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Heimat über den Tod hinaus

Attila Dincer von der Initiativgruppe Islamischer Friedhof und Altachs Bürgermeister Gottfried Brändle.
Attila Dincer von der Initiativgruppe Islamischer Friedhof und Altachs Bürgermeister Gottfried Brändle. ©VOL.AT/Steurer
Vor neun Jahren hat die Diskussion um einen islamischen Friedhof in Vorarlberg begonnen. Am Samstag wird der erst zweite österreich­weit in Altach eröffnet. Chronologie eines von Vernunft und Miteinander getragenen Prozesses.
Ablauf einer islamischen Beerdigung
Islamischer Friedhof in Altach
Moslemfriedhof: Lokalaugenschein
Islamischer Friedhof fertiggestellt


Im Jahr 2004 hat Gottfried Brändle erstmals von den Plänen für einen islamischen Friedhof in Vorarlberg gehört. Der Altacher Bürgermeister war ebenso wie seine Amtskollegen vom damaligen Gemeindeverbandspräsidenten Wilfried Berchtold und dem ehemaligen Landeshauptmann Herbert Sausgruber dazu aufgefordert worden, darüber nachzudenken, ob sie ein passendes Grundstück für ein derartiges Projekt hätten. Nachdem der Appell durchaus mit Nachdruck ergangen war, wie sich Brändle heute erinnert, setzten sich die Bürgermeister der Kummenberggemeinden und von Hohenems zusammen, um zu diskutieren, ob es die Möglichkeit dafür in ihrer Region gebe. Das heute für den Friedhof genutzte, damals gemeindeeigene Grundstück im „Dreiländerblick“ (Brändle) Hohenems, Götzis, Altach hatte der Bürgermeister zu jener Zeit bereits im Visier, wie er erzählt. Und nach einer Nachdenkphase, in der noch die 2005 stattgefundenden Gemeindewahlen abgewartet wurden, wurde die Realisierung konkret bzw. das Projekt offiziell angegangen.

Einstimmig

„Im Herbst 2005 sind wir in die Gremien, und 2006 wurde der Beschluss einstimmig gefasst“, erzählt Brändle. Dem vorausgegangen war ein rund zehnköpfiger Arbeitskreis, dem unter anderem, Attila Dincer als Sprecher der Initiativgruppe Islamischer Friedhof und Eva Grabherr von der Projektstelle „okay. zusammen leben“ angehörten. „Das war eine sehr ehrliche und sehr gute Zusammenarbeit“, beschreibt Dincer diesen Prozess, „und es hat auch nicht geschadet, dass es so lange gegangen ist.“ Für den 41-Jährigen ist es nach 40 Jahren Migration – damals waren die ersten muslimischen Arbeiter ins Land geholt worden – das erste Mal, dass man „an etwas nachhaltig Konkretem zusammengearbeitet hat“. Die islamischen Gruppen im Land hatten sich bereits 2003 getroffen, um über rituelle Bestattungen in Vorarlberg zu diskutieren bzw. abzuklären, ob unter den Moslems ein Interesse dafür da sei, erzählt Dincer. Es war da, denn „wir sagen ja zu Österreich, wir sagen ja zu Vorarlberg, das heißt aber nicht, auf eigene Werte zu verzichten“. An die 100 bis 150 Moslems sterben hierzulande jährlich, sagt Dincer. Fast alle wurden bisher zur Bestattung in die Ursprungsländer überführt – auch wenn oft Kinder und Enkelkinder in Vorarlberg leben. Nachdem die Initiative noch 2003 beim Land vorstellig geworden war, erstellte die Islambeauftragte der Diözese Elisabeth Dörler eine von „okay. zusammen leben“ in Auftrag gegebene Studie als Entscheidungsgrundlage. Der Antrag wurde damals auf „die Möglichkeiten einer rituellen Bestattung in bestehenden Friedhöfen oder eine eigene Einrichtung“ gestellt, erinnert sich Dincer, der sagt, dass man eine landesweite Lösung wollte. Der in der Folge vorgeschlagene Platz in Altach war auch insofern gut geeignet, als es im Islam üblich ist, Friedhöfe an der Peripherie zu errichten. Nach der Beschlussfassung in der Altacher Gemeindevertretung wurde das Projekt erstmals einer landesweiten Öffentlichkeit präsentiert. In dem Moment hat Bürgermeister Brändle genau drei Mails mit negativem Inhalt bekommen. „Keines von Altachern“, wie er betont, und sonst gab es nichts an negativen Reaktionen. „Ich war selbst überrascht, weil ich mir eigentlich mehr Gegenwind erwartet hatte.“ Dass der nicht gekommen ist, liegt für Brändle einerseits in der positiven Haltung der Katholischen Kirche dem Projekt gegenüber, aber auch daran, dass Land und Gemeinden voll dahinter gestanden seien. Zudem „ist ein Friedhof kein Minarett, und das Verständnis der Bevölkerung dafür, dass Menschen, die in Österreich leben und hier ihre Familien haben, auch hier begraben werden wollen, war sicher da“. Das 8400 Quadratmeter große Grundstück, das in einer Grünzone ist und eine Umwidmung bekam, wurde in der Folge von der Gemeinde an den Gemeindeverband verkauft und im September 2007 der gebürtige Lingenauer Architekt Bernardo Bader mit der Planung betraut. Die Vorgaben laut Dincer: „Wir wollten eine schlichte Vorarlberger Lösung ohne Prunk oder extravaganter Symbolik.“ Dem hat der Architekt Folge geleistet und eine übersichtliche, offene und ästhetisch äußerst ansprechende Anlage gestaltet – mit einer mit dem achtzackigen islamischen Stern (Rub al-hizb) als Ornament versehenen, durchlässigen Holzwand an der Eingangseite, in Holzverschalungen gegossenen, rot eingefärbten Sichtbetonmauern und fünf parallel verlaufenden, langen Feldern mit Platz für über 700 Gräber.

Gebetsraum

An der Gestaltung des Gebetsraums war die 1976 in Sarajevo geborene und derzeit in den USA lebende und arbeitende österreichische Architektin und Künstlerin Azra Akšamija beteiligt, die dafür unter anderem einen metallenen Vorhang mit Holzschindeln geschaffen hat, in dem arabische Schriftzeichen („Mohammed“ und „Allah“) sichtbar werden. Die schlichten, naturfarbenen Gebetsteppiche im spartanisch gehaltenen Raum haben laut Brändle bosnische Kriegswitwen gewebt. Der Gebetsraum, der für die eigentliche Bestattung (siehe dazu auch nächste Seite) nicht notwendig ist, erfüllt in Altach zwei Funktionen. Zum einen kann darin gebetet werden, wenn die Vorbereitungen für die Bestattung in Gebetszeiten fallen. Zum anderen ist es der einzige beheizbare Raum im Friedhofsareal, sodass etwa bei kühleren Temperaturen Frauen und Kinder dort auf die Beerdigung warten können.

In der Anlage befinden sich weiters ein Raum für die wichtige rituelle Waschung mit Nebenraum sowie kleine Sanitär-, Verwaltungs- und Technikräume. Eine große überdachte, nach vorne und teilweise seitlich offene Raumsituation mit Innenhofcharakter ist auch der Ort für den Verabschiedungstisch aus Beton, auf dem der Sarg nach der rituellen Waschung aufgebahrt wird. Aufgrund der schlechten Bodenverhältnisse hatten sich die Bauarbeiten verzögert, sodass erst im März 2011 wirklich begonnen werden konnte. Vor einem Monat fand die erste Beerdigung, eines Babys, statt.

Träger des Friedhofs ist die Gemeinde Altach, die mit einem Hohenemser Bestatter zusammenarbeitet. Der Friedhof fällt in den Aufgabenbereich des Meldeamtsleiters, der auch für den Gemeindefriedhof zuständig ist. Damit handelt es sich um den ersten islamischen Friedhof in Österreich, der gemeindeübergreifend errichtet und betrieben wird. Der bislang einzige, 2008 in Wien eröffnete islamische Friedhof wird von der Islamischen Glaubensgemeinschaft betrieben und wurde auch von ihr auf einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Grundstück mit Hilfe von Großspendern gebaut. In Vorarlberg wurde das rund 2,3 Millionen Euro teure Projekt von Land, Gemeindeverband und den Islamischen Gemeinschaften finanziert.

Kompromisse

Auch wenn es innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaften in Hinblick auf Bestattungsriten Unterschiede gibt, so funktioniere der Friedhof sicher „ für 97 Prozent der islamischen Bevölkerung“, ist Dincer überzeugt. Die Ausrichtung nach Mekka, keine Feuerbestattung und die Särge nebeneinander, weil sich die Knochen der Toten nicht berühren dürfen, seien die zentralen Aspekte. Einige andere Punkte sind Kompromisslösungen, die allerdings in der westlichen islamischen Welt schon lange Realität seien, erzählt er, etwa die Bestattung in Särgen. Die traditionell vorgesehene ewige Ruhe lasse sich in Gegenden, wo viel Platz ist verwirklichen, so Dincer weiter, aber in Istanbul etwa sei das auch nicht mehr möglich. Die Gräber in Altach werden für 15 Jahre vergeben – mit Option auf Verlängerung.

Großes Interesse

Begraben werden kann hier jeder Moslem, der seinen Hauptwohnsitz in Vorarlberg hat. Brändle geht davon aus, dass der Platz für die nächsten 15 Jahre reichen wird. Wenn zwei Drittel belegt sind, wird neu überlegt. Eine Erweiterung in Altach oder ein weiterer Friedhof an einem anderen Ort seien dann die Optionen, so der Bürgermeister. Dincer spricht indes von einem Interesse, das weit größer ist als erwartet – auch bei der ersten Generation: „Es fragt praktisch fast jeder nach.“ Und er erzählt auch von Gesprächen mit schwer kranken Menschen, die hier, wo sie gelebt haben, auch begraben werden wollen. Über die Grabstätte hinaus sieht Dincer den Friedhof aber auch als messbarste Form der Integration im Land: „Heimat wird für mich erst zur Heimat, wenn ich das Gefühl habe, über den Tod hinaus willkommen zu sein“. Insofern stelle diese Anlage das „wichtigste Integrationsprojekt im Land“ überhaupt dar.

Eröffnung am Samstag, 2. Juni

10.30 Uhr: Offizielle öffentliche Eröffnung des Islamischen Friedhofs Altach (Schotterried 1, L 190). Mit Gottfried Brändle, Abdi Tasdögen, Harald Sonderegger, Fuat Sanac, Sebastian Kurz, Markus Wallner.
Bis 17 Uhr: „Tag der Offenen Tür“ mit Informationsangeboten zur Geschichte des Friedhofsprojekts
15.30 bis 17 Uhr: Besichtigung des Friedhofs mit Architekt Bernardo Bader und Mitgliedern der Projektgruppe (im Rahmen der Architekturtage 2012 des vai). Für diese Führung: Shuttle-Bus von Dornbirn/Haltestelle Rathaus-Richtung Hohenems: 15:15 Uhr.
Die Linie 22 des Landbusses (zwischen Dornbirn und Götzis) richtet am Eröffnungstag eine Haltestelle beim Islamischen Friedhof Altach ein.

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