Justiz verweist nach Wiener Scharia-Urteil auf "ordre public"-Klausel

In der Debatte um die privatrechtliche Anwendung von "Scharia-Regeln" in Österreich und der Forderung, dieser Praxis einen Riegel vorzuschieben, warnt das rot geführte Justizministerium vor "politischen Schnellschüssen". "Allfällige Änderungen des Internationalen Privatrechtsgesetzes (IPRG) müssen in aller Ruhe diskutiert werden", heißt es in einer Stellungnahme gegenüber der APA, über die am Donnerstag auch das "profil" berichtete.
Fall in Wien löst Diskussion über Scharia aus
Anlass zur Diskussion gibt der Fall zweier Unternehmer, die sich im Fall eines Rechtsstreits auf ein privates Schiedsgericht geeinigt haben, das auf Basis des islamischen Rechts urteilen sollte. Weil einer der beiden mit dem Schiedsspruch nicht einverstanden war, wollte er diesen vor dem Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen (LG) anfechten. Seine Argumentation: Die Scharia werde von Gelehrten verschieden ausgelegt und die Berufung auf diese verstoße gegen Grundwerte des österreichischen Rechts. Das Landesgericht bestätigte den Schiedsspruch allerdings, weil das Ergebnis nicht den österreichischen Grundwertungen widerspreche.
Empörung bei FPÖ, ÖVP und NEOS nach Scharia-Urteil
Für Empörung gesorgt hatte das Urteil zunächst bei den Freiheitlichen. Der blaue Verfassungssprecher Michael Schilchegger ortete darin eine Aufwertung "islamischer Parallelgesellschaften" und eine Schwächung jener "Kräfte, die sich nicht dem Islam unterwerfen wollen". FPÖ-Chef Herbert Kickl will die implizite Anerkennung und Anwendung der Scharia durch österreichische Behörden und Gerichte per Gesetz verunmöglichen.
In ein ähnliches Horn stieß auch die ÖVP. Die Bundesregierung werde "der Anwendung von Scharia-Regeln in Österreich dauerhaft einen Riegel vorschieben", betonte ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti. Im Arbeitsprogramm der Bundesregierung sei ein Vorgehen gegen die Scharia speziell in Bezug auf das Personalstatut festgelegt, denn "dort könnten die mittelalterlichen Rechtsvorschriften der Scharia besonders großen Schaden anrichten". Die Anwendung islamischer Rechtsvorschriften ist für Marchetti aber auch im Zivilrecht "problematisch". Unter dem Deckmantel der Vertragsfreiheit sei versucht worden, "eine islamistisch-fundamentalistische Lebensführung" mitten in Österreich rechtlich zu legitimieren.
Und auch NEOS-Klubobmann Yannick Shetty ließ via Instagram wissen: "In Österreich darf es keine Paralleljustiz geben und auch kein Einfallstor dafür. Bei uns gibt's nur eine Rechtsordnung, und die fußt auf unserer Verfassung", und weiter: "In Österreich entscheidet eine Richterin, kein Imam." Ex-OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Abgeordnete Irmgard Griss konnte gegenüber der "Presse" die Aufregung hingegen nicht nachvollziehen: "Ich sehe hier kein Problem." Denn darüber, welche Regeln in solchen Schiedsverfahren zugrunde liegen sollen, können die Parteien frei entscheiden. Die Privatautonomie in Österreich gewähre hier relativ viel Spielraum, erklärte Griss.
Justizministerium verweist auf geltende Schranken
Auf diesen Sachverhalt verweist auch das Justizministerium: "Grundsätzlich ist festzuhalten, dass österreichische Gerichte nur Regeln anwenden, die mit unseren Wertvorstellungen übereinstimmen." Es greife die sogenannte "ordre public"-Klausel, die besagt, dass Bestimmungen fremden Rechts nicht anzuwenden sind, wenn die Anwendung gegen die Grundwerte der österreichischen Rechtsordnung verstoßen würde.
Das Justizministerium hält zudem fest, dass allfällige rechtliche Änderungen "jedenfalls breit und mit Bedacht abgestimmt" werden müssten. Schließlich wären zahlreiche unterschiedliche Behörden (Gemeindeämter, Standesämter, etc.) betroffen, die etwa mit im Ausland geschlossenen Ehen und Familien zu tun haben.
Arbeitsgruppe vor Konstituierung
Unabhängig vom Anlassfall hat die Koalition in ihrem Regierungsprogramm ohnedies vorgesehen, das österreichische Gesetz über das internationale Privatrecht an die jüngsten Entwicklungen anzupassen. Dafür werde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die demnächst konstituiert werden soll, wie es aus dem Ministerium heißt. Vorarbeiten, wie etwa ein umfassender Ländervergleich, seien bereits abgeschlossen. In dieser Arbeitsgruppe werde freilich auch der aktuelle Fall besprochen werden.
(APA/Red)
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