"Benzos": "Wir werden jeden Tag mit der Droge gerade bei Jugendlichen konfrontiert"

Die VOL.AT-Berichterstattung über den vermehrten Einsatz von verschreibungspflichtigen Medikamenten als Drogen schlägt hohe Wellen. Immer mehr, gerade junge Menschen greifen zu Benzodiazepinen, kurz "Benzos" oder "Z-Drugs". Hier handelt es sich um Beruhigungs- oder Schlafmittel, die gerade aufgrund der Corona-Krise auch gern Jugendlichen mit psychischen Problemen verschrieben werden.
Im VOL.AT-Gespräch mit warnt Wolfgang Grabher, Leiter der Suchberatungsstelle Clean Bregenz, vor den Gefahren und erklärt, warum immer mehr Jugendliche dem "Rausch auf Rezept" verfallen.
Verlagerung auf "legalisierte" und leicht verfügbare Substanzen
VOL.AT: Apotheker und Suchberater schlagen Alarm: Ist das Thema „Medikamentenmissbrauch“, gerade in Bezug auf Benzodiazepine oder sogenannte Z-Drugs bei Jugendlichen, schon bei ihnen aufgeschlagen?
Wolfgang Grabher: Das Thema "Medikamentenmissbrauch" in Bezug auf Benzodiazepine und "Z-Drugs" ist nicht neu und das Thema beschäftigt uns im Beratungs- und Therapiekontext grundsätzlich oft und auch schon länger. Eher neuer ist jedoch die Entwicklung, dass diese Medikamente bei Jugendlichen vermehrt als Experimentier- und Probierkonsum vorkommen und besonders auch beim Ausgehen eingenommen werden. Potenziell kann dies bei längerem Konsum auch in einer Abhängigkeit münden kann, da diese Substanzen stark abhängig machen können. Besonders auch im Jahr 2020, als die Grenzen geschlossen waren, war eine Verlagerung auf "legalisierte" und leichter verfügbare Substanzen beobachtbar.
VOL.AT: Stand dieses Thema beim Besuch von LR Rüscher im Clean auf der Agenda?
Wolfgang Grabher: Neben einigen anderen Themen, die beim Besuch von Landesrätin Martina Rüscher im Clean Bregenz besprochen wurden, wurde auch dieses Thema gemeinsam besprochen.
VOL.AT: Wie äußert sich die Thematik in ihrer Einrichtung?
Wolfgang Grabher: Diese Thematik äußert sich klar in der täglichen Arbeit mit Anfragen von Jugendlichen, Erwachsenen aber auch Angehörigen bei uns im Clean und somit in der täglichen Beratungstätigkeit. Bei Jugendlichen ist oft die Herausforderung, dass in vielen Fällen mehrheitlich ein sporadischer Konsum, also noch ohne Abhängigkeitsdiagnose, vorherrscht – zum Teil auch in Verbindung mit anderen Drogen – und der Leidensdruck, etwas am Konsum zu verändern, eher gering ist. Oft hat man, wenn sich noch keine Abhängigkeit entwickelt hat, auch das Gefühl, man könne "jederzeit aufhören".
VOL.AT: Durch Corona verzeichnet man gerade bei Jugendlichen vermehrt Nachfrage nach psychologischer oder psychiatrischer Behandlung. Damit einher gehen auch Verschreibungen von Antidepressiva oder den angesprochenen Beruhigungsmitteln. Wie groß ist die Gefahr, dass diese Medikamente als Drogen missbraucht werden?
Wolfgang Grabher: Die Gefahr, dass Benzodiazepine und Beruhigungsmittel missbräuchlich verwendet werden, ist grundsätzlich natürlich gegeben, da sie vermeintlich "gut" und auch schnell wirken. Wenn eine Substanz jedoch schnell und gut wirkt, ist natürlich auch das Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial höher – besonders dann, wenn sie nicht regulär wie verschrieben eingenommen werden, sondern "gesnifft" oder sogar gespritzt werden. Deswegen sollten die Benzodiazepine potenziell auch nicht lange (maximal drei bis vier Wochen) eingenommen werden und der Verlauf sollte ärztlich begleitet erfolgen. Aber natürlich werden diese Substanzen auch oft über den Schwarzmarkt bezogen. Zum Thema Antidepressiva ist klar zu sagen, dass diese andere Wirkmechanismen aufweisen und damit kein klassisches Abhängigkeitspotential zeigen und insbesondere für ausgeprägte depressive Störungen, aber auch z.B. Angststörungen eine absolute Behandlungsindikation zeigen.
Jugend-Psychologie und Psychiatrie: "Hohe Nachfrage und Wartezeiten"
VOL.AT: Wie steht es generell um die psychische oder psychiatrische Betreuung Jugendlicher?
Wolfgang Grabher: In Vorarlberg gibt es aus unserer Sicht grundsätzlich ein breit aufgebautes Netz an Beratungs- und Betreuungsangeboten für Jugendliche vom schulpsychologischem Setting bis zu ambulanten und auch stationären Angeboten, mit denen wir auch zusammenarbeiten und Austausch haben. Die Pandemie und ihre Folgen zeigen aber einen vermehrten Behandlungsbedarf für diese doch vulnerable Gruppe, sodass aktuell von Wartezeiten und einer vermehrten Nachfrage berichtet wird.
VOL.AT: Einerseits verzeichnen die Verschreibungen dieser oft abhängig machenden Medikamente starken Zulauf, andererseits wird z.B. im Ausbau der stationären Einrichtungen auf die Bremse getreten. Wie lässt sich angesichts dieser aktuell brisanten Entwicklung der nicht vorgezogene Neubau der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Rankweil rechtfertigen?
Wolfgang Grabher: Diese Frage muss von LKH Rankweil bzw. von kinder- und kugendpsychiatrischer Seite beantwortet werden.
VOL.AT: Wie wichtig ist Präventionsarbeit gerade in Bezug auf die angesprochene Materie?
Wolfgang Grabher: Die Präventionsarbeit ist – wie bei allen anderen süchtig machenden Substanzen und auch bei Verhaltenssüchten, wie auch bei anderen Erkrankungen – enorm wichtig, denn wenn es gelingt, Erkrankungen zu vermeiden, ist allen geholfen. Als einen Ansatz gilt es dabei bereits im jungen Alter präventiv anzusetzen, wie es von unserer Einrichtung Supro in Vorarlberg beispielsweise mit „gesund aufwachsen“ erfolgt.
(VOL.AT)
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