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"Spekulation muss aufhören!"

Eva King übernimmt zum 1. Juli die Direktion der Vorarlberger Arbeiterkammer von Rainer Keckeis. WANN & WO sprach mit der gebürtigen Grazerin über Immobilienspekulanten, Erbschafts- und Vermögenssteuern, Benachteiligung von Frauen – und weitere Probleme im Ländle.

WANN & WO: In etwas weniger als einem halben Jahr werden Sie die Direktion der Vorarlberger Arbeiterkammer übernehmen. Ist die
Vorfreude schon groß?

Eva King: Ja, sie ist sehr groß. Es ist mir eine große Ehre, dieses Haus zu übernehmen. Für mich ist auch sehr angenehm, dass es eine fließende Übergabe von meinem Vorgänger an mich gibt. Das Haus hat mit 100 Jahren Geschichte sehr, sehr viel erreicht, auf dem man aufbauen kann. Ich möchte aber natürlich in meiner Zeit als Direktorin auch neue Akzente setzen und für die Arbeit der Menschen im Land etwas weiterbringen.

WANN & WO: Noch aber haben Sie die Stelle nicht angetreten. Und dennoch ist Ihre Personalia bereits jetzt ein großes Thema, schließlich sind Sie die erste Frau an der Spitze der AK Vorarlberg. Empfinden Sie das als zusätzlichen Druck?

Eva King: Im Gegenteil. Das ist vielleicht eher auch Teil meiner Freude. Ich finde es großartig, dass es jetzt gelungen ist, als erste Frau an die Spitze der AK zu gelangen. Darauf bin ich nicht nur für mich stolz, sondern für alle Frauen, denen es gelingt, in wichtigen Institutionen an die Führung zu gelangen. Das ist ein wichtiges Signal für andere Frauen in der AK und im Land.

WANN & WO: Sehen Sie darin noch eine große gesellschaftliche Aufgabe, besonders auch in Vorarlberg?

Eva King: Absolut. Gleichstellungspolitik ist für mich ein wichtiges Anliegen und da gibt es noch viel zu tun. Nicht nur im Bereich der Führungsebenen, sondern überall. Die Differenz in der Bezahlung von Männern und Frauen, der sogenannte „Gender Pay Gap“, ist in Vorarlberg österreichweit am höchsten. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Grund dafür ist zum einen, dass es zu wenig Vereinbarkeitslösungen gibt und zum anderen, dass es zu wenig Transparenz gibt. Frauen wird strukturell weniger gezahlt für die gleichen Aufgaben. Das muss aufgezeigt, diskutiert und geändert werden.

WANN & WO: Von konservativer Seite wird an der Stelle oft das Argument vorgebracht, dass Frauen ja „selbst schuld“ seien, wenn sie schlecht bezahlte Berufe annehmen.

Eva King: Und dennoch sind das wichtige Berufe. Sei es die Pflege, sei es der Handel – Corona hat gezeigt, wie systemrelevant diese Berufsgruppen sind. Doch erstens wird dort schlecht gezahlt, zweitens gibt es dort einen Personalmangel. Und drittens bleibt so manche Frau zu Hause, weil es sich für sie finanziell nicht rechnet, in der Branche weiterzuarbeiten. Da braucht es nicht viel, um eins und eins zusammenzuzählen. Dort ist klar die Politik gefordert, vor allem wenn es sich, wie in der Pflege, um öffentliche Arbeitgeber handelt. Und auch in der Privatwirtschaft muss kein Arbeitgeber jammern, dass er kein Personal findet – er muss einfach nur besser zahlen.

WANN & WO: Ein wichtiger, aber sicher nicht der einzige Schritt?

Eva King: Es braucht noch viele weitere: Bei den Pensionen muss nachgebessert werden, es müssen die Hebesätze angefasst werden, es muss ein Pensionssplitting her und, und, und. Aber wenn wir die großen Fragen adressieren wollen, dann geht es einfach nur darum, mehr Frauen am Erwerbsleben teilhaben zu lassen, zu gleichen Bedingungen wie alle anderen. Und dafür muss man vernünftig zahlen und eine ausreichende Kinderbetreuung bereitstellen, damit sie überhaupt arbeiten können.

WANN & WO: Doch selbst dann, wenn genug Geld in der Lohntüte ist, ist für viele der Kampf nicht vorbei: Stichwort Steuern. Was fordern Sie in dem Bereich?

Eva King: Das Steuersystem muss so gestaltet sein, dass die Mehrheit der Gesellschaft von dem, was sie erwirtschaftet, auch leben kann. Das ist aktuell in Gefahr, weil die Abgaben auf Arbeit zu hoch sind.

WANN & WO: Und doch rühmen sich viele Firmen mit der Inflations-anpassung.

Eva King: Derzeit müssen die Arbeitnehmer ja geradezu dankbar sein, wenn ihnen die Inflation überhaupt abgegolten wird. Aber das ist lediglich eine Anpassung, kein wirklicher Fortschritt. Man verdient ja nicht mehr dadurch, kann nicht mehr kaufen oder sparen, sondern bleibt auf dem Level, dass man gleich viel kaufen oder sparen kann. Da treten viele Arbeitnehmer auf der Stelle – während andere immer reicher werden. Wir brauchen uns nur die Vermögensverteilung in Österreich anschauen: Unter zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent des Wohlstands. Dieses Dilemma haben wir uns selbst eingebrockt. Indem wir die Vermögenssteuer abgeschafft haben, die Körperschaftssteuer gesenkt – aber was ist mit der Lohnsteuer? Da geht es nicht um einseitige Argumentation, sondern um die Realität, darum, dass Menschen überleben können müssen.

"Wir brauchen uns nur die Vermögensverteilung in Österreich anzuschauen: Unter zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent des Wohlstands. Dieses Dilemma haben wir uns selbst eingebrockt."

WANN & WO: Braucht Vorarlberg bzw. braucht Österreich eine Erbschafts- und eine Vermögenssteuer?

Eva King: Ja. Das ist ganz klar. Es werden viel zu wenig Vermögen zur Finanzierung der öffentlichen und gesellschaftlichen Aufgaben herangezogen. Das ist eine schon sehr lange ausstehende Forderung der AK. Mittlerweile orten wir auch eine sehr große Zustimmung dafür, mehr als die Hälfte der Bevölkerung spricht sich für diese Steuern aus. Schließlich ist allen klar, dass, wer mehr hat, auch mehr beitragen kann.

WANN & WO: Ein weiteres Dauer-Thema in Vorarlberg ist leistbares Wohnen.

Eva King: Das ist ein besonderes Problem im Land. Es ist viel zu wenig Wohnraum da. Der Wohnraum, der da ist, ist extrem teuer. Die Preissteigerung ist enorm. In Vorarlberg eine Wohnung zu finden und zahlen zu können, ist besonders für junge Familien und auch für Zugezogene, die andere Gehälter gewöhnt sind, beinahe unmöglich. Das muss alle interessieren. Auch die Arbeitgeber, wenn diese nämlich dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland nicht anstellen können, weil die keine zahlbare Wohnung hier finden.

WANN & WO: Wie soll dieses Problem angepackt werden?

Eva King: Wir haben gerade eine Studie in Auftrag gegeben, die klären soll, wem der Grund und Boden in Vorarlberg gehört. Wer kauft da das Land zusammen? Damit wollen wir aufzeigen, dass es eine massive Konzentration von Immobilienbesitz bei wenigen Einzelnen gibt. Dieser Immobilienerwerb zu spekulativen Zwecken ist hochbrisant, das muss unterbunden werden – auch wenn sich das viele im Land nicht zu sagen trauen. Da müssen etwa Grundverkehrskontrollen wiedereingeführt werden. Und es braucht Mietpreisdeckel. Zum Teil gingen die Mieten um zehn Prozent rauf – aber niemand hat zehn Prozent mehr Lohn bekommen. Und die Betriebskosten sind auch gestiegen. Wie soll sich das ausgehen? Das ist eine explosive Entwicklung.

WANN & WO: Sowohl bei Steuern als auch beim leistbaren Wohnen könnte ganz klar die Politik Abhilfe schaffen. Warum passiert nichts?

Eva King: Es gibt Beratungen. Aber das reicht nicht. Politik ist ja die Schule der großen Kompromisse. Die muss man machen, natürlich. Aber man muss eben auch später wieder hinschauen und prüfen, ob die Schritte gereicht haben. Beispiel Raumplanungsgesetz und Flächenwidmungen: Man hat reagiert, aber es wird immer noch Schindluder getrieben. Da muss man hinschauen und nachjustieren. Nicht zuletzt geht es auch um öffentliche Interessen, etwa wenn bestimmte Punkte der gesellschaftlichen Versorgung nicht gebaut werden können, weil einzelne Spekulanten das Land aufkaufen und die Gemeinden nicht genug Geld haben, diese Flächen zurückzukaufen und dort etwa sozialen Wohnbau zu errichten oder ein Vorhaben wie das Rhesi-Projekt oder einen Tunnelbau umzusetzen. Da geht es um eine Interessensabwägung, der wir uns in Vorarlberg stellen müssen. Das kann nicht im Hinterkämmerchen abgemacht werden. Es muss einen öffentlichen Diskurs und eine Mitbestimmung der breiten Mehrheit geben.

WANN & WO: Im Fokus des öffentlichen Diskurses steht aktuell auch der Klimaschutz. Sie haben selbst Nachhaltigkeit studiert und das Klimaschutz-Unternehmen „Treely“ mitgegründet. Aus Ihrer fachlichen Sicht: Muss das Thema auch stärker von der Wirtschaft angegriffen werden?

Eva King: Hundertprozentig. Wir wissen alle, dass wir die Klimaziele mit diesem Weg der Kompromisse und kleinsten gemeinsamen Nenner nicht erreichen, weil die Beschlüsse hinter den Forderungen her hinken. Die Politik ist da höchstgradig säumig und von der Wirtschaft brauchen wir gar nicht reden. Wir haben weiterhin massiv emittierende Betriebe, die keinen Ausstiegsplan haben und gleichzeitig gibt es keine gesetzlichen Vorschriften dazu. Als geschulte Volkswirtin muss ich auch sagen: Das wird weder freiwillig passieren, noch wird es der Markt regeln. Ich wundere mich aber auch, warum es da aus der Gesellschaft keinen größeren Aufschrei gibt. Denn ich sage klar: Ich glaube, dass wir im Moment, mit dieser Haltung, mit diesem Verhalten und den ständigen Ausreden, die Kurve nicht kriegen. Da braucht es den Mut und die Bereitschaft, sich hinzustellen und zu sagen: Nein, so geht es nicht weiter.

WANN & WO: Haben Sie also Verständnis für die Klimaaktivisten etwa der „Letzten Generation“, die sich auf Straßen kleben oder Tagebaue besetzen, wie im deutschen Lützerath?

Eva King: Für die Haltung der Aktivisten habe ich natürlich Verständnis. Welche Protestmittel man wählt, ist diskussionswürdig. Aber an sich ist es meine Grundhaltung, dass Protest zur Demokratie gehört. Und wenn ich mich entscheiden müsste, was schlimmer ist, wenn sich jemand irgendwo anklebt oder wenn unsere Welt den Bach runtergeht, dann ganz klar letzteres.

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(WANN & WO)

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