Union und SPD einig - Deutscher Koalitionsvertrag vorläufig unterzeichnet

Nach wochenlangen Verhandlungen ist die Neuauflage der Großen Koalition am frühen Mittwochmorgen ein riesiges Stück näher gerückt: In einer 17-stündigen Marathonsitzung einigten sich die Spitzen von Union und SPD in Berlin auf einen Koalitionsvertrag. Der Beschluss wurde anschließend in großer Runde gebilligt. Jetzt muss noch die SPD-Basis zustimmen. Deutschland soll damit zum dritten Mal in seiner Geschichte von einer Großen Koalition regiert werden.
Zuvor hatten sich beide Seiten auf die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, Verbesserungen bei der Rente und die Erleichterung der doppelten Staatsbürgerschaft verständigt. Auch soll eine Pkw-Maut für Ausländer kommen. Auf Steuererhöhungen für neue Projekte will man verzichten.
Vorbehalt: Zustimmung der SPD-Basis
Das neue schwarz-rote Bündnis unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die SPD-Basis in der ersten Dezemberhälfte in einer Mitgliederbefragung zustimmt. So lange soll die Aufteilung der Ministerien und ihre Besetzung offen gelassen werden, wie die dpa aus Verhandlungskreisen erfuhr. Wenn die insgesamt 475 000 SPD-Mitglieder grünes Licht geben, könnte Merkel in der Woche vor Weihnachten – am 17. Dezember – im Bundestag als Kanzlerin wiedergewählt werden.
Im Koalitionsvertrag soll festgeschrieben werden, dass von 2015 an keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Union und SPD verständigten sich auch auf einen Finanzrahmen für zusätzliche Ausgaben und Investitionen bis 2017. Nach dpa-Informationen sollen für die Projekte einer schwarz-roten Koalition zusätzlich 23 Milliarden Euro ausgegeben werden.
Einigung auf gesetzlichen Mindestlohn
Einig wurde man sich über einen gesetzlichen Mindestlohn. Er soll 2015 kommen und bundesweit 8,50 Euro pro Stunde betragen. Allerdings können die Tarifpartner in einer Übergangszeit bis 2017 auch Abschlüsse vereinbaren, die unter 8,50 Euro liegen. Das kommt Union und Wirtschaft entgegen. Die Verständigungen zu Mindestlohn, Renten und zur doppelten Staatsbürgerschaft könnten die kritische SPD-Basis beruhigen, die über den Koalitionsvertrag abstimmen wird.
Der Rentenkompromiss
Der Rentenkompromiss sieht so aus, dass die von der SPD geforderte abschlagfreie Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren und die von der Union versprochene Besserstellung älterer Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zum 1. Januar 2014 eingeführt werden. Ferner soll eine “solidarische Lebensleistungsrente” für Geringverdiener von bis zu 850 Euro pro Monat ab 2017 kommen.
Verständigung bei doppelter Staatsbürgerschaft
Auch im Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft erzielten beide Seiten eine Verständigung. Danach müssen sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern künftig nicht mehr bis zum 23. Geburtstag für einen der beiden Pässe entscheiden. Einen Kompromiss gab es auch bei der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung.
Pkw-Maut: Nur Ausländer sollen zahlen
Die Maut-Einigung wurde unterschiedlich gewertet. Während die CSU von einem Erfolg für sich ausging, wurde in Kreisen von CDU und SPD die Formulierung für den Koalitionsvertrag lediglich als Prüfauftrag gewertet. Bedingung soll sein, dass die Maut nur ausländische Autofahrer belastet und mit dem Europarecht vereinbar ist. Dazu soll 2014 ein Gesetz verabschiedet werden. Merkel hatte vor der Wahl erklärt, mit ihr werde es keine Pkw-Maut geben.
Ökostromanteil von 55 bis 60 Prozent angestrebt
In der wichtigen Frage des Ausbauziels für erneuerbare Energien soll ein Ökostromanteil von 55 bis 60 Prozent bis zum Jahr 2030 angestrebt werden. Zuvor hatte die Union auf 50 bis 55 Prozent plädiert, die SPD hatte 75 Prozent als Ziel genannt. An der Zahl orientieren sich letztlich auch die Investitionsentscheidungen für neue Windparks, aber auch für neue konventionelle Kraftwerke.
Dritte Große Koalition im Bund
Fest steht, dass die SPD in einem schwarz-roten Kabinett unter Kanzlerin Merkel sechs Ministerien bekommen soll, die CDU fünf (plus Kanzleramtsminister) und die CSU drei. SPD und Union waren bereits zwischen 2005 und 2009 unter Merkel gemeinsam an der Regierung. Zuvor gab es zwischen 1966 und 1969 schon einmal eine große Koalition.
Euro steigt auf Monatshoch
Der Euro ist zur Wochenmitte von dem erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD beflügelt worden. In der Nacht zum Mittwoch sprang die Gemeinschaftswährung um einen halben Cent auf bis zu 1,3599 US-Dollar. Das ist der höchste Stand im laufenden Monat. In der Früh waren es dann noch 1,3580 Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Referenzkurs am Dienstagmittag auf 1,3547 (Montag: 1,3514) Dollar festgesetzt.
Deutschland steuert auf die dritte große Koalition in seiner Geschichte zu. Obgleich der wirtschaftspolitische Teil der Vereinbarung zahlreiche Punkte enthält, die von Ökonomen kritisiert werden, reagierte der Euro mit Gewinnen. Devisenfachmann Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank erklärte dies unter anderem damit, dass längerfristige Argumente für die erste Marktreaktion weniger entscheidend seien.
Grüne und Linke enttäuscht über Ergebnis
Die Grünen und die Linkspartei haben mit Enttäuschung auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag reagiert. Die Vereinbarung von Union und SPD sei geprägt von “Zukunftsvergessenheit”, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Mittwoch im ZDF. Die geplante Koalition ziele auf den “Abbruch der Energiewende” ab und bremse Entwicklung der erneuerbaren Energien. Sowohl Union als auch SPD seien “zukunftsvergessene Parteien”, kritisierte Hofreiter.
Auch Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch vermisste zukunftsweisende Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. “Ich habe gehofft, dass die große Koalition große Probleme angeht”, sagte Bartsch im ZDF. “Hier wird verwaltet und nicht etwa in die Zukunft agiert”, bemängelte er.
FDP wirft Union und SPD Unvernunft vor
Auch die FDP hat den Koalitionsvertrag scharf kritisiert und Widerspruch von außerhalb des Bundestags angekündigt. “Unter dem Strich bringt die Große Koalition den Bürgern und der Wirtschaft neue Regulierungen, höhere Belastungen und mehr Schulden”, kritisierte der scheidende FDP-Generalsekretär Patrick Döring am Mittwoch in Berlin.
“Sie wird damit zur Belastungsprobe für die soziale Marktwirtschaft und die Freiheit in Deutschland.” Die künftige Opposition aus Grünen und der Linkspartei stelle keine echte Alternative dar, erklärte Döring. Sie würden “vielmehr versuchen, die Unvernunft der Großen Koalition noch zu überbieten”, kritisierte er. “Die einzige Kraft, die dagegen hält, ist die FDP.”
Döring kritisierte insbesondere das Pensionspaket aus Mütterrente, Pension mit 63 und Pensionen von Geringverdienern. Dies sei “schlicht unbezahlbar”, erklärte er. “Statt die gute wirtschaftliche Ausgangslage für mutige und zukunftsorientierte Reformen zu nutzen, werden die Reserven geplündert und die Risiken auf morgen verschoben.”
(dpa/APA/red)
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