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Wien darf nicht St. Pölten werden

Karl Mahrer versucht, ausländerfeindlichen Ungeist in die Stadt zu bringen.
Karl Mahrer versucht, ausländerfeindlichen Ungeist in die Stadt zu bringen. ©APA/HANS PUNZ (Symbolbild)
GASTKOMMENTAR VON JOHANNES HUBER. ÖVP-Chef Mahrer versucht, ausländerfeindlichen Ungeist in die Stadt zu bringen. Seine Möglichkeiten sind begrenzt. Wenn die SPÖ so weitermacht, könnte sich das jedoch rasch ändern. Wien darf nicht St. Pölten werden

Wien ohne Zugewanderte wäre noch Wien, hat der niederösterreichische FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl sinngemäß erklärt. Der Brunnenmarkt ohne ausländische Standler wäre noch der Brunnenmarkt, hat ÖVP-Stadtparteiobmann Karl Mahrer nun ebenso festgestellt: Er schäumt, dass der Markt im 16. Gemeindebezirk in der Hand von „Syrern, Afghanen, Arabern“ sei, wirft ihnen einerseits vor, eine expansive Kleinunternehmenspolitik zu betreiben, also fleißig zu sein; und andererseits, eine „Unsicherheitszone“ zu verschulden, in der es deutlich mehr Sexualstraftaten gebe.

Mahrer würde das Rad der Zeit gerne um ein paar Jahrzehnte zurückdrehen. In der Illusion, dass damals alles anders war. Dabei ist die Bundeshauptstadt immer schon eine Zuwanderungsstadt gewesen.

Ja, der ÖVP-Mann hätte gerne, dass Wien St. Pölten wird. Türkis-Blaue wollen von dort aus erreichen, dass ganz Niederösterreich möglichst unattraktiv wird für MigrantInnen. Kindern soll es verboten werden, in Schulpausen ihre Muttersprache zu sprechen, sofern es eine fremde ist. Umgekehrt sollen nur Wirtshäuser gefördert werden, die Schnitzel und dergleichen anbieten. Wobei das Schnitzel zwar aus Mailand stammt, das im Sinne einer kulturellen Aneignung aber gerne unterdrückt wird.

Der Brunnenmarkt bietet allen Menschen eine Möglichkeit, zu sehr, sehr niedrigen Preisen gute Ware zu erstehen. Bei der Gelegenheit kann man sich auch um zwölf Euro die Haare schneiden lassen. Was Mahrer vermisst – nämlich „heimische Landwirte und regionale Produzenten“ -, gibt es samstags in der Verlängerung am Yppenplatz. Das weiß er offenbar nicht: Diese Landwirte und Produzenten verlangen so viel Geld, wie sie brauchen, um leben und arbeiten zu können. Es ist angemessen. Nur: Für eine Masse ist es zu viel.

Würde man im Mahrer’schen Sinne sagen, 50 Prozent der Stände am Brunnenmarkt müssen von Menschen betrieben werden, die seit drei Generationen in Österreich leben, hätte man genau das davon: Die 50 Prozent der Stände würden leer stehen. Sprich: Der Markt ist auch so, wie er ist, weil hier Angebot und Nachfrage bei einem Preisniveau zusammenfinden, bei dem ein Herr Mahrer keinen Fingen rühren würde.

Bei Leuten wie ihm muss man sich die Frage stellen, ob sie das Land gegen die Wand fahren wollen: Ohne engagierte Zuwanderer, die umworben werden, ist bald fertig. Dann fehlen zu viele PflegerInnen, Fachkräfte, aber auch Männer und Frauen, die bereit sind, in einem Billigstlohnsegment tätig zu sein.

Heute mag einer wie Mahrer weit davon entfernt sein, seine Vorstellungen in Wien umsetzen zu können. Das kann sich jedoch schnell ändern: Es ist auch eine Schuld des mächtigsten Sozialdemokraten der Republik, also die von Bürgermeister Michael Ludwig, dass die Krise der SPÖ eher größer wird als kleiner. Dass die Mitgliederbefragung zum Bundesparteivorsitz zu einer Posse verkommt, die der Partei noch schwere Wahlniederlagen bescheren könnte. Auch in Wien. Dann steht die Stadt wieder dort, wo sie sich 2015 bis 2019 befand: Vor der realistischen Möglichkeit, dass es zu einer blau-türkisen Mehrheit kommt.

Dass die SPÖ dann erstmals in die Opposition gehen müsste, wäre nicht das Problem; für sich genommen wäre das sogar überfällig. Dass Problem ist, dass Wien dann wirklich St. Pölten wird.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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