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Jeden Tag rückt der Rollstuhl näher

Im Gespräch mit W&W-Redakteurin Anja bewies Dietmar trotz seines Schicksals Humor.
Im Gespräch mit W&W-Redakteurin Anja bewies Dietmar trotz seines Schicksals Humor. ©W&W/Omerovic
Dornbirn - Dietmar Böhler (67) aus Dornbirn leidet an HSP – einer weitestgehend unbekannten Krankheit, die jeden treffen kann.

Von Anja Förtsch (Wann&Wo)

Wenn Dietmar Böhler aufsteht, steigt er zuerst für einige Minuten auf die Vibrationsplatte. Danach folgen eine ganze Reihe Dehn-übungen. Und erst im Anschluss kann er sich an den Frühstückstisch setzen. Der Dornbirner ist aber nicht etwa Sportler, der jeden Morgen sein straffes Fitness- und Mobilitätsprogramm durchzieht. Dietmar hat HSP, hereditäre spastische Spinalparalyse. Oder in anderen Worten: Er wird langsam, aber stetig von der Hüfte abwärts gelähmt. „Vor 15 Jahren ist die Krankheit bei mir ausgebrochen, seitdem schreitet sie immer weiter voran“, erzählt er im Gespräch mit WANN & WO. „Es fing mit kurzen, leichten Lähmungserscheinungen in den Beinen an. Mittlerweile mache ich keinen Schritt mehr, wenn ich zuvor länger als 30 Minuten gesessen bin.“ Auch Stress wirkt sich verschlimmernd aus und lässt seine Beine zu Blei werden. „Die ersten Schritte nach dem Aufstehen sind aber die schwersten vom gesamten Tag.“

Keine Hoffnung auf Heilung

Dietmar geht zwar regelmäßig zur Reha und zur Physiotherapie, bekommt Massagen, ist in ständiger ärztlicher Behandlung. Aber all das kann HSP nicht heilen, sondern lediglich das Fortschreiten etwas bremsen. „Es gibt keine Behandlung, keine Medikament dagegen. Es wird auch gar nicht einmal geforscht. HSP ist einfach zu selten, die Pharmafirmen würden zu wenig Geld damit verdienen.“ So unbekannt die Krankheit ist, so schwierig ist oft die Diagnose. „Auch vielen Ärzten ist die Erkrankung unbekannt. Deshalb steht den Betroffenen oft erst einmal ein wahrer Marathonlauf durch die Praxen bevor, bis sie endlich erfahren, woran sie leiden.“ Er selbst hatte Glück im Unglück: Bereits seine Mutter hatte HSP. Die Krankheit ist stark erblich, drei von vier Fällen wurden von Eltern an Kinder weitergegeben. Auch die beiden Geschwister des 67-Jährigen sind betroffen. „Dadurch wusste ich gleich beim Ausbruch, was es ist.“ Leichter machte es das aber nicht: „Es war natürlich trotzdem ein Schock. Ich hatte gehofft, dass es mich nicht treffen würde.“

Hilfe zur Selbsthilfe

Als HSP bei ihm ausbrach, suchte er nach Hilfe. Und fand: keine. „Von 150.000 Menschen ist lediglich einer betroffen – dementsprechend wenige Anlaufstellen gibt es für die Erkrankte und für deren Angehörige.“
Aus diesem Grund hat er vor gut sechs Jahren die erste HSP-Selbsthilfegruppe in Vorarlberg gegründet. Und später auch für ganz Österreich, denn eine solche gab es bis dahin ebenfalls noch nicht. „Wir haben 15 Mitglieder in Vorarlberg, 32 in ganz Österreich.“ Neben der gegenseitigen Unterstützung geht es dabei auch darum, die Krankheit bekanntzumachen. „Wir legen etwa Infomaterial in Krankenhäusern und Arztpraxen aus, gehen an die Medien – wir versuchen alles Mögliche, um diese Krankheit in die Öffentlichkeit zu bringen und vielleicht endlich mehr Forschung in dem Bereich zu erwirken.“

„Kopf ist das Wichtigste“

So schwer die Erkrankung auch ist, Dietmar behält stets seinen Humor – auch wenn seit seiner Diagnose vor 15 Jahren die Lähmungsphasen immer häufiger, die Reaktionszeiten immer länger werden. „Bei einem gesunden Menschen braucht der Impuls zur Bewegung der Beine 0,1 Sekunde vom Kopf bis zum Muskel. Bei mir ist es bereits eine ganze Sekunde“, erklärt Dietmar. Im schlimmsten Fall wartet auf den 67-Jährigen der Rollstuhl. Aber daran denkt er noch längst nicht. „Ich komme noch vom Keller in den ersten Stock. So lange ist alles gut“, sagt er mit breitem Grinsen. „Der Kopf ist das Wichtigste. Vom Aufwachen an denke ich ans Laufen. Daran, wie ich einen Fuß vor den anderen setze.“

Für Betroffene und Angehörige: Selbsthilfegruppe HSP

Mit der von ihm gegründeten Selbsthilfegruppe will Dietmar Böhler Betroffene aufklären und unterstützen. „Unser wichtigstes Ziel ist es, miteinander in Kontakt zu sein, über unsere Krankheit sprechen zu können, besser damit umzugehen und sie akzeptieren zu lernen.“ Betroffene erhalten unter anderem Ratschläge zu Behindertenausweis, Pflegegeld und ähnlichem. Mehr Informationen unter www.hsp-austria.jimdo.com, Kontakt unter hsp.vlbg@gmx.at.

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