AA

"Wollte das 'Cybrothel' immer in Kirche eröffnen"

©Philipp Fussenegger
Philipp Fussenegger aus Dornbirn ist Filmemacher, Fotograf – und seit Neuestem auch Betreiber des weltweit ersten Puppen-Bordells. W&W sprach mit ihm über die Zukunft des Sexlebens, Wollpullover-Fetische – und VR und Fantasy im "Cybrothel".

WANN & WO: Du hast gerade in Berlin das „Cybrothel“ eröffnet, das erste immersive Puppen-Bordell der Welt. Wie bist du dazu gekommen, wie hat sich das alles entwickelt?

Philipp Fussenegger: Angefangen hat alles als Kunstprojekt in meiner Berliner Wohnung. Dort haben wir ein Zimmer zum Puppen-Puff umgestaltet, im futuristischen Stil. Unser Ziel war es, dort ein Kunstwerk zu schaffen, das man wie in einer üblichen Galerie besuchen kann – aber mit dem man auch Sex haben kann. Das war sozusagen der Testlauf und aus der Idee wurde schließlich das Cyber-Bordell. Das Zimmer von damals ist inzwischen übrigens ein Airbnb.

WANN & WO: Der Testlauf war also gleich erfolgreich?

Philipp Fussenegger: Nicht unbedingt. Wir hatten anfangs gerade einmal einen Kunden pro Woche. Wobei man auch sagen muss, dass wir uns damals mitten in der ersten, großen Corona-Welle befunden haben. Aber diejenigen, die zu uns gekommen sind, waren restlos begeistert. Daraufhin haben wir ein Jahr gebraucht, um herauszufinden, wo und wie wir Kunden finden, wie wir die ansprechen und auf uns aufmerksam machen. Außerdem haben wir unser Konzept überarbeitet und leichter verständlich gemacht, was wir bieten und wie es funktioniert.

©Philipp Fussenegger

WANN & WO: Und seitdem läuft es?

Philipp Fussenegger: Ja, auch weil sich die Technologie selbst stetig verbessert. Die Puppen heute haben nichts mehr mit denen zum Aufblasen von früher zu tun. Heutige Sexdolls sind komplexe Roboter, die selbstständig das Becken oder die Beine bewegen können und bei denen sich der Brustkorb hebt und senkt, um ein Atmen zu simulieren. Wir haben von den Herstellern sogar Heizstäbe ins Becken einbauen lassen, um alles noch realistischer zu machen.

WANN & WO: Die Körperformen sind aber noch sehr heteronormativ: riesige Brüste, winzige Taillen, große Hintern.

Philipp Fussenegger: Ja, da sind die bisherigen Puppen noch sehr standardisiert. Aber auch da bin ich bereits mit den Herstellern im Gespräch, andere, realistischere Körperformen zu bekommen. Viele Kunden wollen diese extremen, perfekten Formen auch gar nicht.

WANN & WO: Also gibt es auch im Sexpuppen-Bereich den Trend zur „Body Positivity“?

Philipp Fussenegger: Richtig, zum einen den Wunsch nach normalen Körperformen – und zum anderen den nach Science-Fiction und Fantasy: Es gibt Puppen, die wie Superhelden aussehen, wie die blauen Figuren aus den „Avatar“-Filmen, Meerjungfrauen ... Wir haben bei uns auch eine Alien-Puppe, der ein Penis wächst und welche die Fantasy-Story erzählt, dass sie den Männern den Samen klaut und auf ihren Heimatplaneten bringt. Auf so etwas stehen viele unserer Kunden. Wir entwickeln gerade auch viel in Richtung Virtual Reality und haben kürzlich einen Porno gedreht, den man dann während des Besuchs schauen kann. Und im nächsten Jahr wird es auch ein VR-Game geben.

©Philipp Fussenegger

WANN & WO: Das ist natürlich eine Nische, die ein normales Bordell nicht abdecken kann.

Philipp Fussenegger: Absolut. Deshalb sage ich auch immer, das ist die Zukunft des Sexlebens. Wir sehen uns in erster Linie auch nicht als Bordell, sonder als Sex-Tech-Start-up. Der Großteil unserer Kunden ist jung und die wollen nicht dieses Reeperbahn-Schmuddel-Image, sondern eine moderne, cleane Atmosphäre. Du musst auch bei uns nicht in irgendwelche dunklen Gassen schleichen, sondern kannst deinen Besuch ganz bequem online buchen – wie ein Zugticket. Da gibt es keinen Kontakt zu Menschen und kein Schämen. Manche Wünsche sind eben absurd, aber bei uns kannst du die ausleben, ohne sie erst peinlich jemandem zu erklären.

WANN & WO: Und das „Cybrothel“ kommt ohne Zwangsprostitution aus.

Philipp Fussenegger: Richtig. Unsere Kunden wollen nicht das Gefühl haben, jemanden auszubeuten. Sie wollen nicht zu diesen Frauen gehen, die weder deutsch noch englisch sprechen, die also eh auch nicht mit ihnen kommunizieren können und bei denen es sich deshalb nicht stimmig anfühlt. Und nicht zuletzt können auch Menschen mit Behinderung unkompliziert unseren Service nutzen.

©Philipp Fussenegger

WANN & WO: Ganz ehrlich: Ich wusste nicht, dass das alles technisch schon so möglich ist.

Philipp Fussenegger: Die Tools sind alle schon vorhanden: Es gibt die Puppen, es gibt Online-Buchungssysteme, es gibt Virtual Reality. Aber wir sind die ersten, die das alles zusammenführen. Das gibt es auf der Welt nicht noch einmal. Und wir werden demnächst in weitere Städte expandieren.

WANN & WO: Das sorgt auch international für Aufsehen.

Philipp Fussenegger: Wir sind immer ganz überrascht, was für Wellen das schlägt: Die BBC war schon da, das ZDF war da, ARD, rbb, die „Bild“ geht natürlich aus und ein bei uns. Für uns ist das „Cybrothel“ inzwischen ganz normal, wir sehen das Spektakuläre darin gar nicht mehr – aber vielleicht geht auch einfach der Zauber verloren, wenn man selbst schon hunderte Puppen nach den Besuchen der Gäste putzen musste. (lacht)

©Philipp Fussenegger

WANN & WO: Das „Cybrothel“ befindet sich aktuell in einem Seitentrakt einer ehemaligen Kirche in Berlin Friedrichshain. Zufall oder Teil des Images?

Philipp Fussenegger: Ich wollte immer, dass wir das „Cybrothel“ in einer Kirche eröffnen – hätte aber nicht wirklich gedacht, dass das klappt. Überhaupt Räume für einen Puppen-Puff zu finden, war nicht einfach – selbst in Berlin nicht. (lacht) Durch Zufall habe ich aber gesehen, dass Räume in einer entweihten Kirche vermietet werden. Und schon bei der ersten Besichtigung hatten wir die Zusage. Mein Traum wäre ja ein Wellness-Tempel, in dem man mehrere Tage bleiben kann, in dem es neben dem „Cybrothel“ auch einen Club gibt und Hotel-Zimmer. Ein Ort, an dem man sich ganz ausleben kann. Ich bin mir sicher, so wird es irgendwann auch sein.

WANN & WO: Klingt nach dem Berliner Kitkat-Club, nur größer?

Philipp Fussenegger: So ungefähr. (lacht)

WANN & WO: Apropos Kitkat: Du drehst gerade einen Film über den legendären Berliner Underground-Club. Die Betreiber sind aber dafür bekannt, absolut nichts nach außen zu geben – was im Kitkat passiert, bleibt im Kitkat. Wie kann man da einen Film drehen?

Philipp Fussenegger: Als ich nach Berlin kam, hat mir ein Freund das Kitkat gezeigt. Ich war sofort begeistert von der Offenheit und dem Spirit der Menschen dort. Du kannst sein, wer und wie du willst, solange du niemanden belästigst. Da gibt es kein krampfiges Anmachen und Baggern, kein ungewolltes Angrapschen, sondern die direkte Frage: „Sollen wir was trinken oder rummachen?“ Wenn ja, dann gut, wenn nein, dann auch okay. Ich habe dort über die Jahre viele Freunde und eben auch die Chefs kennengelernt. Die habe ich immer wieder zu den Premieren meiner Filme eingeladen. Sie haben gesehen, was ich mache, wie ich Dinge wiedergebe und schließlich so viel Vertrauen in mich gefasst, dass sie den Film mit mir machen.

Kurz gefragt

  • Bist du schon mal an der Kitkat-Tür gescheitert? Ja, aber dann habe ich den Chef angerufen. Und der hat dem Security eine Standpauke gegeben.
  • Was ist der schrägste „Kink“, von dem du im „Cybrothel“ gehört hast? Woll-Fetisch finde ich schon schräg. Die Kunden ziehen unseren Puppen dann Wollpullis an. Das ist sogar sehr beliebt. (lacht)
  • Was fehlt dir an Vorarlberg, wenn du in Berlin bist? Das Skifahren im Winter, die gute Luft und das man in nur zehn Minuten in der Natur ist.
  • Und was an Berlin, wenn du in Vorarlberg bist? Das Halli-Galli, das Weggehen und das Kultur-angebot. Das gibt es zwar auch hier. Aber Berlin ist einfach anders – „the capital city of the free world“.

Zur Person: Philipp Fussenegger

  • Geburtstag, Alter, Wohnort, Herkunft: 27. Oktober 1989 (33 Jahre), wohnt in Berlin, gebürtig aus Dornbirn
  • Ausbildung: Ausbildung für Klassisches Klavier am Musikkonservatorium Feldkirch, 2008 „Bachelor of Arts Regiestudium“ in Salzburg, bis 2015 Studium an der Kunsthochschule für Medien in Köln
  • Werke und Auszeichnungen: „Henry“ (First Steps-Award 2016, Nominierung Österreichischer Filmpreis 2017), Vorarlberger Kulturpreis 2018, „Bester Mann“ (Max-Ophüls-Preis 2018, Nominierung Öst. Filmpreis 2019), „Die Schilehrer“, „I am The Tigress“

Hier die ganze WANN & WO-Ausgabe online lesen

(VOL.AT)

Wann_Und_Wo
home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Wann & Wo
  • "Wollte das 'Cybrothel' immer in Kirche eröffnen"