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Wir alle sind für die Welt von Morgen verantwortlich

Sieglinde Fitz
Sieglinde Fitz ©Veronika Hofer
Vor einem halben Jahr konnte Sieglinde Fitz die Vollendung ihres 95. Lebensjahres feiern. Wenn auch ihr Körper sehr müde und gebrechlich geworden ist, innerlich fühlt sie sich gesund und voller Lebenskraft.

 

Lustenau Man könnte stundenlang mit ihr über Gott und die Welt plaudern. Gott ist es auch, der der ältesten Tochter des legendären Heimatdichters Hannes Grabher diese innerliche Kraft verleiht und dessen Nähe sie immer spürt. So kennt die weise betagte Frau auch keine Angst vor dem Tod, denn sie ist überzeugt: „Der mich ein Leben lang geführt hat, wird mich auch führen, wenn meine letzte Stunde schlägt.“

Die Impfung gegen Corona hat sie ohne jegliche Beschwerden überstanden und sie hatte seit dem Ausbruch der Pandemie nie Angst vor der Krankheit. Aber die Situation als solche empfindet sie als bedrückend, weil es die ganze Welt bedrückt. Sie leidet mit den anderen und es erinnert sie an die Sorgen und Ängste, die sie während des Krieges hatte.

Früher und heute

Sieglinde Fitz wuchs sehr behütet in einem Elternhaus auf, in dem kluge und kreative Leute ein und aus gingen und zurückblickend ist sie froh, ihre Kindheit und Jugendzeit vor fast 100 Jahren erlebt zu haben, trotz des Krieges. Sie würde es den heutigen Kindern gönnen, es auch so schön zu haben, mit dieser Gemütlichkeit, der Einfachheit und Ruhe. Mit einem Stück Brot und einem Apfel als Jause waren sie damals zufrieden. Da sie nichts anderes kannten, hätten sie die Entbehrungen nicht so empfunden, wobei sie einlenkt, dass es in ihrem Elternhaus an nichts mangelte, es jedoch auch wirklich arme Menschen gab. Worte wie „Selbstverwirklichung“ oder „Stress“ kannte man früher nicht. Jedoch habe es immer schon Sippschaften in Lustenau gegeben, die als „vrschondo“ galten, was so viel bedeutet wie überfleißig sein, unermüdlich arbeitend.

Geborene Lehrerin

Sieglinde wäre gern Lehrerin geworden und für diesen Beruf wäre sie ganz bestimmt prädestiniert gewesen. Aber sie schreckte davor zurück. Kurz, bevor sie ausgeschult wurde, war Hitler an die Macht gekommen und sie erlebte hitlertreue Klassenkameradinnen, die sich unverschämt gegen die Lehrpersonen auflehnten und sich alle Rechte herausnahmen. Unentschuldigt entfernten sich diese z.B. aus dem Unterricht, mit der Erklärung, sie müssten nach Hause, um das Haus zu beflaggen. Und die Vorstellung, die Ideen des Führers überzeugend zu lehren und mit den Schulkindern für ihn beten zu müssen, so, wie sie es mussten, hielt sie vor der Ausbildung ab. Außerdem hieß es, in der Lehrerbildungsanstalt müssten die Schülerinnen am Morgen gemeinsam duschen und das war für das sittsame Mädchen damals undenkbar.

Freud und Leid

Ihr Mann Hans nannte sie oft „meine Königin“. Eine sehr große Liebe verband das Paar, das sich schon im Teenageralter die Ehe versprochen hatte. Kriegsbedingt mussten sie sehr lang auf den Tag ihrer Hochzeit warten, doch 1950 war es soweit: Sie heirateten und konnten in ihr neues Haus einziehen und in den folgenden sechs Jahren kamen ihre fünf Töchter zur Welt. Diesen bereiteten sie ein wunderbares Zuhause. Später ist die Familie um 13 Enkel und 22 Urenkel gewachsen. Vor zwanzig Jahren musste Sieglinde Fitz den Tod ihres Mannes hinnehmen und 2004 starb ihre dritte Tochter, Agnes. Dass sie so gut mit diesen Verlusten umgehen konnte, ist wieder ihrem starken Glauben zu verdanken. Sie weiß ihre Liebsten in besten Händen und dass sich die Familie ihrer verstorbenen Tochter so gut entwickelt hat, ist ihr ein großer Trost. Den größten Schmerz ihres Lebens empfand sie, als ihr ihr Pflegekind Lili, das sie mit vier Monaten in ihre Obhut genommen hatte, nach fünf Jahren von heute auf morgen entrissen wurde. Noch heute ist sie mit der in Belgrad lebenden Frau, die inzwischen selbst Mutter ist, innig verbunden.

Einen Baustein leisten

Als alteingesessene Lustenauerin empfindet sie „die Bauerei“ als furchtbar, denn das Bild der Gemeinde verändert sich in den letzten Jahren rapid. Es tut ihr weh, wenn sie diese neuen großen Häuser, manche sogar mit schwarzer Fassade, sieht und die schönen alten Häuser der Reihe nach verschwinden. Auch die geplante Straße durch das wunderbare Ried schneidet ihr ins Herz. Trotzdem steht sie der Entwicklung aufgeschlossen gegenüber. „Man muss voraus schauen“, wirft sie ein. „Die Jungen werden sich daran gewöhnen. Meiner Meinung nach ist der Schöpfungsplan noch nicht vollendet – das Leben muss sich immer weiter entwickeln. Jede Generation muss nach ihren Möglichkeiten ihren Baustein dazu leisten. Wir möchten ja keine Neandertaler sein. Wir alle sind für die Welt von Morgen verantwortlich.“

So die Worte von Sieglinde Fitz-Grabher, die mit vielen guten Taten in ihrem langen Leben ihren Beitrag für eine bessere Welt geleistet hat. Voller Dankbarkeit blickt sie auf die Jahre zurück und ist froh, von ihren Töchtern Elisabeth, Maria, Magdalena und Angelika und deren Familien so wohl umsorgt zu sein.

 

 

 

 

Sieglinde Fitz ist in die Fußstapfen ihres Vaters Hannes Grabher getreten und hat vier Gedichtbände im Lustenauer Dialekt herausgebracht. Hier eines ihrer Werke:

 

Gott

Du biescht as wi a guoti Queäll

i minom Seeologrond,

so lang du sprudlascht e-mr enn,

bien i im Tüüfschto gsond.

 

Du treyscht mi guot uf dinom Arm,

biescht stark, wi Vättr siend,

so lang d‘ mi hebscht, han i ko-n-Angscht,

i wuôß, i bien din Kiend.

 

Du biescht mr Halt und biescht mr Trouoscht,

a Liechtli heäll und warm,

so lang du glüotlascht e-mr enn,

so lang bien i nid arm.

 

Und wänn i ou ir letschto Stond

muoß gau vo allor Pracht,

so lang i wuôß, dass d‘ bey mr biescht,

so lang wierd as nid Nacht.

 

 

Aus dem Gedichtband: „Ondrliechts“

Außerdem im Eigenverlag erschienen: „Ondrom Bôm“ und „Im Ofo-n-eggli“

Edition W*ORT: „Luschti und frivol“

 

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