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Gewalt im Kreißsaal? Primar Abendstein kontert den schweren Anschuldigungen

Primar Abendstein (Leiter Geburtenstation Feldkirch) geht auf die Anschuldigungen ein.
Primar Abendstein (Leiter Geburtenstation Feldkirch) geht auf die Anschuldigungen ein.
Joachim Mangard (VOL.AT) joachim.mangard@russmedia.com
Im ausführlichen Video-Interview reagiert Prim. DDr. Burghard Abendstein (Leiter Geburtenstation Feldkirch) auf die schwerwiegenden Vorwürfe, die Anfang März in den Schlagzeilen auftauchten und den heimischen Geburtshelfern Willkür unterstellen.
Gewalt im Kreißsaal

In dem Anfang März publizierten Bericht schildert eine Mutter die schrecklichen Stunden einer Geburt, bei der die junge Frau in ihren Augen pure Willkür und Unvermögen des medizinischen Personals widerfuhr.

Verweigerter Kaiserschnitt und falsche Behandlung?

So war von verweigertem Kaiserschnitt, mangelnder Anästhesie und Beratung, herablassendem und falschem Umgang mit der Patientin und fehlendem Verständnis für die Situation der werdenden Mutter die Rede.

Prim. DDr. Burghard Abendstein ist Leiter der Geburtenstation Feldkirch und bezieht ausführlich Stellung zu den schweren Anschuldigungen. ©Nussbaumer

VOL.AT hat bei Prim. DDr. Burghard Abendstein, Frauenarzt und Leiter der Geburtenstation Feldkirch, nachgehakt und ihn mit den schwerwiegenden Vorwürfen, die in dem Artikel thematisiert werden, konfrontiert.

Primar zeigt Verständnis für die Frau, aber auch Erklärungsbedarf

Für den renommierten Frauenarzt seien solche Anschuldigungen natürlich immer Anlass zur Sorge, aber auch eine Gelegenheit, mit den Teams auf den Vorarlberger Geburtenstationen Rücksprache zu halten, um konkrete Problemstellungen aus der Welt zu räumen. "Wenn man so etwas liest, herrscht natürlich Betroffenheit. Und wir haben den Inhalt der Story natürlich auch auf unserer Station besprochen. Ich kann nur bestätigen, dass sämtliche Mitarbeiter, die in unseren Spitälern arbeiten, mit großem Verantwortungsbewusstsein und Motivation agieren", informiert der Mediziner.

Die Geburtenstation am Landeskrankenhaus Feldkirch. ©Nussbaumer

"Eine Geburt ist kein Spaziergang, eher vergleichbar mit einer Bergtour. Und da kann es passieren, dass schlagartig Situationen entstehen, in denen man rasch reagieren und eine Entscheidung treffen muss. Bei einer Geburt soll diese Entscheidung gemeinsam mit der Mutter oder den Begleitern gefällt werden. In Stresssituationen kann dann auch der Eindruck entstehen, dass man überrumpelt wird. Dies geschieht aber nicht aus Willkür, sondern aus reiner Notwendigkeit heraus, im Sinne der Mutter und des Kindes", führt der Primar weiter aus.

Reaktion auf Vorwurf eines verweigerten Kaiserschnitts

Angesprochen auf die Anschuldigung, man habe der betroffenen Frau den Kaiserschnitt verweigert, erläuter Primar Abendstein die vielfältigen Gründe, wieso dieser Eingriff auch aus medizinischer Sicht nicht immer eine Option darstellt. "Hier muss man mit der Wortwahl vorsichtig sein und zwischen Wunsch- oder Not-Kaiserschnitt unterscheiden. Im Verlauf einer Geburt kann es dazu kommen, dass ein Kaiserschnitt nicht mehr möglich ist, beziehungsweise eine große Gefahr für Mutter und Kind darstellen kann."

Im Gespräch mit Primar Abendstein spricht der Mediziner ausführlich über den aktuellen Stand in der modernen Geburtshilfe. ©Nussbaumer

Etwa wenn das Kind sich bereits im Geburtskanal befinde, könne es zu schweren Komplikationen führen: "Einer Frau dies in der Wehenphase näherzubringen, ist oft der Fall. Dies als Verweigerung auszulegen, halte ich für unangebracht. Natürlich ist ein Strategiewechsel oft notwendig, das wird aber von den Ärzten und dem Personal genau abgewogen, auch in Anbetracht der Daten, die in Bezug auf Sauerstoffsättigung des Kindes oder des Herzschlags vorliegen", informiert der Arzt.

Wann und warum kommt der Kristeller-Handgriff zum Einsatz?

"Der Kristeller-Handgriff hat seinen Namen von einem alten Geburtshelfer. In der Wehe kontrahiert sich die Gebärmutter als autonomer Muskel, um das Kind durch den Geburtskanal zu bewegen. Wehe heißt nicht umsonst Wehe. Um in der Wehe die Kontraktion zu unterstützen, wird diese Bewegung mit der Hand auf dem Bauch unter leichtem Druck begleitet. Wichtig ist immer das Gespräch mit der Patientin, und bei behutsamer Anwendung ist diese Methode für die werdende Mutter kaum spürbar", führt der Leiter der Feldkircher Geburtenstation im umfangreichen Interview aus. In der modernen Medizin sei der durchaus auch diskutable Kristeller-Handgriff aber eher zur Ausnahme geworden.

Welche Risiken birgt Kaiserschnitt?

"Bei rund 30 Prozent aller Geburten kommen die Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. Davon handelt es sich bei etwa geschätzten 10 Prozent aller Kaiserschnitte um einen gewünschten Eingriff, ohne medizinischen Hintergrund. Man muss sich aber immer bewusst sein, dass es sich auch bei diesem Eingriff um eine Operation handelt, die Wunden in der Bauchdecke und der Gebärmutter mit sich bringen", informiert Primar Abendstein. Das könne etwa das Risiko bei späteren Schwangerschaften erhöhen. Außerdem könne sich die Einnistung der Plazenta damit verkomplizieren. Deswegen gelte es auch, die Vor- und Nachteile in Form von beratenden Gesprächen genau abzuwägen.

Anästhesie und PDA

In der modernen Geburtshilfe habe man sich darauf konzentriert, die Geburt so familiär wie möglich zu gestalten, und nicht als "sterile Aktion". Ohne Schmerz sei es aber nahezu unmöglich, ein Kind zur Welt zu bringen. "Bei massiven Schmerzen oder der Blockade des Geburtsprozesses greift man zur Periduralanästhesie (PDA), bei der über den Wirbelkanal kontinuierlich Schmerz- und Betäubungsmittel verabreicht wird. Die Entscheidung für eine PDA wird aber in Absprache mit der Patientin gefällt", informiert Primar Abendstein.

In Gesprächen mit Ärzten und Fachpersonal können viele Ängste und Befürchtungen aus der Welt geräumt werden. ©Nussbaumer

Primar Abendstein: "Werdenden Müttern die Angst nehmen"

Abschließend möchte der Experte für Frauenheilkunde und Leiter der Feldkircher Geburtenstation werden Mütter Ängste nehmen, vielleicht auch in Anbetracht einer im Raum stehenden Pauschalisierung von "Gewalt im Kreißsaal": "Besprechen, besprechen, besprechen – und zwar mit Fachärzten und Experten, weniger auf die Google-Recherche vertrauen. Vor der Pandemie hatten wir auch genügend Möglichkeiten für Kreißsaal-Führungen und intensiven Austausch. Auch die Hebammensprechstunden eignen sich hervorragend, sich vor einer Geburt und einer etwaigen Ausnahmesituation zu informieren, und Ängste und Befürchtungen aus dem Weg zu räumen."

(VOL.AT)

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