Tiergarten Nürnberg will Paviane töten - Artenschutz als Begründung

Eine Entscheidung, die nicht nur in Nürnberg, sondern europaweit Diskussionen auslöst.
Ein präzedenzloser Fall wirft Fragen auf
Ein Aufschrei ging durch ganz Europa, als vor knapp zehn Jahren ein Zoo in Kopenhagen einen jungen, gesunden Giraffen-Bullen tötete und sein Fleisch an die Raubkatzen verfütterte. Die Bilder von der Szene, als sich die Löwen vor Zuschauern über die Giraffen-Teile hermachten und Kinder sich bei dem Anblick die Augen zuhielten, gingen um die Welt. Die Frage, die dahintersteht, ist bis heute genauso aktuell wie unbeantwortet: Dürfen zoologische Gärten einzelne Tiere töten, um die Arten zu erhalten und die Population zu managen?
Nürnbergs Pavianproblem
Nürnberg. Der Tiergarten Nürnberg macht jetzt einen Schritt nach vorn: Seit Jahren haben die Franken Probleme mit ihrer Pavian-Population. 45 Exemplare der kleinen Guinea-Paviane leben derzeit in Nürnberg. Für den Arterhalt sind nicht alle Tiere brauchbar. Zu viele Exemplare eines Geschlechtes können ein Problem sein, Inzuchtproblematiken, die soziale Struktur in der Gruppe - oder schlichtweg das Platzangebot. Der Tiergarten will dafür werben, dass es auch bei Arten wie Pavianen vernünftig sein kann, einzelne Exemplare zum Wohle der gesamten Art zu töten.

Herausforderungen in der Populationskontrolle
In Nürnberg lebt etwa jeder fünfte der 220 Guinea-Paviane Europas - in einer Anlage, die einst auf 25 Tiere ausgelegt war. Das Problem ist auch eine Folge des Erfolgs der Zoos. Bis in die 1980er-Jahre war die Vermehrung von Zootieren, vor allem bei schwer zu haltenden Arten, keineswegs garantiert. In den Jahren danach gelang es mehr und mehr, die Haltungsbedingungen so anzupassen, dass die Tiere Nachwuchs produzierten. Inzwischen gibt es wieder mehr Einzeltiere - aber nicht unbedingt die richtigen im Sinne der Arterhaltung.
Bisherige Lösungsversuche und deren Konsequenzen
Bei den Pavianen hat der Tiergarten Nürnberg nach Darstellung seines Direktors Dag Encke bereits einiges versucht, um die Subpopulation in die richtigen Bahnen zu lenken. Fünf Exemplare wurden nach Paris abgegeben, elf weitere nach China. 15 Tiere, die ebenfalls nach China sollten, blieben in Nürnberg, weil die Haltungsbedingungen fragwürdig gewesen wären.
In Nürnberg selbst erprobt der Tiergarten seit Jahren alles Mögliche, um das Problem in den Griff zu bekommen. Rund 20 Weibchen wurden sterilisiert - vorübergehend wie man irrigerweise annahm. Die Tiere wurden aber nicht mehr trächtig - mit langfristigen Folgen für die Sozialstruktur und auch für die genetische Diversität. Denn nur noch ein Teil der Gruppe kann sich fortpflanzen. «Wir haben den Genpool noch einmal eingeengt und die Sozialstruktur ziemlich zerschossen», resümiert Encke. Die sterilen Weibchen hätten keine Aufstiegschancen mehr in der Gruppen-Hierarchie.
Die ethische Dimension des Artenschutzes
«Im Artenschutz befinden wir uns in einem menschengemachten Dilemma, das uns allen Entscheidungen abverlangt, die sich nicht gut anfühlen», sagt Tiergarten-Chef Encke. «Wir sind dennoch in der Verantwortung. Es ist ein Gebot der Vernunft, dass wir sie annehmen.» Bei Huftieren wie Schafen, Rindern oder Ziegen, bei Vögeln oder Kängurus wird das Töten zum Populationsmanagement bereits praktiziert. «Dort, wo wir glauben, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt».
Rechtliche und gesellschaftliche Herausforderungen
Rechtlich geraten Encke und seine Kollegen mit ihren Plänen in eine Grauzone. «Wir werden mit hundertprozentiger Sicherheit angezeigt», sagt Encke. Ob sich das Vorhaben dann als Straftat herausstellt, könne man erst im Nachhinein wissen - eine Zwickmühle. Für das Töten braucht es laut Tierschutzgesetz einen «vernünftigen Grund». Ob der vorliegt, ist eine Frage der Sichtweise.
Kritik und Verantwortung
Vom Deutschen Tierschutzbund kommt umgehend Protest. «Einen Freibrief zur Tötung als Teil des Populationsmanagements lehnen wir klar ab», heißt es in einer Stellungnahme. Zoos hätten eine Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Individuum in ihrer Obhut, der sie gerecht werden müssten. «Wenn das nicht möglich ist, muss auf die Haltung der Tierart verzichtet werden.»
(VOL.AT)
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