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"Es nimmt uns keiner": Bregenzer Familie sucht Hausarzt für pflegebedürftige Großmutter

Eine ältere Dame steht seit rund einem Jahr ohne Hausarzt da.
Eine ältere Dame steht seit rund einem Jahr ohne Hausarzt da. ©KI-generiertes Symbolbild/DALL.E
Mirjam Mayer (VOL.AT) mirjam.mayer@russmedia.com
In Bregenz kämpft ein Ehepaar verzweifelt um ärztliche Betreuung für die pflegebedürftige Großmutter. Trotz unermüdlicher Suche finden sie keinen Hausarzt.

Ein Paar aus Bregenz wandte sich hilfesuchend an VOL.AT. Maria und Hannes (Namen von der Redaktion geändert) sind auf der Suche nach einem neuen Hausarzt – für sich selbst und vor allem für Hannes’ Mutter, eine über 70 Jahre alte, pflegebedürftige Frau. Die bisherige Hausarztpraxis fiel nach einer Pensionierung weg, andere Ordinationen nehmen keine neuen Patienten auf.

Das Paar im Gespräch mit VOL.AT. Sie möchten lieber anonym bleiben.

"Es nimmt uns keiner"

"Unser Hausarzt war Dr. Kiene. Der ist letztes Jahr in Pension gegangen", erzählt Maria. Er sei zwar zuletzt Privatarzt gewesen, doch das sei ihnen egal gewesen: "Wir haben gezahlt und sind immer gleich dran gekommen." Zeit für stundenlanges Warten hätten sie beide nicht, da sie berufstätig seien. Kurzzeitig seien sie danach bei Dr. Makovec gewesen, doch auch diese Ordination sei inzwischen krankheitsbedingt "bis auf Weiteres" geschlossen. Die ernüchternde Realität: "Jetzt ist er auch weg. Es nimmt uns keiner."

24-Stunden-Pflege aber kein Hausarzt

Im Mittelpunkt steht für das Paar nicht die eigene Situation: "Um uns geht es jetzt eigentlich gar nicht, sondern um die Schwiegermutter", meint Maria. Hannes’ Mutter ist dement, hatte einen Schlaganfall und wird rund um die Uhr von einer 24-Stunden-Pflegerin umsorgt. Sie wohnt im ersten Stock und kann die Treppe nicht mehr alleine bewältigen. "Das heißt, wegen jeder Kleinigkeit müsste der Krankentransport kommen", verdeutlicht das Paar.

Dr. Kiene ging vergangenes Jahr in Pension.
Dieser Aushang hängt seit Ende Juni bei Dr. Makovec.

Kein Termin in fünf Arztpraxen

Insgesamt hätten sie bei fünf Praxen vorgesprochen, sowohl telefonisch als auch persönlich – unter anderem durch die 24-Stunden-Pflegerin der Mutter. Die Bregenzer fragten unter anderem auch bei der neuen Praxisgemeinschaft im Vorkloster nach. "Es nimmt sie keiner. Nicht einmal ein Heilbehelfsformular füllen sie aus für Windeln." Maria berichtet, dass sie eigens zur ÖGK nach Dornbirn gefahren sei, um das Formular zu besorgen – dennoch habe es kein Arzt unterschrieben. Das Paar hat auch Ordinationen in Lauterach und Wolfurt kontaktiert – ohne Erfolg: "Wenn du aus Bregenz bist, dann heißt es, nein, nehmen wir nicht."

Auch die "Allgemeinmedizin Vorkloster" hat leider keine Kapazitäten.

Zwar werden Rezepte elektronisch ausgestellt, doch Hannes kritisiert: "Kein Doktor schaut sie an, keiner untersucht sie. Die stellen einfach das Rezept aus – egal, ob sie es braucht oder nicht." Die aktuelle Medikamentenliste sei noch von Dr. Kiene. Ob die Dosierung noch stimme, sei fraglich. Seine Mutter sollte aus seiner Sicht wieder einmal von einem Arzt von Grund auf untersucht werden: "Gerade mit ihrem Diabetes, den Blutwerten und allem Drum und Dran."

"Das ist alles ein Ärztekammer-Problem", meint Maria

Das Paar suchte Hilfe bei der 1450: "Die haben mir gesagt, die ÖGK sei hier auch nicht zuständig. Ich sollte mich bei der Ärztekammer melden", fasst Maria das Gespräch zusammen. Sie hätte sich ein Rundschreiben zum Pensionsantritt des Arztes gewünscht. Die Ärztekammer könne den Ärzten nicht vorschreiben, welche Patienten sie drannehmen, so die Rückmeldung. Schlussendlich bekam sie von der ÖGK neben Verständnis für die Situation eine Liste von Hausärzten in Bregenz. "Das ist alles ein Ärztekammer-Problem", ist die Bregenzerin sicher. Als Lösung sei ihr von der ÖGK Folgendes empfohlen worden: "Am besten soll sie jetzt wegen jeder Kleinigkeit mit dem Krankentransport ins Krankenhaus gehen. Sogar bei Heilbehelf."

Ein Symbolbild zeigt das Rote Kreuz bei einem Krankentransport. ©Roland Paulitsch

Einmal musste die ältere Dame bereits ins Krankenhaus gebracht werden, da sie über Knieschmerzen klagte. "Dann haben wir einfach einen Krankentransport getroffen und haben sie ins Krankenhaus geschickt." Dort sei die Behandlung freundlich und problemlos verlaufen – dennoch sei das keine Dauerlösung. "Es heißt doch immer, man soll die Krankenhäuser entlasten", merkt Maria an.

"Jeder hat ein Recht auf einen Hausarzt"

Die Forderung des Paares ist klar: leerstehende Praxen – wie jene von Dr. Kiene und Dr. Brugger in der Schendlingerstraße – müssten wieder besetzt werden. "Es ist ein Wahnsinn, dass diese Ärzte nicht nachbesetzt werden", betont Hannes. "Es gibt viele Patienten, die keinen Hausarzt mehr haben." Die aktuelle Situation wollen sie so nicht hinnehmen: "Jeder hat ein Recht auf einen Hausarzt, das müssen sie irgendwie in den Griff kriegen", gibt Maria zu verstehen. "Mir ist wichtig, dass meine Schwiegermutter jetzt einen Arzt in ihrer Nähe bekommt."

Ärztekammer: Verantwortung liegt bei der ÖGK

Die Ärztekammer hält gegenüber VOL.AT fest, dass sie nicht für die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zuständig sei. Wörtlich heißt es: "Nicht die Ärztekammer, sondern der Krankenversicherungsträger (ÖGK) [hat] den gesetzlichen Auftrag […], die kassenärztliche Versorgung sicherzustellen." Die Zahl der bewilligten und damit finanzierbaren Kassenplanstellen sei Sache der ÖGK, so Dr. Alexandra Rümmele-Waibel in einer schriftlichen Stellungnahme. Auch die Zahl der praktizierenden Hausärzte liege somit in der Verantwortung der ÖGK, so die Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte.

Dr. Alexandra Rümmele-Waibel ist die Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte in Vorarlberg. ©Ärztekammer Vorarlberg

Ärzte versorgen bis zu 200 Patienten am Tag

"Die Arbeitsbelastung für die Vorarlberger Kassenärzteschaft hat massiv zugenommen", gibt Rümmele-Waibel zu verstehen. Kassenärzte würden diesen erhöhten Druck und die Nachfrage seitens der Patienten täglich in den Ordinationen spüren. "Mitunter wird uns mitgeteilt, dass ein einziger Kassenarzt – vor allem jetzt in der Urlaubszeit, in der sich Ärztinnen und Ärzte teils gegenseitig vertreten – bis zu 200 Patientinnen und Patienten am Tag zu versorgen hat", verdeutlicht sie. Dennoch versuche man, stets die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten. "Hin und wieder sind sie jedoch derart ausgelastet, dass sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen können – auch die Zeit für etwaige Hausbesuche nimmt dementsprechend ab", so die Ärztin.

Kassenstellen in Bregenz besetzt

"Die Kassenstelle von Dr. Peter Kiene ist bereits seit Februar 2020 nachbesetzt, sein Nachfolger ist Dr. Yousef Abu Roumyeh", erklärt Rümmele-Waibel. Alle weiteren Kassenstellen in Bregenz seien aktuell ebenfalls besetzt.

"Seit Jahren verweist die Ärztekammer bei Bund und ÖGK auf diese Entwicklung und fordert mehr Kassenstellen, um den steigenden Bedarf abdecken zu können", so Rümmele-Waibel. Sie verweist darauf, dass die ÖGK für das laufende Jahr ein Defizit von 900 Millionen Euro veranschlagt habe: "Die Sozialversicherung verfügt nicht über ausreichend finanzielle Mittel, um das Kassenarztangebot zu verbessern. Unsere Forderungen nach einer Stärkung des niedergelassenen Bereichs und einem Ausbau des Hausarzt-Systems bleiben aus finanziellen Gründen seitens des Bundes und der ÖGK daher unberücksichtigt.

Ein Bild von der Präsentation der Ärztebedarfsstudie für 2023. ©VOL.AT/Mayer

Ärztebedarf und Stellenplan der ÖGK

Die Ärztekammer verweist auf eine Ärztebedarfsstudie von 2023 im Auftrag von Ärztekammer, Land und ÖGK: "Es müssten – nur um den Status quo der medizinischen Versorgung des Jahres 2023 zu erhalten – bis zum Jahr 2030 im intra- und extramuralen Bereich zusammen zusätzliche 135 Ärzte für Vorarlberg gewonnen (und auch finanziert) werden. Woher das Geld dafür kommen soll, ist uns derzeit schleierhaft", führt Rümmele-Waibel aus.

Laut Stellenplan der ÖGK seien alle für den Bezirk Bregenz notwendigen und bewilligten Hausarztordinationen aktuell besetzt, gibt sie zu verstehen. "Wir haben schon seit langem darauf hingewiesen, dass der Stellenplan den aktuellen Bedarf nicht abdecken kann, neue Kassenstellen werden derzeit von der Sozialversicherung aber nicht bewilligt", so die Ärztin auf VOL.AT-Anfrage. Abschließend betont sie: "Die Politik hat – beginnend mit der Kassenreform unter Bundeskanzler Sebastian Kurz und zuletzt mit der gestarteten Gesundheitsreform unter Sozialminister Johannes Rauch – die Ärztekammer zunehmend aus den entsprechenden Verantwortungsbereichen verdrängt."

Die ÖGK-Stelle in Dornbirn. ©Klaus Hartinger

ÖGK: "Alle Stellen für Allgemeinmedizin besetzt"

Auf VOL.AT-Anfrage betont auch die ÖGK, dass die hausärztliche Versorgung in Bregenz formell abgedeckt sei: "In Bregenz sind zur Zeit alle Stellen für Allgemeinmedizin besetzt." Zusätzlich gebe es seit Dezember 2024 eine neue "+100%-Stelle" mit Dr.in Scheffknecht. Seit Oktober 2024 bestehe ein "erweitertes Job-Sharing" mit Dr. Baldessari und Dr. Topic von 70 Prozent, seit Juli 2022 gebe es zudem ein "erweitertes Job-Sharing mit 30 Prozent". "Somit sind wir in Bregenz im Moment mit 14 Stellen über dem Stellenplan, der 12 Stellen für Allgemeinmedizin in Bregenz vorsieht", so die Gesundheitskasse.

Dr. Kiene habe bis Ende September 2019 als Vertragsarzt und später als Wahlarzt weiterparktiziert. "Seine Stelle wurde im Februar 2020 mit dr. Abu Roumyen Yousef nachbesetzt", betont die ÖGK.

Krankenbesuche vom Vertragsarzt möglich

Zur konkreten Situation der Bregenzerin heißt es: "Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Krankenbesuche vom Vertragsarzt bzw. der Vertragsärztin durchzuführen, wenn dem Erkrankten wegen seines Zustandes das Aufsuchen der Ordination nicht zugemutet werden kann." Für diese Verpflichtung gebe es jedoch bestimmte Kriterien – etwa die Einwohnerzahl. Als Anlaufstelle, wenn keine Ordination neue Patienten aufnimmt, verweist die ÖGK auf die 1450: "Bei gesundheitlichen Beschwerden steht rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche unsere telefonische Gesundheitshotline unter der Telefonnummer 1450 zur Verfügung."

Zahl und örtliche Verteilung im Stellenplan festgelegt

Kritik an der Planung des Versorgungsangebots weist die Gesundheitskasse zurück und verweist auf gesetzliche Regelungen: "Gesetzlich ist festgelegt, dass in Gesamtverträgen die Zahl und die örtliche Verteilung der Vertragsärzten bzw. Vertrags- Gruppenpraxen unter Bedachtnahme auf die regionalen Strukturpläne Gesundheit (RSG) geregelt werden." Ziel sei die Sicherstellung einer "ausreichenden ärztlichen Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung der sonstigen Versorgungsstrukturen, der örtlichen Verhältnisse sowie der demografischen Gegebenheiten." Die Zahl und örtliche Verteilung der Vertragsstellen werde im Stellenplan "im Einvernehmen zwischen Landesärztekammer und dem Krankenversicherungsträger" festgelegt.

(VOL.AT)

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