Junge Generation schweigt am Handy – und verändert die Telefonkultur
"Du hast mich angerufen, also sprich du zuerst" – so oder ähnlich reagieren heute viele Teenager, wenn sie einen Anruf entgegennehmen. Die britische Recruiterin Steff Littleford schildert auf TikTok, wie junge Bewerber ans Telefon gehen, aber kein Wort sagen. In den Kommentaren: Zustimmung von Eltern, Personalern und anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Auch in der Schweiz kennt man das. Die Zürcherin M. (26) etwa rief ihren Bruder an – und hörte erst mal nichts. Auf ihre Nachfrage reagierte er trocken: "Ja, bin ich – was willst du?" Für ihn völlig logisch, dass der Anrufer das Gespräch beginnt.
Warum sagt niemand mehr "Hallo"?
Viele junge Menschen halten eine klassische Begrüßung beim Telefonieren für überholt. "Meine Familie weiß doch, dass ich abhebe – warum sollte ich mich da mit Vor- und Nachnamen melden?", sagt Nino (18). Freunde begrüßt er meist locker mit "Hallo", bei unbekannten Nummern überlegt er zweimal, ob er überhaupt abnimmt.
Ein Umdenken ist längst im Gang – auch bei jenen, die neue Mitarbeitende suchen. Alessio (24), Filialleiter in der Schweiz, berichtet von wortkargen Bewerbern: "Ein kaum hörbares ‚Hallo?!‘ oder gar nichts – das kommt nicht gut an."
Professionelles Telefonieren wird wieder gelehrt
In den USA hat sich aus diesem Trend bereits ein Geschäft entwickelt. Laut "Financial Times" geben Unternehmen bis zu 3000 Dollar am Tag für Telefontrainings aus. Ziel: Mitarbeitenden beibringen, wie man ein Gespräch professionell beginnt – besonders bei Bewerbungsgesprächen oder Kundenkontakten.
Laut einer LinkedIn-Recruiterin hört man am anderen Ende der Leitung oft nur Atmen – selbst bei fix vereinbarten Telefonterminen.
Angst vor dem Anruf
Neben fehlender Begrüßung spielt ein weiteres Phänomen eine Rolle: Telefonangst. Studien des Personalvermittlers Robert Walters zeigen, dass junge Menschen beim Telefonieren Herzrasen oder sogar Zittern erleben. Die Angst, sich zu blamieren oder zu überfordern, sitzt tief.
Viele Colleges bieten mittlerweile Workshops für genau solche Alltagssituationen an: beim Arzt anrufen, ein Taxi bestellen, ein Vorstellungsgespräch führen.
Zwischen Misstrauen und Gewohnheit
Ein anderer Faktor ist das wachsende Misstrauen gegenüber Spam-Anrufen. "Viele wollen zuerst hören, wer da dran ist", erklärt Mentalcoach Judith Wirth. Früher habe man sich mit Vor- und Nachnamen gemeldet, weil Nummern nicht sichtbar waren. Heute erkenne man den Anrufer – und das Verhalten ändere sich entsprechend.
Kein Generationsbruch – eher ein Wandel
Nicht alle aus der sogenannten Gen Z schweigen beim Telefonieren. Viele unterscheiden sehr genau, wer anruft. Bei engen Freunden oder der Familie wird weiterhin gegrüßt – oft auch kreativ: "Kuckuck", "Ciao, Bruder" oder "Bontschur", wie Nadine (24) berichtet.
Doch bei unbekannten Nummern sinkt die Bereitschaft, den Namen zu nennen. "Früher habe ich das gemacht, heute nicht mehr – wegen der vielen Spam-Anrufe", sagt sie. Ein einfaches "Hallo" reicht ihr inzwischen.
(VOL.AT)
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