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Femizide: Viele Täter mit "jahrelanger Gewalt-Vorgeschichte"

Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote steigt weiter.
Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote steigt weiter. ©APA, Canva
In etwa 30 Prozent der Fälle von Frauenmorden und -mordversuchen war eine mitunter jahrelange Gewaltvorgeschichte aktenkundig, das ist ein Detailergebnis einer Studie am Institut für Konfliktforschung.

Etwa ein Viertel der Opfer hatte den gewalttätigen (Ex-)Partner bereits angezeigt. Rund zehn Prozent der Täter waren bereits einmal wegen Gewalt gegenüber der (Ex-)Partnerin verurteilt.

Gegenüber in etwa einem Fünftel war ein Betretungs-/Annäherungsverbot ausgesprochen worden. Deren Zahl steigt seit Jahren, heuer gab es bis Ende Juni 7.650, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Dienstag, rund 500 mehr als im ersten Halbjahr 2022.

Vorarlberg mit geringen Fallzahlen

In Wien werden überdurchschnittlich viele Frauenmorde und -mordversuche angezeigt. "Die Bundeshauptstadt beheimatet rund ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung, verzeichnet jedoch ein Drittel der angezeigten Mordfälle und -versuche", schreiben die Studienautorinnen Viktoria Eberhardt und Brigitte Temel (Projektleitung Birgitt Haller). In Niederösterreich sei der Anteil geringfügig überproportional, in allen anderen Bundesländern liege er unter dem Bevölkerungsanteil bzw. in Salzburg gleichauf: Ein Fünftel wurde in Niederösterreich angezeigt, in der Steiermark und in Oberösterreich wurden jeweils mehr als ein Zehntel aller Fälle verzeichnet. Die geringsten Fallzahlen gab es im Burgenland und in Vorarlberg.

74 Prozent der Täter (Ex-)Partner

Aufgeschlüsselt nach Nationalitäten hatten 72 Prozent der Täter in den untersuchten Fällen die österreichische Staatsbürgerschaft, "davon ca. 57 Prozent autochthon", fünf Prozent waren EU-Bürger, 19 Prozent Bürger von Drittstaaten, zwei Prozent staatenlos, bei einem Prozent gab es keine Angaben. Zum Beziehungsverhältnis von Opfern und Täter stellen die Forscherinnen fest, dass es sich zu 74 Prozent um (Ex-)Partner handelte, zu 19 Prozent um Verwandte, sechs Prozent Bekannte (ein Prozent unbekannt). Bei Femiziden durch den (Ex-)Partner sei in rund 30 Prozent der Fälle eine Trennung der Anlass zum Femizid gewesen.

Psychische Erkrankungen bei 47 Prozent

Viel Raum wurde in der Studie sogenannten Hochrisikoindikatoren gewidmet, die zu erkennen wichtig in der Prävention wäre. Bei 53 Tätern (rund 47 Prozent) lagen demnach psychische Erkrankungen vor. Man sollte genauer untersuchen, "welche Diagnosen mit Gewalt korrelieren", sagte Temel. "Traumatische Erfahrungen", dazu zähle etwa auch Arbeitsplatzverlust, hätten bei rund einem Drittel vorgelegen. Ebenso viele hatten bereits körperliche und sexualisierte Gewalt ausgeübt, mehr als ein Viertel psychische Gewalt. Weitere häufige Faktoren seien Waffenbesitz (22 Prozent) und patriarchales Denken (ca. 20 Prozent). Zudem wurden Morddrohung, ökonomische Abhängigkeit, Suiziddrohung und Substanzenmissbrauch genannt.

Jahrelange Gewalt-Vorgeschichten

Viele Täter wiesen eine "jahrelange Gewalt-Vorgeschichte" auf (23 Fälle, 25 Prozent), weitere elf Prozent hätten "Gewalt gegen alle Frauen" in ihrem Leben ausgeübt, 15 Prozent "Gewalt gegen die gesamte Familie bzw. darüber hinaus aus". In 16 Fällen habe es keine Vorgeschichte mit Partnergewalt gegeben, darunter fielen laut den Autoren elf Fälle von Femiziden im hohen Alter, eventuell könnte Pflegebedürftigkeit eine Rolle gespielt haben.

Eine psychische Krankheit als tatauslösend sei in 22 Fällen (24 Prozent) festgestellt worden, wobei in fast gleich vielen Fällen entweder die Diagnose (paranoide) Schizophrenie oder (kombinierte) Persönlichkeitsstörung vorgelegen habe, sowie ein Fall einer ausgeprägten Demenz. Oft handle es sich um Fälle, in denen die Medikamente abgesetzt wurden oder keine adäquate Behandlung vorhanden gewesen sei, vor allem in ländlichen Gegenden. Auch hier könne mit Hilfsangeboten angesetzt werden, wurde betont. Generell hielten die Forscherinnen fest, dass es sich immer um ein "komplexes Wechselspiel von stereotypen Rollenbildern, (schwerer) psychischer Krankheit und (tödlicher) Gewalt gegen Frauen" handle.

Häufig Stichwaffe verwendet

Die meisten tatverdächtigen Personen (33,5 Prozent) verwendeten im Zuge des Angriffs eine Stichwaffe. Beinahe ebenso häufig (31,3 Prozent) wurde die Tat ohne eine Waffe verübt. Eine Schusswaffe erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat tödlich endet, enorm: 57 der 92 Opfer (62,6 Prozent) eines Angriffs mit Schusswaffengebrauch starben - ein Angriff mit einer Stichwaffe endete für 36,7 Prozent der Opfer tödlich.

Im Vergleich der Zeiträume 2010 bis 2016 und 2017 bis 2020 sei deutlich geworden, dass zunehmend mehr legale Schusswaffen zum Einsatz kommen: Zunächst sei nur rund jede vierte verwendete Schusswaffe legal gewesen, "in den letzten vier Jahren des Untersuchungszeitraums lag ihr Anteil hingegen bei 46,6 Prozent", hieß es.

In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u.a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie/Gewaltschutzzentrum Wien: www.interventionsstelle-wien.at und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133)

(APA)

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