"Suizid auf Rezept? Konter aus dem Ministerium, heikle Fragen bleiben aber offen ...

Das umstrittene Sterbeverfügungsgesetz, das seit 1. Jänner 2022 in Kraft ist, sorgt für Kritik, auch vonseiten des Vorarlberger Patientenanwalts Alexander Wolf. Angesichts der offenen Fragen hat VOL.AT beim Gesundheitsministerium nachgehakt und aktuellste Zahlen erhalten.
Trotzdem bleiben Fragen offen, etwa ob und wie genau der Tod eines Menschen, der sich für einen individuellen Weg des Ablebens oder auch einen "assisistierten Suizid" entscheidet, in Würde und ohne Komplikationen gewährleistet werden kann.
Sterbeverfügungen: Neue, aktuelle Zahlen aus dem Ministerium
"Mit Stand Juni 2023 wurden österreichweit 198 Sterbeverfügungen errichtet. Die Errichtung einer Sterbeverfügung ist nicht automatisch mit der Abgabe des Präparates gleichzusetzen. Bis dato wurden 160 Präparate abgegeben. Die Anzahl der zum Einsatz gekommenen Präparate befindet sich aktuell im einstelligen Bereich, bis dato wurden 17 Präparate retourniert", heißt es aus dem Gesundheitsministerium.
Für den Vorarlberger Patientenanwalt Alexander Wolf hat das Gesetz seine Tücken, gerade die Durchführbarkeit und die Erhebung valider Zahlen scheinen ihm zu wenig gedacht. Außerdem wünschte er sich im Interview bei Vorarlberg LIVE eine Miteinbindung der ausführenden Organe, bis heute habe man mit der Vorarlberger Patientenanwaltschaft keine Rücksprache gehalten. Im umfangreichen Interview beantwortet das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz viele Fragen, bleibt aber auch Antworten schuldig.

Ruf nach dringender Evaluierung?
"Gesetz noch zu wenig lang in Kraft"
VOL.AT: Wie viele Personen erhielten in Vorarlberg bzw. in Österreich eine Sterbeverfügung seit Inkrafttreten des Gesetzes?
Sozial-Ministerium: Auch die Persönlichkeitsrechte sterbewilliger Personen und ihrer Angehörigen gilt es zu beachten: Angesichts der sehr geringen Zahlen sind bei Auswertungen unter Umständen Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich. Dem steht natürlich das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen gegenüber. Mit den nunmehr vorliegenden Daten werden solche Rückschlüsse zunehmend unwahrscheinlicher. Damit wird die Veröffentlichung einiger wichtiger bundesweiter Zahlen möglich. Die Zahlen werden künftig quartalsweise ausgewertet (jeweils Anfang März, Juni, September und Dezember) und Medienvertreter:innen auf Anfrage kommuniziert, soweit ein Personenbezug ausgeschlossen werden kann.
VOL.AT: Welche Organe, Einrichtungen und Personen sind in Vorarlberg mit der Umsetzung des Sterbeverfügungsgesetzes betraut?
Sozial-Ministerium:Häufig wird eine öffentlich einsehbare Liste von zur Verfügung stehenden Ärzt:innen, Notar:innen und Apotheken gefordert. In der Covid-19-Pandemie waren Ärzt:innen, die Impfungen gegen Covid-19 empfohlen haben, massiven Anfeindungen ausgesetzt. Gleiches gilt für Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Aus diesem Grund wird eine öffentlich einsehbare Liste von Ärzt:innen, die Aufklärungen für die Errichtung einer Sterbeverfügung durchführen, von der Österreichischen Ärztekammer abgelehnt.
Laut den im Gesundheitsministerium vorliegenden Informationen sind in jedem Bundesland sowohl Ärzt:innen als auch Notar:innen und Apotheken für die Abgabe des Präparats verfügbar. Informationen zu die Sterbeverfügung errichtenden Notar:innen und das Präparat ausgebenden Apotheken sind auf Anfrage bei der jeweiligen Standesvertretung erhältlich.
VOL.AT: Welche Personen, Einrichtungen oder Organe sind in die Umsetzung der lebensbeendenden Maßnahmen involviert?
Sozial-Ministerium:Die konkrete Ausführung des lebensbeendenden Entschlusses erfolgt im privaten Rahmen. Das Gesetz sieht davon ab, Suizidassistenz in staatlichen Einrichtungen oder „Suizidstationen“ durchzuführen. Die sterbewillige Person kann eine oder mehrere Personen, die Hilfe leisten, in der Sterbeverfügung angeben. Die lebensbeendende Maßnahme muss jedoch stets die sterbewillige Person selbst durchführen und somit die Herrschaft über den lebensbeendenden Verlauf behalten. Personen, die zwar entscheidungsfähig sind, aber den letzten auslösenden Schritt nicht mehr selbst setzen können, können keinen rechtlich erlaubten assistierten Suizid in Anspruch nehmen.
VOL.AT: Wie wird ein selbstständiger, durch Sterbeverfügung legitimierter Suizid, vonseiten der Behörden, des Staates, überprüft?
Sozial-Ministerium:Sofern Hinweise vorliegen, dass der Tod einer Person in einem unmittelbaren oder mittelbaren kausalen Zusammenhang mit der Einnahme eines Präparats steht, haben Sie als Totenbeschauärzt:in eine gesonderte Meldung an den für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister zu erstatten.
VOL.AT: Wie viele Ärzte sind in Vorarlberg befugt, eine Sterbeverfügung auszustellen?
Sozial-Ministerium: Im 4. Quartal 2021 hatten in Österreich bereits über 3500 Ärzt:innen eine palliative Qualifikation erworben - entweder das ÖÄK-Diplom für Palliativmedizin oder die neue Spezialisierung für Palliativmedizin.
VOL.AT: Wie steht es um die Abgabe der lebensbeendenden Präparate, welche Apotheken sind dazu befugt?
Sozial-Ministerium:Die Abgabe eines Präparats und der erforderlichen Begleitmedikation kann nur in einer öffentlichen Apotheke erfolgen.
VOL.AT: Wie stehen Sie zur Kritik vonseiten des Patientenanwalts oder auch der Palliativeinrichtungen, dass dieses Gesetz dringend evaluiert gehört?
Sozial-Ministerium:Das Sterbeverfügungsgesetz ist seit knapp einem Jahr in Kraft. Dies ist eine sehr kurze Zeitspanne, um die Auswirkungen des Gesetzes in ihrer Gesamtheit betrachten zu können.
VOL.AT: Wie stehen Sie zu folgenden Kritikpunkten:
- Wie ist das Ableben genau geregelt? Wer überprüft die korrekte Einnahme des Präparats?
- Wieso besteht bei der Einnahme keine Meldepflicht gegenüber einem Totenbeschauer oder der Polizei? Könnte ein Mensch so nicht wochenlang in seiner Wohnung verwesen, unbemerkt?
- Wie werden Personen, die den Suizid assistieren, betreut, vor- und nachbereitet?
Sozial-Ministerium:Eine Sterbeverfügung kann nur eine Person errichten, die entweder
• an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder
• an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen, wobei für beide Fälle gilt, dass die Krankheit einen für die betroffene Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringt.
Die Abgabe eines Präparats darf nur in der in der vorgelegten Sterbeverfügung angegebenen Dosierung in der vorgesehenen Applikationsform samt der erforderlichen Begleitmedikation abgegeben werden. Die Abgabe darf nur an die sterbewillige Person selbst oder an eine Person erfolgen, die in der Sterbeverfügung namentlich genannt ist.
(VOL.AT)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.