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Finale im Fälscherprozess: Die Schlussplädoyers der Anwälte

Nicolas Stieger, Anwalt von Kurt T., bezeichnete Jürgen H. in seinem Schlussvortrag mehrfach als Lügner.
Nicolas Stieger, Anwalt von Kurt T., bezeichnete Jürgen H. in seinem Schlussvortrag mehrfach als Lügner. ©VOL.AT/Sascha Schmidt
Mit den Schlussplädoyers der Verteidiger geht am Donnerstag einer der aufsehenerregendsten Prozesse des Jahres zu Ende.
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Am 21. Verhandlungstag im Salzburger Verfahren um Testamentsfälschungen am Bezirksgericht Dornbirn versuchte zunächst der Verteidiger des Hauptangeklagten Jürgen H., Klaus Grubhofer, die Richter für ein mildes Urteil für seinen Mandanten zu gewinnen.

“Man versucht, ihn als Einzeltäter hinzustellen”

Der Anwalt bemühte sich dabei, H. als glaubhaft darzustellen. Der 48-jährige Geschäftsstellenleiter am Bezirksgericht Dornbirn bezichtigte vor dem Verfahren mehrere Kollegen der Mittäterschaft. “Mein Mandant hat sich von Anfang an zu den angeklagten Fakten schuldig bekannt. Ohne Hilfe von dritter Seite hätte er manche gefälschte Testamente gar nicht machen können. Das ist nach Bewertung der Fakten glaubwürdig.” Viele Handlungen hätten ohne das Wissen oder die Duldung anderer nicht ausgeführt werden können. “Ich habe mit Befremden erkannt, dass man versucht, ihn als Einzeltäter hinstellen.”

Zugleich ortete Grubhofer ein Systemversagen im betroffenen Gericht: “Wichtige Schaltstellen haben über Auffälligkeiten hinweggesehen. Das hat er nicht erfunden oder erlogen und das ist auch nicht seiner kranken Fantasie entsprungen.” Der Rechtsanwalt äußerte sich auch zum Abbruch der Einvernahme von H. während des Gerichtsverfahrens. “Er hat sich auf meinen und auf ärztlichen Rat entschieden, keine weiteren Aussagen zu machen und auf seine Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft zu verweisen.”

Grubhofer: Nicht aus Gier oder Gewinnsucht

“Sein Geständnis ist kein Lügengebilde. Er will an der Wahrheitsfindung mitwirken.” Das Tatverhalten stehe in Widerspruch zum sonstigen Lebenswandel seines Mandanten. “Er ist bescheiden, zurückgezogen, und gibt nicht viel Geld aus.” Mit Ausnahme eines Betrags von 50.000 Euro, den er mit seinem Bruder für die Renovierung des Elternhauses verwendet hat, habe H. vom erschlichenen Vermögen kein Geld entnommen. “Nicht Gier oder Gewinnsucht waren Anlass, sondern eine diffuse Mischung aus Zukunftsangst und Schutzverhalten für seine Verwandten.”

H. habe durch seine Aussagen ganz wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen, auch die nahezu vollständige Schadenswiedergutmachung sei als entscheidender Milderungsgrund zu werten. “Ich vertraue auf ein insgesamt gerechtes Urteil.”

“Der Justizskandal ist eine Person”

Handelte der Hauptangeklagte Jürgen H. alleine oder bediente er sich der Hilfe von Kollegen am Bezirksgericht Dornbirn? Bei den Schlussplädoyers im Salzburger Prozess um die Vorarlberger Testamentsfälschungen versuchte am Donnerstag Nicolas Stieger, Verteidiger des zweitangeklagten Kurt T., den Hauptangeklagten als Einzeltäter hinzustellen.

Kurt T., 49, war bis zu seiner Entlassung Leiter der Abteilung für Außerstreitsachen am Bezirksgericht Dornbirn und saß nach Bekanntwerden der Vorwürfe Ende 2009 rund zwei Wochen in U-Haft. Er wird wie zwei weitere Gerichtsmitarbeiter von Jürgen H. belastet. Er soll von den illegalen Machenschaften gewusst haben und in mehreren Fällen bei Testaments- und Urkundenfälschungen mitgewirkt haben. T. hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.

Alle gegen Jürgen H.

Sein Verteidiger ließ am Donnerstag dann auch kein gutes Haar an Jürgen H. “Der Justizskandal ist kein Justizskandal. Der Justizskandal ist eine einzige Person, ein faules Ei in einem System.” Die Aussage von H. sei voller Widersprüche, er sei x-fach in dem Verfahren der Lügen überführt worden. “Sie hier alle zu erwähnen, würde den Rahmen sprengen.” H. sei ein Einzeltäter, der vor nichts zurückgeschreckt habe. “Das ist eine One-Man-Show. Eine Bande war das nicht.” H. habe sich im Dunstkreis seiner Familie und seines Freundeskreises bedient. “Und von diesen hat keiner meinen Mandanten gekannt.”

In der Verhandlung am 23. April habe H. zwar auf die Fragen von Richter, Staatsanwalt und Privatbeteiligtenvertreter geantwortet, dann die Einvernahme aber abgebrochen, als die Verteidiger der von ihm belasteten Ex-Kollegen am Zug waren. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es damals hieß. “Das ist nicht fair, das tut man nicht, das ist eine riesen Sauerei, wenn man bedenkt, was meinem Mandanten alles passiert ist”, beklagte Stieger die damals nicht mögliche Befragung.

Kurt T. fehle für die Tat jegliches Motiv. “Wieso macht er das? Wenn einer, der knapp bei Kassa war, so etwas macht, dann muss er doch einen Vorteil haben. Glauben Sie tatsächlich, dass mein Mandant sich für ein Butterbrot hätte abspeisen lassen?” Im ganzen Akt würde sich aber kein Hinweis auf einen Vorteil finden. “Weder bei einer Hausdurchsuchung, noch bei der Kontoöffnung ist etwas gefunden worden. Es spricht alles dafür, dass mein Mandant diese Taten nicht begangen hat. Er ist wie alle anderen von diesem Fälscher übergangen worden.” Für T. könne nur ein Freispruch erfolgen.

Richterin “ohne kriminelle Energie”

Auch am Nachmittag konzentrierten sich die Anwälte vor allem darauf, die Aussagen des Hauptangeklagten Jürgen H. in Zweifel zu ziehen. Bertram Grass, der Verteidiger von Kornelia Ratz, sprach von einem Schauprozess und einer seit zweieinhalb Jahren andauernden Medienhetze. Er verstehe die Vorwürfe nicht und ortete einen verschwörerischen Hintergrund. Seine Mandantin werde zu Unrecht belastet.

Die 48-jährige derzeit suspendierte Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch soll bei Jürgen H. ein gefälschtes Testament zugunsten ihrer Mutter und Tante in Auftrag gegeben haben. Grass wies das in seinem Schlussplädoyer entschieden zurück und forderte einen Freispruch: “Man kann zweifelsfrei feststellen, dass meine Mandantin nie ein Testament in Auftrag gegeben hat, sie hat bei Jürgen H. auch nie angerufen.” Ratz habe Gott und der Welt von dem Testament erzählt. “Tut das jemand, der in eine Fälschung verwickelt ist?”

“So abgebrüht ist sie nicht”

In seinem emotionslosen Schlussvortrag listete Grass eine Reihe von angeblichen Unwahrheiten von H. auf. “Ich will ihn nicht schlecht machen, sondern nur aufzeigen, wie dreist, kreativ und erfinderisch er die Testamente gefälscht hat.” Ratz möge eine forsche Frau sein, kriminelle Energie sei bei ihr nicht vorhanden. “So abgebrüht ist sie nicht.”

Zwei Anwälte für Clemens M.

Gleich zwei Anwälte bemühten sich dann, den drittangeklagten Clemens M., 52, zu entlasten. Auch der Rechtspfleger am Bezirksgericht Dornbirn wird von Jürgen H. der Mittäterschaft bezichtigt. Er soll bei fünf der 16 angeklagten Testaments- und Urkundenfälschungen mitgewirkt haben. “Wir stehen geschlossen vor einem Problem: Zu beweisen, etwas nicht getan zu haben, wenn jemand anderer das Gegenteil behauptet”, erklärte M.’s Rechtsvertreter Lukas Kollmann. “Allerdings ist im Beweisverfahren klar geworden: Mein Mandant und die anderen angeklagten Gerichtsmitarbeit können es nicht gewesen sein.”

Am Bezirksgericht Dornbirn habe es niemand anders als H. gebraucht. “Er kannte das Gericht wie seine Westentasche.” Es gebe eine Vielzahl von Hinweisen, dass H. nicht die Wahrheit gesagt habe. “Auch seine Geschwister haben nichts von involvierten Gerichtsmitarbeitern gewusst. Weil es im Gericht keine Gehilfen gegeben hat.”

Zweifel an Zeugin Reingard C.

Zugleich bezweifelte Kollmann die Aussage einer Belastungszeugin, die ein Telefonat zwischen zwei Angeklagten belauscht haben will. “An alle Fragen, die ihre Arbeit am Gericht damals betroffen haben, hat sie sich nicht mehr erinnern können. Aber an den Wortlaut eines geflüsterten Gesprächs will sie sich nach fünf Jahren noch exakt erinnern. Welcher normale Mensch kann das?” Der als übervorsichtig bekannte H. hätte sich niemals dem Risiko ausgesetzt, dass jemand etwas von seinen Machenschaften mitbekomme. “Seine vier Kollegen kämpfen um ihr Leben. Bei ihm sehe ich keine Reue, nur Selbstmitleid.”

M.’s zweiter Verteidiger, Burkard Hirn, listete dann fast zwei Stunden lang jedes einzelne M. zur Last gelegte Vergehen auf, um es dann wortreich zu entkräften. Beide Anwälte forderten schließlich einen Freispruch.

Die Schlussworte der Angeklagten

Das letzte Wort gehörte am Donnerstag den sechs im Verfahren verbliebenen Angeklagten: Der Hauptangeklagte Jürgen H., 48, verlas eine kurze, vorbereitete Erklärung. Er wolle sich zunächst bei allen Menschen entschuldigen, denen er Schaden zugefügt habe – bei Familie, Verwandten, Erben und Freunden. “Ich schäme mich zutiefst.” Zugleich betonte H., niemanden denunziert zu haben. “Meine Tatsachendarstellung entspricht der Realität. Es hat mir wehgetan, auch ehemalige Kollegen zu belasten.” Vier Gerichtsmitarbeiter werden bekanntlich von H. schwer belastet, sie leugnen ihre Beteiligung an den Fälschungen allerdings vehement.

Der ehemalige Kanzleileiter der Außerstreitsabteilung am Bezirksgericht Dornbirn, der 49-jährige Kurt T., übte in seinem Schlusswort scharfe Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft. “Die Ankläger haben so gut wie alles unterlassen, entlastende Argumente zu finden. Wenn es sie gab, wurden sie unter den Tisch gefallen lassen.” Als im Jahr 2002 erstmals Unregelmäßigkeiten bei Testamenten aufgetaucht sind, sei bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nichts herausgekommen. “Unzählige Richter haben seither diese Akten studiert. Kein einziger ist zum Schluss gekommen, dass es sich hier um Fälschungen handelt. Aber mir wird vorgeworfen, dass mir das nicht aufgefallen ist.” Er habe bis zu seiner Verhaftung im November 2009 ein beschauliches, ganz zufriedenes Leben geführt. “Und um 9.00 Uhr an diesem Tag hat ein Alptraum begonnen, der bis heute andauert. Ich wurde verhaftet, eingesperrt, verlor meinen Job, bin finanziell am Ende, wurde mit Vorwürfen eingedeckt. Dabei habe ich von Anfang an meine Unschuld beteuert.” Sein Vorgesetzter Jürgen H. habe jahrelang sein Vertrauen missbraucht, ihn und andere belogen, betrogen und verleugnet.

Auch die derzeit suspendierte Vizepräsidentin am Bezirksgericht Feldkirch, Kornelia Ratz, schlug in ihrem Schlusswort in die selbe Kerbe: “Ich wurde von Jürgen H. ausgehorcht und missbraucht, das darf nicht unter den Tisch gekehrt werden”, erklärte die 48-Jährige und wandte sich an Richter und Schöffen: “Es darf nicht sein, dass Sie ihm mehr glauben, als mir.” Sie habe H. weder angerufen, noch ein gefälschtes Testament bestellt und bat um einen Freispruch.

Die beiden Rechtspfleger Clemens M., 52, und Walter M., 72, – der Pensionist wurde von H. als Vater der Testamentsfälschungen bezichtigt – hielten sich in ihren Reden kurz und wiesen ein Wissen über Manipulationen und ihre Beteiligung an den Fälschungen zurück. Wie die anderen Angeklagten auch, befänden sie sich in einer psychischen Ausnahmesituation und hätten dem Verfahren nur dank Medikamenten folgen können. Beide baten um einen Freispruch.

Ganz am Ende kam noch Peter H. zu Wort, der Freund und Komplize des Hauptangeklagten Jürgen H.: “Ich entschuldige mich bei den Geschädigten und bereue zutiefst, dass ich mich zu den Verfehlungen überreden habe lassen. Noch mehr bedaure ich mein grenzenloses Vertrauen zu Jürgen H, ohne mich dabei aus der Verantwortung reden zu wollen.” Zuvor hatte sein Verteidiger Peter Cardona in seinem Schlussplädoyer um Nachsicht gebeten. Sein geständiger und bisher unbescholtener Mandant habe die durch die Fälschungen lukrierten Gelder im Ausmaß von 1,3 Millionen Euro sorgfältig verwaltet und zudem zwei Eigentumswohnungen zur Schadenswiedergutmachung eingebracht.

Urteile am 31. Juli

Im “Testamentsfälscher”-Prozess sind insgesamt zehn Personen angeklagt, darunter fünf Justizbedienstete. Sie sollen von 2001 bis 2008 in 18 Verlassenschaftsverfahren 16 Testamente und zwei Schenkungsverträge manipuliert oder dazu beigetragen haben, um sich und Angehörige zu bereichern. Der inkriminierte Gesamtschaden beträgt zehn Millionen Euro, 158 Geschädigte sind bekannt. Vier geständige Angehörige von Jürgen H. wurden im Laufe des Prozesses bereits schuldig gesprochen. Zwei Urteile davon sind rechtskräftig. Die noch ausstehenden Urteile werden laut Gerichtspräsident Hans Rathgeb am 31. Juli 2012 im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts verkündet werden.

(APA)

Nachlesen: Die Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft

Liveticker: Der 21. Verhandlungstag in Salzburg

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