Rente statt Trauer: Mann versteckt tote Mutter im Waschraum
Die alte Dame hatte sich schick gemacht. So wie man das früher nicht nur in Italien tat, bevor man aufs Amt ging. Ein Hauch von Make-up, die Haare frisch frisiert, Lack auf den Nägeln. Dazu Ohrringe, Absatzschuhe und Handtasche. So spazierte Graziella Dall'Oglio mit dem Stock in der Hand zur Meldebehörde von Borgo Virgilio. Das Video einer Überwachungskamera zeigt, dass sie für eine 85-Jährige noch einen kräftigen Schritt hatte.
In Wirklichkeit war die alte Dame schon drei Jahre tot. Und die Frau, die auf der Meldebehörde einen neuen Personalausweis beantragen wollte, war auch gar keine. Vielmehr handelte es sich um den 57 Jahre alten Sohn, der sich Frauenkleider angezogen hatte, um weiterhin die Rente seiner 2022 verstorbenen Mutter kassieren zu können - ohne neuen Ausweis ging das nicht mehr. Die Leiche hatte der allein lebende Mann Erkenntnissen der Polizei zufolge zu Hause versteckt.
Szene wie in einer Travestiekomödie
Als der Sohn auf der Meldebehörde von einer stutzig gewordenen Angestellten enttarnt wurde, erlitt er einen Schwächeanfall. Dabei stellte sich sogleich heraus, dass er Perücke trug. Jetzt ermittelt die Polizei wegen Betrugs, Täuschung und Verstoßes gegen die Bestattungspflicht. Der Fall aus der 15.000-Einwohner-Stadt in der Nähe von Mantua sorgt in Italien für viel Diskussionsstoff.
Nicht nur, weil das Passfoto, das von dem Mann in Frauenkleidern entstand, einigen Grund zur Heiterkeit bietet: Zwar besteht durchaus Ähnlichkeit zur Mutter, aber viele fühlen sich auch an Travestiekomödien wie "Tootsie" oder "Mrs. Doubtfire" erinnert. Vor allem aber ist systematischer Betrug, um die Renten verstorbener Angehöriger zu beziehen, in dem chronisch überalterten Land längst kein Einzelfall mehr. Mit 48,7 Jahren liegt das Durchschnittsalter so hoch wie in keinem anderen Land der EU. Von den knapp 59 Millionen Italienern sind mehr als 13,2 Millionen Rentner.
Rente von verstorbener Verwandter über 20 Jahre hinweg
In den vergangenen Jahren flogen immer wieder Menschen auf, die das Ableben naher Verwandter nie gemeldet hatten. Im Großraum Neapel bezog eine Frau fast sieben Jahre lang die Rente ihrer verstorbenen Mutter, alles in allem etwa 80.000 Euro. In Tarent, noch weiter im Süden, ließ sich eine Frau 20 Jahre lang die Pension ihrer toten Nichte auszahlen. Als das doch irgendwann auffiel, war sie auch schon 73. In Mailand kassierte ein 50-Jähriger jeden Monat 1.700 Euro für seine tote Mutter, die er im Schlafzimmer eingemauert hatte.
Andere Verstorbene waren in Kellern, Gärten und selbst gezimmerten Särgen versteckt oder auch tiefgefroren in der Kühltruhe. In Borgo Virgilio lehnte die tote alte Dame nach italienischen Medienberichten im Waschraum mumifiziert an der Wand. Ihr Sohn, ein ausgebildeter Pfleger, inzwischen arbeitslos, hatte seine Medizinkenntnisse genutzt, um den Leichnam zu präparieren.
Wissenschaftler zweifelt an Statistik über hohe Lebenserwartung
Eine zuverlässige Statistik, wie viele solche Delikte landesweit aufgedeckt wurden, gibt es nicht: In Italien existieren verschiedene Strafverfolgungsbehörden, die zudem dezentral arbeiten. Vermutet wird, dass die Zahl in die Tausende geht. Systematische Kontrollen gibt es keine. Zudem werden die Datenbanken von Rentenkassen und Sterberegister manchmal erst mit großer Verspätung abgeglichen. Der Wissenschaftler Saul Newman von der Universität Oxford meint deshalb, dass Italiens vermeintlich hohe Lebenserwartung von aktuell 84,1 Jahren in Wahrheit gar nicht so hoch ist.
Vor allem in ländlichen Regionen, wo die Leute keine unmittelbaren Nachbarn haben, reizt das System offensichtlich zu Betrug. So war das auch in Borgo Virgilio: Niemand wunderte sich, dass die Rentnerin, die mit ihrem Sohn allein wohnte, nicht mehr zu sehen war. In ihrem Namen reichte er die vergangenen Jahre stets ordentlich eine Steuererklärung ein - zuletzt über 53.000 Euro, was sich auch aus der Hinterbliebenenrente des verstorbenen Vaters und Erträgen aus Immobilienvermögen zusammensetzte. Die Unterschrift fälschte er.
Auf dem Amt fiel der Mann in Frauenkleidern dann auch wegen seiner Hände auf: verhältnismäßig groß und auch zu jung für eine 85-Jährige. Die zuständige Beamtin bestellte ihn für den Tag danach unter einem Vorwand abermals ein. Dann wartete die Polizei. Die Ermittler gaben sicherheitshalber eine Obduktion in Auftrag: Seine Mutter starb eines natürlichen Todes.
(dpa)
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