"Lebensmittel sind Überlebensmittel" – Handelsforscher fordern neues Denken

Zwischen Preisdebatte und Wertediskussion
Die österreichische Preisentwicklung bei Lebensmitteln liegt laut Eurostat unter jener von Deutschland und dem EU-Durchschnitt – und dennoch: Der Druck auf Handel, Produzenten und Konsumenten steigt. Genau hier setzen Christoph Teller, Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) an der JKU Linz, und Handelsforscher Ernst Gittenberger an.
Ihr gemeinsamer Kommentar, "leadersnet.at" berichtete zuerst, ruft zur Versachlichung auf: "Preissteigerung und Kaufkraft haben sich nahezu im Gleichschritt entwickelt", schreiben die Forscher laut "leadersnet". Von 2019 bis 2024 stiegen die Lebensmittelpreise in Österreich um 30,1 Prozent – in Deutschland waren es 36,8, im EU-Durchschnitt 34,3 Prozent. Gleichzeitig nahmen die durchschnittlichen Haushaltseinkommen hierzulande um 30,7 Prozent zu.
Ein Land im Preisrausch
Viel gravierender als die Preisentwicklung sehen die Forscher eine schleichende gesellschaftliche Veränderung: Der Preis sei "zum alles dominierenden Kriterium geworden", warnt Christoph Teller in dem Beitrag. Während für Freizeit, Gastronomie und Kultur großzügig Geld ausgegeben wird, macht der Anteil der Lebensmittel am Konsumbudget in Österreich nur etwa zehn Prozent aus – ein europaweiter Tiefstwert.
Auch das Einkaufsverhalten zeige diesen Trend deutlich: Über 30 Prozent der Lebensmitteleinkäufe erfolgen in Österreich im Aktionspreis – Spitzenwert im EU-Vergleich. Gleichzeitig stagniert der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln im Lebensmitteleinzelhandel bei rund elf Prozent – trotz hoher Zustimmung zur Bio-Idee in Umfragen.

Dabei ist Österreich eigentlich ein Bio-Vorreiter: Beim Bio-Anteil im Handel liegt das Land EU-weit auf Platz zwei hinter Dänemark. Auch beim Bio-Flächenanteil in der Landwirtschaft (25,7 %) ist Österreich EU-Spitze. Der Pro-Kopf-Umsatz mit Bio-Lebensmitteln lag 2023 bei 292 Euro – über 50 Prozent mehr als in Deutschland. Und dennoch: Der Aktionsanteil im Lebensmitteleinzelhandel ist mit 30,6 Prozent fast dreimal so hoch wie der Bio-Anteil.
Die Diskrepanz zwischen Haltung und Handlung wird auch durch Studien belegt. "Zwei Drittel der Menschen sagen, dass andere anders einkaufen, als sie denken. Fast die Hälfte gibt das sogar für sich selbst zu", fasst Gittenberger zusammen.
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Österreich: Bio-Land mit Preisparadoxon
- Platz 2 in der EU beim Bio-Anteil im LEH (11,3 % – nur Dänemark liegt davor)
- Bio-Ausgaben pro Kopf 2023: € 292 (über 50 % mehr als in Deutschland)
- 25,7 % der landwirtschaftlichen Fläche sind bio – EU-Spitzenwert
- Aber: Aktionsanteil im LEH liegt bei 30,6 % – fast dreimal so hoch wie der Bio-Anteil
- Diskrepanz: 66 % sagen, andere kaufen nicht so bio wie sie denken – 47 % bei sich selbst
Vom Mangel zur Verschwendung
Eine weitere Schieflage ortet das IHaM beim Thema Lebensmittelverschwendung. Laut Eurostat landen jährlich rund 131 Kilogramm pro Kopf im Müll – über die Hälfte davon in privaten Haushalten. Teller nennt das ein "Wohlstandsphänomen" und stellt die Frage: "Wenn uns Lebensmittel wirklich so viel wert wären, würden wir dann so sorglos mit ihnen umgehen?"
Sein Appell ist klar: Lebensmittel müssten wieder als das gesehen werden, was sie sind – Kulturgut, Ausdruck von Qualität, regionaler Wertschöpfung und letztlich essenziell für unser Leben. "Lebensmittel sind Überlebensmittel. Diese Dimension fehlt in der aktuellen Debatte völlig", so das Fazit der beiden Autoren.
Kritik an der Politik: Oberflächliche Schuldzuweisungen an den Handel
Ihr Kommentar spart auch die politische Dimension nicht aus: Schuldzuweisungen an den Handel seien oberflächlich, so Teller und Gittenberger. Gleichzeitig sei aber auch der Handel gefordert, nachhaltige Strategien zu fördern und faire Preise entlang der Lieferkette zu ermöglichen.
Die zentrale Botschaft bleibt: "Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem wahren Wert von Lebensmitteln – jenseits von Aktionspreisen und Preisskandalen – ist überfällig."
(VOL.AT)
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