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Ist Kirche "Halt" oder "alt"?

Mitglieder-Schwund, Missbrauchs-Skandale, konser-vative Ansichten, LGBTQIA+-Ablehnung – zugegeben, die katholische Kirche scheint für viele, und gerade auch junge Menschen, nicht mehr attraktiv. Ist die Institution noch zeitgemäß und relevant? W&W lud eine Befürworterin und eine Kritikerin zur Diskussion.

WANN & WO: Die katholische Kirche verliert immer mehr Mitglieder – seit Jahren. Überrascht euch diese Entwicklung? Welche Gründe seht ihr dafür?

Rebekka Bacher: Ich muss sagen, mich überrascht das nicht. Für mich stellt sich immer die Frage: Was tun wir als Kirche aktiv, um keine Mitglieder zu verlieren? Und da sehe ich einfach, dass wir ganz viel versäumt haben. Natürlich fragen sich Jugendliche, warum sie in die Kirche gehen sollten, was ihnen das bringt. Da bieten wir als Kirche einfach zu wenig.

WANN & WO: Da gehst du mit deiner eigenen Institution ganz schön hart ins Gericht.

Rebekka Bacher: Ja schon. Aber jammern, dass man Mitglieder verliert und gleichzeitig nichts unternehmen, funktioniert halt nicht. Schlussendlich muss jeder aktiv werden – und ich zähle mich da dazu.

WANN & WO: Jessica, du schaust von außen auf das Ganze. Überrascht dich der Mitglieder-Schwund?

Jessica Fischer: Nein, gar nicht. In meinen Augen ist es die ältere Generation, welche die Kirche wirklich auslebt. Die Jungen sind da weniger involviert. Es werden auch immer weniger durch ihr Elternhaus an die Religion herangeführt und wirklich in die Kirche mitgenommen. So bekommen sie keinen Bezug dazu und sehen keinen Sinn darin, in die Kirche zu gehen. So geht es ja auch mir selbst: Ich sehe keinen Nutzen darin, Mitglied zu sein und meinen Kirchenbeitrag zu zahlen, zumal ich die Angebote gar nicht nutze.

Rebekka Bacher: Da müssen wir als Kirche ansetzen: Den jungen Menschen klar machen, was wir bieten und was sie von der Kirche bekommen können, was der persönliche Glaube für einen Mehrwert hat. Und das aber auch anders gestalten. Bestes Beispiel ist der Sonntagsgottesdienst: Der interessiert Junge, die den Glauben nicht schon von zuhause mitbekommen haben, in traditioneller Form nicht, weil sie auch nicht verstehen, was da passiert. Da braucht es neue Formen und Ideen. Wenn ich eine junge Freundin von mir mit Mitte 20 einlade, sie zum ersten Mal in die Messe geht und dort praktisch „alle“ über 70 Jahre alt sind, dann wird sie nicht nochmal mitkommen. Da braucht es Anknüpfungsangebote.

Fotos, Video: W&W/Förtsch

WANN & WO: Jünger zu werden versucht die Kirche in Vorarl-
berg bereits: Es gibt die Junge Kirche, es gibt das Regen-bogenpastoral, die Initiative „Dive In“ – funktioniert das?

Rebekka Bacher: Wenn ich mir zum Beispiel den „Hot-Spot-Talk“ anschaue, bei dem Bischof Benno mit bekannten Persönlichkeiten – Caritas-Direktor Walter Schmolly oder ORF-Vorarlberg-Chefredak-teurin Angelika Simma-Wallinger – über „Gott und die Welt“ spricht, dann sehe ich da schon viele junge Gesichter. Das zeigt auch, dass die Kirche nicht nur eine Institution ist, sondern dass auch Menschen dahinterstehen. Dann wird es persönlich und das funktioniert.

Jessica Fischer: Ich finde, dass die Kirche mit all dem viel zu spät dran ist. Besonders, was die Akzeptanz von Homosexualität und queeren Lebenswelten angeht. Viele, vor allem ältere, Mitglieder heißen das bis heute nicht gut. Hätte die Kirche früher reagiert, könnte das heute anders aussehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Angehörige der LGBTQIA+-Gemeinschaft in und von der Kirche ausgeschlossen fühlen. Als vor einigen Jahren an den Kirchen Regenbogenflaggen aufgehangen und dann wieder abgerissen oder gar angezündet wurden, war das eine Katastrophe. Damals hat die Kirche gegen diese Taten viel zu wenig Kante gezeigt.

WANN & WO: Auch Missbrauchsskandale innerhalb der Kirche machen immer wieder Schlagzeilen – und oft auch die zu laschen Konsequenzen für Priester. Beeinflusst euch so etwas in euren Glauben und in eurer Sicht auf die Kirche?

Jessica Fischer: Das macht natürlich einen negativen Eindruck. Wenn ich erfahre, dass dort kleine Buben missbraucht werden, überlege ich mir natürlich dreimal, ob ich meine Kinder dort betreuen lassen würde. Diese Schlagzeilen setzen sich in den Köpfen der Leute fest und erzeugen freilich ein negatives Bild von der Kirche – und das bleibt.

Rebekka Bacher: Solche Fälle machen einen natürlich nachdenklich und traurig. Aber es verändert nichts an meinem persönlichen Glauben – da trenne ich bewusst Glauben und Kirche. Ich denke, die Fälle ermutigen auch, das Thema Missbrauch bei Veranstaltungen oder in Ministrantengruppen präventiv zu behandeln. Es gibt da innerhalb der Kirche bereits viele gute Richtlinien, die müssen immer weiterentwickelt werden.

Jessica Fischer: Natürlich kann man nicht sagen, es liegt an „der Kirche“, sondern an der Person, die da handelt. Das Problem ist aber in meinen Augen, dass diese Person auch in dem Moment der Tat die Kirche repräsentiert. Und für die Öffentlichkeit ist dann die Kirche mitschuld.

Rebekka Bacher: Das verstehe ich vollkommen. Es sind dann alle Kirchen-Angehörigen abgestempelt.

WANN & WO: Auch einige traditionelle und konservative Richtlinien sorgen immer wieder für Kopfschütteln – etwa der Zölibat, das Verbot von Priesterweihen für Frauen … Hat das eine Relevanz für eure Sicht auf die Kirche?

Rebekka Bacher: Ich persönlich kenne mich in dieser Materie zu wenig aus. Jedoch fühle ich mich als Frau nicht benachteiligt.

WANN & WO: Aber du könntest nicht Priesterin werden, einfach wegen deines Geschlechts. Findest du das nicht ungerecht?

Rebekka Bacher: Nein stimmt. Es stört mich persönlich ehrlich gesagt aber nicht, da ich auch gar nicht Priesterin werden will und glücklich verheiratet bin.

Jessica Fischer: Es gibt sicher Frauen, die sich da benachteiligt fühlen. Aber vor zigtausend Jahren wird sich das wohl nicht ändern.

WANN & WO: Ist das auch für dich ein Kritikpunkt an der Kirche?

Jessica Fischer: Ja schon. Jemandem etwas zu verwehren, einfach nur wegen des Geschlechts, finde ich ungerecht. Ich sehe keinen Grund, warum Frauen nicht Priester sein können sollten.

WANN & WO: Rebekka, kannst du zum Abschluss kurz zusammen-
fassen, was Kirche dir gibt? Was ziehst du für dich aus dem
Glauben?

Rebekka Bacher: Der Glaube gibt mir ganz viel Halt und Sinn im Leben. Wenn mir einmal die Hoffnung fehlt, dann kann ich mich immer noch an meinem Glauben und an Gott festhalten. Das ermutigt mich und hilft mir auch durch schwere Zeiten. Gleichzeitig verbinde ich aber auch große Freude, Freiheit, geliebt werden und Gemeinschaft damit. Der persönliche Glaube ist ein Gewinn an Lebensfreude und daraus schöpfe ich täglich.

WANN & WO: Jessica, wenn du das so hörst, hast du das Gefühl, dass dir das in deinem Leben fehlt?

Jessica Fischer: Das klingt für mich alles tatsächlich total schön. Wer wünscht sich keinen Halt und keine Gemeinschaft, auf die man bauen kann? Aber ich persönlich finde das in meiner Familie und meinem Freundeskreis. Wenn ich einen schlechten Tag habe, gehe ich zu einem Familienmitglied oder einer Freundin und hole mir dort einen Rat oder auch nur Beistand. Das reicht mir schon.

WANN & WO: Zum Ende unseres Gesprächs: Könnt ihr die Gegenseite verstehen?

Jessica Fischer: Ja, auf jeden Fall. Gemeinschaft, Halt – das sehe ich total. Ich finde auch am Glauben nichts Schlechtes, ich finde nur manches in der Kirche als Institution unnötig starr.

Rebekka Bacher: Ich kann Jessicas Sicht nachvollziehen. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand sagt, er hat mit der Kirche nichts am Hut. Ich finde dann es umso spannender zu verstehen, warum es so ist und darüber ins Gespräch zu kommen. Aber Glaube kann niemandem aufgezwungen werden.

Rebekka Bacher, Foto: W&W/Förtsch

Zur Person: Rebekka Bacher

Alter: 25 Jahre
Wohnort: Bregenz
Zugang zur Kirche: Ihre Eltern leben den katholischen Glauben aktiv und haben sie entsprechend erzogen. Rebekka hat die Religion und engagiert sich selbst bei „Dive In“.

Jessica Fischer, Foto: W&W/Förtsch

Zur Person: Jessica Fischer

Alter: 23 Jahre
Wohnort: Fußach
Zugang zur Kirche: Ihre Eltern hatten verschiedene Religionen und ließen ihre Kinder deshalb nicht taufen, sondern selbst entscheiden. Jessica ist auf eigenen Wunsch konfessionslos.

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(WANN & WO)

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