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Verheerendes Zugunglück in Spanien reißt 80 Menschen in den Tod

Zugsunglück in Spanien fordert Tote.
Zugsunglück in Spanien fordert Tote. ©APA/ EPA/ Oscar Corral
Ein Land steht unter Schock: Überhöhte Geschwindigkeit hat wohl das schwerste Zugunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren verursacht. Mindestens 80 Menschen starben, als der Hochgeschwindigkeitszug "Alvia" am Mittwochabend in einer Kurve bei Santiago de Compostela aus den Gleisen sprang. Etwa 178 weitere Passagiere des Unglückszuges wurden verletzt, 36 von ihnen befinden sich in kritischem Zustand. Den Helfern an der Unglücksstelle boten sich schreckliche Bilder.
Zugunglück fordert 78 Tote
Schnellzug in Spanien entgleist
Aufräumarbeiten nach Unglück
Schwere Zugunglücke in Europa
Die Pilger-Metropole Santiago

Der Unglückszug hatte sich auf der Fahrt von Madrid zur Küstenstadt El Ferrol im Nordwesten Spaniens befunden. Viele Reisende waren zum bevorstehenden Jakobsfest nach Santiago de Compostela unterwegs.

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Der mit mehr als 220 Passagieren besetzte Schnellzug war in einer engen Kurve etwa vier Kilometer vor dem Bahnhof Santiago de Compostela aus den Schienen gesprungen und wurde in mehrere Teile zerrissen. Die Tragödie ereignete sich am Abend 20.42 Uhr in der Pilger-Metropole an einer Stelle, an der die Gleise in einer relativ engen Kurve verlaufen. Augenzeugen berichteten der Zeitung “La Voz de Galicia” bereits am Mittwochabend, der Zug sei ungewöhnlich schnell in die Kurve eingebogen.

Waggons auseinandergerissen

Alle 13 Waggons des Zuges wurden auseinandergerissen und sprangen aus den Schienen. Einige Wagen prallten neben den Gleisen gegen eine Mauer und stürzten um, andere Waggons verkeilten sich ineinander. Ein Wagen flog sogar über die Begrenzungsmauer hinweg. Einige Wagen waren so sehr zerstört, dass es Stunden dauerte, bis die Rettungskräfte sich den Weg ins Innere bahnen konnten.

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twitter.com/AlenPerz ©twitter.com/AlenPerz

Tempo 190 statt 80

Schwer erträglich macht die Katastrophe der Umstand, dass offenbar menschliches Versagen die Ursache für das Unglück war: Der Zug fuhr in der gefährlichen Kurve, in der eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern gilt, vermutlich mehr als doppelt so schnell. “Ich bin 190 (Stundenkilometer) gefahren!”, rief der Lokführer kurz nach dem Unfall.

Lokführer räumt überhöhtes Tempo ein

Der Lokführer selbst habe am Donnerstag nach Angaben der Ermittler bereits eingeräumt, viel zu schnell gefahren zu sein. Offenbar habe der Lokführer des Hochgeschwindigkeitszugs eine Verspätung aufholen wollen. Es wurde aber zunächst nicht klar, ob die Aussage des Lokführers unter Schock erfolgte, was ihren Wahrheitsgehalt in Frage stellen würde.

Die staatliche Bahngesellschaft Renfe warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen. Renfe-Präsident Julio Gómez-Pomar erklärte, der Unglückszug sei am Morgen vor dem Unfall inspiziert worden. Er bezeichnete den Lokführer als erfahren und wies darauf hin, dass der 52-Jährige seit mehr als einem Jahr auf der Unglücksstrecke im Dienst gewesen sei.

“Wir sind entgleist! Was können wir tun?”

Einer von ihnen soll nach Informationen der Zeitung in einem Gespräch mit seinen Vorgesetzten immer wieder in sein Handy gerufen haben: “Wir sind entgleist! Was können wir tun?”

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vid459 ©AP

Lokführer: “Ich hoffe, niemand ist tot”

Per Funk gab er nach Angaben der spanischen Zeitung “El Pais” durch: “Ich hoffe, niemand ist tot, sonst wird das ewig mein Gewissen belasten.” Die spanische Bahn schloss ein technisches Versagen am Zug bereits am Donnerstag aus.

Lokführer und Assistent nahezu unverletzt

In dem Zug waren ein Lokführer und sein Assistent unterwegs. Beide überlebten nahezu unverletzt.

Schockvideo zeigt Crash

Eine Überwachungskamera hat das schwere Zugunglück in Spanien am Mittwochabend gefilmt. Der nur einige Sekunden lange Film verbreitete sich am Donnerstag rasant im Internet. Auf dem Video ist zu sehen, wie der Zug in die Kurve rast, aus den Gleisen springt, umkippt und gegen eine Betonwand prallt. Staub und Kies wirbelt auf – dann bricht das Bild ab:

(Quelle: YouTube/ Daniel Ríos Meizoso)

Der spanischen Zeitung “El País” (Online-Ausgabe) zufolge gehörte die Überwachungskamera dem Betreiber der Eisenbahn-Infrastruktur. Demnach tauchte das Video zuerst auf Youtube auf. Wer es hochgeladen hatte, war zunächst nicht bekannt.

Tragödie fordert 80 Menschenleben

In den Tod gerissen hat das schwerste Zugsunglück in Spanien seit 1944 laut einem Vertreter der spanischen Regierung in der Region Galicien, Samuel Juarez, mindestens 80 Menschen. Wie die Regionalbehörden in Galicien am Donnerstag mitteilten, wurden 178 Fahrgäste verletzt. 36 von ihnen befanden sich in kritischem Zustand. Ob unter den Opfern auch Ausländer waren, stand zunächst nicht endgültig fest. Die Gerichtsmediziner wiesen darauf hin, dass die Identifizierung der Toten einige Zeit in Anspruch nehmen werde. 

Keine Österreicher unter Opfern

“Österreicher sind nach vorläufigem Wissensstand nicht unter den Opfern. Allerdings ist einer der Waggons ausgebrannt, die Identität aller Opfer steht noch nicht fest”, sagte Martin Weiss, Sprecher des Außenministeriums in Wien, auf APA-Anfrage. Es gebe bisher aber keinerlei Hinweise auf Österreicher wie etwa Anfragen Angehöriger. Den spanischen Behörden zufolge sind auch Ausländer unter den Verletzten. Zunächst war von Briten und US-Bürgern die Rede.

Bilder des Schreckens

Ein Großaufgebot an Rettungskräften barg Tote und Verletzte aus den zertrümmerten Waggons. An der Unglücksstelle boten sich schreckliche Bilder. Vor den umgestürzten und ineinander verkeilten Zugwaggons, die sich meterhoch auftürmen, lagen die Leichen in einer langen Reihe, nur notdürftig mit Decken und Handtüchern abgedeckt. Blutüberströmte Verletzte wurden aus den Trümmern gezogen.

AP/  El correo Gallego/Antonio Hernandez
AP/ El correo Gallego/Antonio Hernandez ©AP/ El correo Gallego/Antonio Hernandez

Die Bergungsmannschaften durchsuchten am Donnerstagmorgen die beiden am schwersten zerstörten Waggons und stellten fest, dass sich dort keine weiteren Opfer befanden. An der Unfallstelle hatten die ganze Nacht über Rettungskräfte gearbeitet. Die Menschen wurden zu Blutspenden aufgerufen.

Anrainer eilen Verletzten zu Hilfe

Mehrere Anrainer waren die ersten Helfer, die zur Stelle waren. “Wir haben die Scheiben der Waggons eingeschlagen und Tote und Verletzte ins Freie gezogen”, berichtete einer von ihnen der Zeitung “La Voz de Galicia”. Einige Anrainer wollten kurz vor dem Entgleisen des Zuges einen lauten Knall oder eine Explosion gehört haben.

“Das erste, was ich sah, war eine Frauenleiche”

Der 39-jährige Francisco Otero berichtet, Nachbarn hätten mit Spitzhacken, Vorschlaghämmern, Handsägen  und den bloßen Händen versucht, Menschen aus dem Wrack zu befreien, noch bevor die Rettungskräfte eintrafen. “Das war alles so unwirklich.” Er sei eine Minute nach dem Unfall vor Ort gewesen: “Das erste, was ich gesehen habe, war die Leiche einer Frau.” Eine bedrückende Stille und “ein bisschen Rauch” habe über der Unglücksstelle gelegen.

“Wir haben versucht, ins Freie zu kommen”

“Es passierte so schnell”, sagte ein Überlebender dem Radiosender Cadena Ser. Der Zug habe sich in einer Kurve verdreht, danach hätten sich die Waggons aufgetürmt. “Eine Menge Menschen wurde zu Boden gedrückt. Wir haben versucht, ins Freie zu kommen, und bemerkten dabei, dass der Zug in Flammen stand. Ich habe Leichen gesehen.”

Video – Augenzeugen berichten:

Gleich nach dem Unglück stieg eine Rauchwolke über der Unfallstelle auf.

“Ich hörte wie einen Donnerschlag”, erinnert sich Maria Teresa Ramos. “Leute haben geschrien. Ich sah den Zug auf der Seite liegen. Niemand hier hat je so eine Katastrophe gesehen.” Die 62-Jährige ist noch Stunden nach dem verheerenden Zugsunglück völlig erschüttert.

In ihrem Vorgarten sitzend beobachtet Ramos Donnerstagfrüh die Rettungskräfte, die mit zwei riesigen weißen Kränen versuchen, die zerstörten Waggons zu bergen:

AP/ Lalo Villar
AP/ Lalo Villar ©AP/ Lalo Villar

Ramos und ihre Freunde waren am Mittwochabend mit Decken und Handtüchern zu der Unfallstelle direkt vor ihrer Haustüre gerannt, um die Opfer zu versorgen.

Behörden: Kein Terroranschlag

Das spanische Innenministerium schloss bereits am Mittwochabend aus, dass ein Terrorunschlag die Ursache der Katastrophe gewesen sein könnte. Auch die Regierungssprecherin hatte kurz vor der Krisensitzung der Regierung bekanntgegeben, man gehe derzeit davon aus, dass es sich bei der Entgleisung des Personenzugs in Santiago de Compostela um einen Unfall handelte. Dies sei “die wichtigste Arbeitshypothese”.
Anlass für Spekulationen in diese Richtung waren Augenzeugenberichte, wonach unmittelbar vor der Entgleisung des Zugs eine Detonation zu hören gewesen sei. Das verheerende Unglück weckte in der spanischen Öffentlichkeit Erinnerungen an die islamistischen Anschläge auf Regionalzüge in der Hauptstadt Madrid im Jahr 2004, bei denen 191 Menschen ums Leben kamen.

“Wie Dantes Inferno”

Der an den Unglücksort geeilte Regionalpräsident von Galicien, Alberto Nunez Feijoo, sprach von einem “schockierenden” Anblick. “Das ist wie Dantes Inferno.”

EPA/ Lavandeira Jr.
EPA/ Lavandeira Jr. ©EPA/ Lavandeira Jr.

Feierlichkeiten weichen Schock und Trauer

Santiago de Compostela ist die Hauptstadt Galiciens und ein wichtiges Pilgerzentrum, das jährlich zehntausende Menschen anzieht. Die Katastrophe ereignete sich just am Vorabend des großen Jakobsfestes, das jedes Jahr am 25. Juli in der weltberühmten Pilgerstadt gefeiert wird. Die Weltkulturerbe-Stadt, in der der Jakobsweg für katholische Pilger endet, sagte das Fest zu Ehren ihres Heiligen umgehend ab. Normalerweise drängen sich Menschenmassen beim Jakobsfest in den engen Gassen der Altstadt rund um die imposante Kathedrale.

Galizien ruft siebentägige Trauer aus

In ganz Galicien, der nordwestspanischen Region, deren Hauptstadt Santiago ist, wurden nun offiziell sieben Tage Trauer ausgerufen. Für Spanien drei Trauertage. König Juan Carlos und der Thronfolger Felipe sagten am Donnerstag alle offiziellen Termine ab, wie der Königspalast mitteilte.

Trauergottesdienst: Santiago beweint Opfer

Statt der alljährlichen Feiern zum Jakobsfest ist in der Kathedrale von Santiago de Compostela am Donnerstag ein Trauergottesdienst für die Opfer abgehalten worden. Mehrere hundert Gläubige versammelten sich in dem ehrwürdigen Gotteshaus, um der etwa zweistündigen Messe beizuwohnen, bei der Erzbischof Julian Barrio für das Seelenheil der 78 Toten betete.

EPA/ Xoan Rey
EPA/ Xoan Rey ©EPA/ Xoan Rey

Experten warnten vor “problematischer” Kurve

Der Zug bediente die Strecke von der Hauptstadt Madrid in die Küstenstadt El Ferrol. Es handelte sich um einen Hochgeschwindigkeitszug, der mit Geschwindigkeiten von bis zu 350 Stundenkilometer unterwegs ist. Rund um die Pilgerstadt Santiago de Compostela muss der Zug jedoch mit reduzierter Geschwindigkeit fahren, da die Strecke dort viele Kurven aufweist, so “ABC”. Die Züge vom Typ “Alvia” zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl auf der europäischen Normalspur des Hochgeschwindigkeitsnetzes als auch auf den traditionellen spanischen Breitspurgleisen fahren können.

Die Katastrophe ereignete sich auf einem Neubau-Abschnitt des Hochgeschwindigkeitsnetzes der spanischen Bahn. Die Kurve an der Unglücksstelle ist relativ eng. Experten hatten bei der Planung der Strecke darauf hingewiesen, dass die Kurve “problematisch” sei.

Spanischer Ministerpräsident am Unglücksort

Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy, der selbst aus Santiago stammt, besuchte am Donnerstag die Unfallstelle und sprach mit Verletzten und Angehörigen von Opfern der Katastrophe. “Wie alle wissen, ist heute ein sehr schwieriger Tag”, sagte der Regierungschef. “Wir haben ein schreckliches, dramatisches Unglück erlebt, das wir, wie ich fürchte, noch lange in Erinnerung haben werden.”

EPA/ Lavandeira Jr.
EPA/ Lavandeira Jr. ©EPA/ Lavandeira Jr.

Drittschwerstes Bahnunglück

Das Katastrophe war das drittschwerste Bahnunglück in der spanischen Geschichte. 1944 kamen bei einer Zugkollision bei León im Norden des Landes wahrscheinlich mehr als 500 Menschen ums Leben; die Zensur der Franco-Diktatur bezifferte die Zahl der Opfer auf 78. Im Jahr 1972 forderte ein Zugunglück in Andalusien 86 Menschenleben.

(APA/ dpa/ sda/ red)

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