Rekordfund in Europa: Forscher entdecken riesiges Spinnennetz in Schwefelhöhle
Ein Forschungsteam rund um den Biologen István Urák hat in einer abgelegenen Höhle an der albanisch-griechischen Grenze ein Naturphänomen entdeckt, das selbst abgebrühte Wissenschafter ins Staunen versetzt: In der sogenannten "Sulfur Cave" spannt sich das wohl größte dokumentierte Spinnennetz der Welt – rund 106 Quadratmeter klebrige Fläche, besiedelt von mehr als 111.000 Spinnen zweier Arten. Ein Zusammenleben dieser Größenordnung ist in der Welt der Achtbeiner bislang einzigartig dokumentiert worden.
Dunkelheit, Schwefel, Spinnen – ein Ort wie aus einem Albtraum
Die Höhle, etwa 500 Meter tief im Kalkgestein verborgen, verströmt den beißenden Geruch von Schwefelwasserstoff. Am Eingang: ein dicht gewobenes Gewirr aus Trichternetzen, ineinander verschmolzen zu einem einzigen gigantischen Bauwerk. Was für viele nach einem Stoff für Horrorfilme klingt, ist für Urák ein Ort der Ehrfurcht. Gegenüber dem Wissenschaftsportal "Livescience.com" sagte er: "Würde ich versuchen, all die Emotionen in Worte zu fassen, die mich überwältigten, würde ich vor allem Bewunderung, Respekt und Dankbarkeit hervorheben."
Ein Ökosystem jenseits des Sonnenlichts
Die Bedingungen in der Höhle sind extrem – und doch floriert dort ein ganz eigenes Ökosystem. Verantwortlich dafür ist ein schwefelhaltiger Bach, der durch die Höhle fließt. Die Energiegrundlage liefern Mikroorganismen, die Schwefelverbindungen verstoffwechseln und dichte Biofilme bilden. Diese dienen wiederum als Futterquelle für kleine Höhlenbewohner wie Asseln, Springschwänze und Mückenlarven.
Mittlerweile haben Forscher über 40 verschiedene Tierarten in der Höhle nachgewiesen – darunter auch Fische, Skorpione, Fledermäuse und Hundertfüßer. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses steht jedoch das Spinnennetz, das sich am Höhleneingang ausbreitet.
Zwei Arten, ein Netz – ein biologisches Rätsel
Im Netz leben zwei Spinnenarten Seite an Seite: etwa 69.000 Hauswinkelspinnen (Tegenaria domestica) sowie rund 42.000 Vertreterinnen der kleineren Baldachinspinne (Prinerigone vagans). Beide Arten sind auch in Mitteleuropa verbreitet – jedoch leben sie üblicherweise als Einzelgänger. Dass sie hier in einer Art Wohngemeinschaft koexistieren, ist in der Arachnologie bislang beispiellos. Bisher kennt man vergleichbare Spinnenkolonien nur aus tropischen Regionen – nie aber aus Höhlen in Europa.
Die Erklärung der Forschenden: der außergewöhnliche Nahrungsreichtum der Höhle. Unzählige Zuckmücken, die sich von den schwefelfressenden Mikroben ernähren, schwärmen in der Nähe des Eingangs. Die Spinnen haben also reichlich Beute – vielleicht so viel, dass sie sogar von der Jagd aufeinander absehen. Auffällig: Das Gleichgewicht zwischen den beiden Arten blieb über Jahre hinweg stabil.
Genetische Isolation und Anpassung
Genetische Analysen zeigen: Die Spinnenpopulation in der "Sulfur Cave" hat sich isoliert weiterentwickelt. Es gibt keinen Austausch mit oberirdischen Populationen. Auch das Mikrobiom der Tiere – also die Bakteriengemeinschaften in ihrem Körper – hat sich offenbar an die schwefelhaltige Umgebung angepasst. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Vielfalt dieser Mikroben abgenommen hat, möglicherweise als Reaktion auf die besondere Ernährungssituation.
Die Forschung unter der Leitung von István Urák dauert an – das Team will das komplexe Zusammenspiel der Arten in der Höhle noch genauer untersuchen.
Ein anderer Rekord: Die Spinne, die Flüsse überspannt
Die bisherige Rekordhalterin im Spinnenweben war übrigens die Darwin-Rindenspinne (Caerostris darwini) aus Madagaskar. Trotz ihrer geringen Körpergröße – rund zwei Zentimeter – schafft sie es, Netze mit einer Fläche von bis zu drei Quadratmetern zu bauen. Ihre Ankerfäden können bis zu 25 Meter lang sein und sogar Flüsse überspannen. Auch wenn sie nun im Schatten der Sulfur-Höhlen-Kolonie steht, bleibt ihr Platz im Guinness-Buch der Rekorde unangefochten – denn sie webt ihr Netz im Alleingang.
(VOL.AT)
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