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NÖM-Chef über Vorarlberg Milch: "Der Patient hat Krebs"

Was die Pläne von NÖM-Chef Alfred Berger für die Vorarlberg Milch sind.
Was die Pläne von NÖM-Chef Alfred Berger für die Vorarlberg Milch sind. ©NÖM, Paulitsch
Mit drastischen Worten beschreibt NÖM-Chef Alfred Berger die Lage der Vorarlberg Milch. Kaum vier Monate nach der Fusion redet er Klartext über Millionenverluste, gestrichene Produkte und Fehler in der Kommunikation.

NÖM-Chef spricht Tacheles

Die Fusion von Vorarlberg Milch mit der niederösterreichischen NÖM AG war ein Rettungsakt. Doch Vorstandschef Alfred Berger lässt keinen Zweifel daran, dass die Sanierung hart wird. Im Interview mit den Vorarlberger Nachrichten sprach er Tacheles und über Verluste, Fehler in der Kommunikation – und über die Zukunft der Marke im Ländle.

"Der Patient hat Krebs"

Auf die Frage nach dem Zustand des Unternehmens fand Berger im Gespräch mit den VN drastische Worte:

  • "Der Patient hat Krebs."

Laut einem Gutachten wäre ohne Zusammenschluss bereits im Sommer 2025 Schluss gewesen. Über 96 Prozent der Genossenschafter stimmten der Fusion zu, die Bundeswettbewerbsbehörde genehmigte den Deal ohne Auflagen.

Milchpreis auf europäischem Spitzenwert

Eine der ersten Maßnahmen war die Anhebung des Milchgeldes:

  • "Wir brauchen die Milch."

Mit 56 Cent netto pro Liter zahlt die NÖM eigenen Aussagen zufolge einen der höchsten Preise Europas. Ziel sei es, abgesprungene Bauern zurückzugewinnen.

Butter sorgt für Verluste

Besonders die Butter geriet ins Zentrum der Debatte. Berger stellt klar:

  • "Die Butter hat uns 1,6 Millionen Euro Verlust beschert."

Die Produktion in Feldkirch wurde eingestellt, künftig kommt die Teebutter aus Niederösterreich. Auf den Verpackungen steht aber weiterhin "Vorarlberg Milch". Kritiker sprechen von "Etikettenschwindel". Berger räumt ein:

  • "Vielleicht war es ein Fehler, die Butter-Frage nicht offensiver zu kommunizieren."
NÖM CEO Alfred Berger. ©NÖM

Pudding-Pause bis 2027

Auch beim Sortiment greift die NÖM hart durch. Von 60 Produkten bleiben 40. Betroffen sind Joghurtdrinks, Joghurtvarianten und der traditionsreiche Ländle-Pudding. Doch Berger kündigt ein Comeback an:

  • "2027 gibt es wieder den Ländle-Pudding."

Für die neue Produktion werden 7 bis 8 Millionen Euro investiert.

Marke und Standort

Trotz Kritik sieht sich Berger in der Verantwortung für die Zukunft der Marke:

  • "Wir sehen uns als Erhalter, nicht als Killer der Marke."
  • "Wo Ländle draufsteht, ist auch Ländle drin."

Die Käsekompetenz aus Vorarlberg soll in Wien und ganz Ostösterreich vermarktet werden. In Feldkirch wird Personal gesucht, um den steigenden Export nach Italien zu bewältigen.

"Tal der Tränen"

Für die kommenden Monate stimmt der CEO die Belegschaft auf harte Zeiten ein:

  • "Das nächste halbe bis dreiviertel Jahr müssen wir durch das Tal der Tränen."
  • "Unser Wunsch ist, dass man uns diese Zeit gibt."

Wie geht es mit dem Milchpilz weiter?

Der traditionsreiche Milchpilz in Bregenz bleibt – und soll sogar aufgewertet werden.
Für Berger ein Symbol dafür, dass Regionalität trotz Fusion nicht verloren gehen soll.

  • "Der Milchpilz steht nicht zur Disposition – im Gegenteil, er wird aufgewertet."

Was die Politik und ein Marken-Experte sagen

Auch in der Politik sorgt die Sanierung von Vorarlberg Milch für Debatten. Die Grünen kritisierten im Landtag die neue Markenpolitik scharf. Abgeordnete Christine Bösch-Vetter sprach von "klarem Etikettenschwindel" und warnte davor, dass das Vertrauen in Regionalmarken insgesamt beschädigt werde. Klubobmann Daniel Zadra forderte, dass nur dort "Vorarlberg Milch" draufstehen dürfe, wo auch tatsächlich Vorarlberger Milch drin sei.

Gantner (ÖVP) und Allgäuer (FPÖ)

Landesrat Christian Gantner (ÖVP) hielt dagegen: Die Neuausrichtung sichere Arbeitsplätze und garantiere den Milchpreis für die Bauern. "Wo Vorarlberg draufsteht, ist auch weiterhin Vorarlberg drin", versicherte er. Auch FPÖ-Landesrat Daniel Allgäuer stellte klar, dass für ihn die Sicherung des Standorts Feldkirch oberste Priorität habe.

Klartext von Marken-Experte Koch

Noch deutlicher wurde Markenexperte Klaus-Dieter Koch von der Beratungsfirma Brand Trust. "Was hier passiert ist, zeigt mangelnden Respekt", sagte er im VN-Interview. Regionalität sei im Ländle besonders sensibel, weil der Stolz auf lokale Produkte einzigartig sei. "Man setzt auf Zahlen und hofft, dass die Menschen sich daran gewöhnen. Aber so funktioniert Markenbindung nicht." Koch warnt, dass die emotionale Bindung der Konsumenten reißen könnte – und genau diese Bindung sei ein entscheidender Wettbewerbsvorteil gegenüber den Handelsmarken.

Moosbrugger: "Bauern haben den Preis bezahlt"

Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger stellt in einem aktuellen VN-Interview die ökonomische Dimension in den Vordergrund. "Wo Ländle draufsteht, ist Ländle drin", betont er, verweist aber zugleich auf die Notwendigkeit der Fusion: Mit zu geringen Milchmengen eine breite Produktpalette aufrechtzuerhalten, habe zu hohe Stückkosten verursacht. Am Ende hätten die Bauern mit niedrigeren Preisen die Rechnung bezahlt. Für ihn ist klar: Entscheidend sei, genügend Milch für den Standort Feldkirch zu sichern – und dabei offen zu kommunizieren. "Schlecht informieren ist keine Alternative. Verunsicherung können wir nicht brauchen." (VOL.AT)

Hintergrund: Die Vorgeschichte

  • Am 27. Mai 2025 stimmten 96,47 % der Genossenschafter für die Fusion mit der NÖM AG.
  • Ohne Zusammenschluss wäre laut Gutachten der Betrieb nicht mehr lebensfähig gewesen.
  • Die Bundeswettbewerbsbehörde hatte keine Einwände, seit 1. Juli 2025 ist die Übernahme rechtskräftig.
  • Die Vorarlberg Milch eGen hält nun 3 % an der NÖM AG und einen Sitz im Aufsichtsrat.
  • Politisch sorgte die Butterproduktion in Niederösterreich für Kritik: Die Grünen sprachen von „Etikettenschwindel“, die Landesregierung verwies auf Arbeitsplätze und Milchpreisgarantie.
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