebe nicht in Angst, doch als Bürger der Europäischen Union habe ich Angst vor den Zeiten, die kommen werden.”

Auch Österreich keine Insel der Seligen

Der ehemalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Ariel Muzicant, als Vizepräsident des EJC bei der Präsentation vertreten, erinnerte daran, dass vor allem das Internet anfällig für antisemitische Inhalte sei und spielte auf die Seite Alpen-Donau.info an, die 2011 vom Netz genommen wurde. “Wir hatten in Österreich ein Problem mit einer extremen rechten, extrem brutalen Internetseite, die daher geschlossen werden musste. Die Redefreiheit endet dort, wo Hasskriminalität beginnt”, betonte Muzicant. (red/APA)

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