AA

Der Krimi um das Nazi-Testament

©VN/ Andreas Uher
Testamentsaffäre. Richterin Ratz und ihre Verwicklungen ins Nazi-Testament des behinderten Willi M.
"Gab keinerlei Anhaltspunkte"
Letzter Wille soll sicherer werden
Prüfverfahren eingeleitet
Stimmung im Bezirksgericht
"Das Vertrauen ist weg"
Das Wühlen in einem Sumpf
Fall Anna H.: So wurde gefälscht!
BH: Rund 20.000 Euro abgezweigt
Affäre wird zur Schlammschlacht
Staatsanwaltschaft in Personalnot

Angst vor Euthanasie. Das gefälschte Testament von Willi M., dem Cousin des Großvaters von Vize-Gerichtspräsidentin Kornelia Ratz, birgt Sprengstoff. Kriegs-Sprengstoff aus der Nazizeit.

Fälscherwerkstatt

In ihrer Fälscherwerkstatt haben Gerichtsbedienstete des Dornbirner Bezirksgerichts nach derzeitigem Kenntnisstand auch davor nicht zurückgeschreckt, Nazi-Testamente zu fälschen. Mit alten Schreibmaschinen, Tinte, Hakenkreuzen und Nazi-Stempelmarken – alles inklusive. Das gerichtliche Testament, datiert auf Montag, den 20. März 1944, als die Nationalsozialisten in Vorarlberg das Sagen hatten, wirft zahlreiche Fragen auf. Wie die VN in der Vorwoche berichteten, starb Willi M. im Jahr 2004. Nun muss man wissen, dass Willi M. behindert war – und weite Teile seines Lebens unter Sachwalterschaft stand. Zuletzt war Kornelia Ratz‘ Tante Sachwalterin. Die Tatsache, dass er 1944 vor dem damaligen “Amtsgericht Dornbirn” (unter Vorstand Dr. Ludwig Hirn, einem NSDAP-Mitglied) einen letzten Willen formuliert haben soll, in dem Ratz‘ Mutter und die besagte Tante als drei-, bzw. vierjährige Mädchen als Erbinnen eingetragen wurden, versetzt weite Teile der Ratz-Verwandtschaft zumindest in Verwunderung. Laut gesetzlicher Erbfolge hätte Willi M. exakt 18 Großnichten und Großneffen gehabt, 16 von ihnen gingen durch das falsche Nazi-Testament leer aus. Als Legatar – also Begünstigter durch zusätzliche Vermächtnisse – wurde der Bruder Markus H. des Gerichtsmitarbeiters Jürgen H. vorstellig. Also hatten sich die Fälscher über Umwege auch selbst eingetragen. Der mittlerweile in U-Haft einsitzende Jürgen H. wirft Kornelia Ratz, wie in der Vorwoche bereits in den VN berichtet, vor, sie hätte die Testamentsfälschung zu ihrem Vorteil in Auftrag gegeben. 12.000 Euro habe die Richterin für ein falsches Testament geboten, so der Vorwurf aus der U-Haft-Zelle. Schlussendlich habe Jürgen H. 23.000 Euro von Ratz erhalten, gibt der mutmaßliche Fälscher offiziell zu Protokoll. Auch eine gewisse Anna-Ida Grabher, pikanterweise Mutter des Lustenauer Bürgermeisters Hans-Dieter Grabher, ist als Begünstigte des Testaments eingetragen. Ida Grabher starb wenige Tage vor der Vollendung des 87. Lebensjahres im Juli 1994, wie es in der VN-Todesanzeige der Familie heißt. Richterin Kornelia Ratz, die die Erbschaftsangelegenheit als kundige Juristin für ihre Mutter erledigte, schrieb die anderen Profiteure aus dem Nazi-Testament an, mit der Aufforderung, sie sollen auf das Erbe verzichten. Hans-Dieter Grabher war perplex. “Meine Mutter sei eine große, engagierte Nationalsozialistin gewesen, hieß es in dem Brief, den wir bekommen hatten – Frau Ratz zweifelte die Rechtmäßigkeit des Erbes an”, schildert Bürgermeister Hans-Dieter Grabher den VN. Empört sei man ob der Nazi-Vorwürfe, für die sich Ratz später entschuldigt habe, gewesen, heißt es aus dem Umfeld der Familie Grabher. Deshalb schrieben der Bürgermeister und seine vier Geschwister der Familie Ratz einen Brief zurück und verzichteten auf das Erbe.

“Keine saubere Sache”

Bürgermeister Grabher kam das Testament, dem Richterin Ratz bis zur ihrer Anzeige im Herbst 2009 vertraute, komisch vor. “Wir waren verwundert, weil unsere Mutter uns nie von diesem anderen Testament erzählt hat”, so Grabher und er fügt hinzu: “Aber nach derzeitigem Kenntnisstand konnte sie das ja auch gar nicht, weil das Testament ja gefälscht war.” Jedenfalls kam die Familie zu einem klaren Schluss: “Meine vier Geschwister und ich haben damals gesagt, dass das keine saubere Sache ist, deshalb haben wir verzichtet.” Die Familie Ratz habe 2005 offenbar noch geglaubt, dass das Testament echt sei, schätzt der Bürgermeister die Situation ein.

Nur halb anerkannt

VN-Recherchen zeigen, dass auch bei der Familie von Gerichtsvizepräsidentin Ratz gewisse Zweifel am Testament bestanden haben müssen. In der von Kornelia Ratz für ihre Mutter erstellten “Schriftlichen Abhandlung”, Zeichen 10A451/04w, wird das Nazi-Testament nur zur Hälfte anerkannt. Nämlich zu jener Hälfte, die der Mutter von Frau Ratz und ihrer Tante zugute kommt. Die Legats-Teile der Testamentsfälscher und der Familie Grabher in Höhe der Hälfte des gesamten Vermögens werden angezweifelt: “Nach Ansicht der Erbinnen entsprach deren Einsetzung nicht dem Willen des Verstorbenen”, schreibt Frau Ratz und gibt für diese juristisch ungewöhnliche Teil-Anerkennung eines Letzten Willens aus der Nazi-Zeit gleich auch eine Rückfragemöglichkeit mit Verweis auf ihren Dienstort an: “Für nähere Auskünfte dazu wird Kornelia Ratz, per Adresse Bezirksgericht Feldkirch, namhaft gemacht”, heißt es in dem Dokument, in dem Kornelia Ratz sonst nicht aufscheint.

Keine Zweifel?

Offenbar veranlasste Kornelia Ratz und ihren Familienzweig Befürchtungen zu dem rechtlichen Spagat der Teilanerkennung, ist aus ihrem Umfeld zu erfahren. Durch das gefälschte Testament hatte man Angst, dass der behinderte Willi M. vom damaligen Dornbirner NaziRichter unter Berücksichtung der Nazi-Euthanasie dazu genötigt worden sei, auch von den Nationalsozialisten bestimmte Personen einzutragen. Zweifel an der Echtheit des gerichtlichen Testaments dagegen hätten zu keinem Zeitpunkt bestanden, beteuert Richterin Ratz.

Cui bono?

Richter fragen sich immer, “Cui bono”, lateinisch für “Wem zum Vorteil”. In diesem Fall hat neben den Testamentsfälschern nachweislich auch die engste Familie von Richterin Ratz profitiert. Ob ihr diese schiefe Optik nun von den Testamentsfälschern in die Schuhe geschoben wurde – Ratz hatte in den VN von einer Retourkutsche gesprochen – oder ob Ratz gar mit den Fälschern kooperiert haben könnte, wie der Verhaftete behauptet, müssen die Gerichte klären. Kornelia Ratz ist derzeit im Urlaub, laut Aussagen von ihrem Anwalt Bertram Grass geschockt und erschüttert, sie möchte auch nicht mehr mit Medien sprechen. Über ihre Suspendierung bis zur Klärung der diffusen Situation ist noch keine Entscheidung gefällt worden.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Vorarlberg
  • Der Krimi um das Nazi-Testament