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Offene Fragen in der NSA-Abhöraffäre

NSA-Abhörskandal: Tragweite und Konsequenzen noch ungeklärt.
NSA-Abhörskandal: Tragweite und Konsequenzen noch ungeklärt. ©EPA
Die Abhöraffäre um den US-Geheimdienst NSA erreicht nach der Vielzahl an Berichten über massenhafte Speicherungen von E-Mail-Daten einen neuen Höhepunkt. Auslöser der jüngsten Eskalation waren Hinweise auf Spionage gegen das Handy der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
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Weil der NSA-Überläufer Edward Snowden immer weitere Dokumente an Medien verteilt, gibt es fast täglich neue Berichte und Vermutungen. Um einen Überblick über die Debatte zu geben, folgt eine Liste der Fakten und der unbeantworteten oder noch nicht gestellten Fragen, die auch beim geplanten Untersuchungsausschuss des Bundestages eine Rolle spielen dürften:

Geht es nur um das Handy der deutschen Kanzlerin?

In Deutschland konzentriert sich die Debatte sehr auf Merkels Handy. Es gibt zwar keine offizielle Bestätigung für die US-Überwachung. Doch spätestens seit dem Auftritt von Dianne Feinstein, der Vorsitzenden des Geheimdienst-Ausschusses im US-Senat, am Montag herrscht Gewissheit, dass Merkel seit 2002 abgehört wurde. Und sie ist nicht die Einzige: Wie sie sollen mindestens 34 andere Staats- und Regierungschefs von der NSA überwacht worden sein. Es wird also mehr Enthüllungen in den kommenden Wochen geben. Die USA haben sich darauf eingestellt, dass der Prozess über Monate gehen wird – und bereiten die Verbündeten hinter den Kulissen darauf vor, um den Schaden zu begrenzen.

Noch ungestellt ist etwa die Frage, was das versprochene Ende der Bespitzelung des Kanzlerinnen-Handys für Minister der Bundesregierung oder für Merkels engste Mitarbeiter bedeutet? Wie verlässlich ist das Versprechen, dass die Spionage gegen Verbündete aufhören soll?

Was wusste Obama?

Die Frage kann letztlich nur in den USA beantwortet werden. Mehrere verschiedene US-Vertreter widersprachen Berichten, dass Obama seit langem von der Abhöraktion wusste. Feinstein bekräftigte die Version des Weißen Hauses, dass der US-Präsident im Sommer das Programm gestoppt habe, als er davon erfahren habe. Allerdings gibt es Hinweise aus weiteren Snowden-Papieren etwa in “Le Monde”, dass enge Mitarbeiter Obamas wie Sicherheitsberaterin Susan Rice durchaus wussten, dass europäische Verbündete abgehört wurden – und die Informationen etwa in den Gesprächen über Iran-Sanktionen nutzten.

Was ändert sich – in den USA?

Obama hat bereits im Sommer angekündigt, dass zwölf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine neue Balance zwischen Privatsphäre und Sicherheit gefunden werden müsse. Die US-Geheimdienste dürften nicht alles machen, was technologisch machbar sei. Was dies heißt, bleibt offen. Es gibt in Washington einen Machtkampf zwischen Befürwortern und Gegnern einer strengeren Aufsicht über die Geheimdienste. Unklar ist aber generell, ob sich eine global tätige militärische Supermacht Fesseln wegen der Proteste kleinerer Verbündeter anlegen lassen wird.

Was ändert sich – in Deutschland/Europa?

Merkel hat bereits im Sommer einen Acht-Punkte-Plan als Reaktion auf die NSA-Debatte vorgestellt. Dazu gehört die Forderung nach “No-Spy”-Abkommen nicht nur mit den USA, sondern auch mit Großbritannien oder Frankreich. Zudem hat Deutschland mit Brasilien nun eine Initiative für ein UN-Abkommen gegen Spionage angestoßen, bei dem Grundverhaltensregeln geklärt werden sollen. Daneben will die EU die Datenschutzregeln für alle EU-Staaten verschärfen, um US-IT-Konzernen das Sammeln personenbezogener Daten von EU-Bürgern, die Verlagerung dieser Daten in die USA und die Weitergabe an US-Geheimdienste zu erschweren. Auf dem Prüfstand stehen in der EU mittlerweile alle Abkommen zum Datenaustausch mit den USA im Finanzbereich (Swift), dem Flugverkehr und sogar der “safe-habour”-Status für die USA, der Basis für den Datenaustausch zwischen Firmen ist.

Neben diesem rechtlichen Weg arbeiten einige EU-Staaten an einer industriellen Antwort. Daten aus Europa sollen künftig verstärkt in Europa gespeichert werden. Unternehmen wie die Deutsche Telekom arbeiten daran, dass der E-Mail-Verkehr nicht mehr über die USA läuft. In Brasilien gibt es Überlegungen, ein eigenes Überseekabel zwischen Südamerika und Europa zu bauen, damit Daten nicht mehr über die USA geleitet werden. Es gibt Überlegungen, eigene europäische Fähigkeiten in allen IT-Bereichen – bis hin zur Chipproduktion – zu entwickeln, damit man sich wehren kann, wenn man will.

Nur: Ob die politischen Wünsche von der Wirtschaft umzusetzen sind, ist angesichts des technologischen Vorsprungs von Amerikanern und Chinesen sowie der immensen Kosten völlig offen. Ob die Europäer die technologische Expertise haben, sich gegen eine NSA wehren zu können, die einen jährlichen Etat in der Größe des deutschen Verteidigungshaushalts hat, gilt als fraglich.

Was geht die NSA-Debatte die Wirtschaft an?

Grundsätzlich gilt: Spionage richtet sich gegen alle. Die US-Regierung hat zwar betont, sie betreibe keine Wirtschaftsspionage. Der Journalist Glenn Greenwald, der eng mit Snowden zusammenarbeitet, bestreitet dies aber vehement und verweist auf entsprechende Dokumente etwa über von der NSA abgehörte Gespräche über einen brasilianisch-französischen Rüstungsdeal. Es gilt auch in Wirtschaftskreisen als naiv davon auszugehen, dass man die Welt in “Feinde” und “Freunde” teilen kann.

Deutsche Behörden warnen seit langem, dass gerade deutsche Firmen mit sensiblem Know-how immer häufiger Opfer von Cyber-Attacken werden. Dabei geht es um Spionage, Diebstahl von Daten oder Manipulationen des Firmennetzwerkes. Als Hauptangreifer werden aber nicht die USA gesehen, sondern vor allem Länder wie China und Russland sowie kriminelle Gruppen, deren Geschäftsmodell der Handel mit gehackten Daten ist.

Wie funktioniert das Abhören und Ausspähen technisch?

Zapfen die Briten tatsächlich transatlantische Datenkabel an? Oder ist doch etwas an Gerüchten dran, an den deutschen Datenknoten würden Fremde den Internet-Verkehr mitlesen? Und wie genau hört man ein Kanzlerinnen-Handy ab? Was genau hat der Hubschrauber-Überflug über das US-Konsulat in Frankfurt ergeben? Alles offene Fragen, auf die es bisher keine Antworten gibt. Dabei wäre es wichtig, die Zugriffspunkte der Geheimdienste und damit die Sicherheitslücken im System zu kennen – schließlich könnten deutsche Daten auch für die Organisierte Kriminalität attraktiv sein.

(APA/Reuters)

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