Von Anja Förtsch (WANN & WO)
Anfang Jänner, die Temperaturen in Dornbirn tanzen um den Gefrierpunkt herum, die Straßen der Messestadt sind feucht vom Schnee der vergangenen Tage. Unablässig rollen Autos über den Schwefel, vorbei an einer alten Industrie-halle, vor der allerlei Baufahrzeuge stehen. Dort, zwischen Baggern und Gabelstaplern, ist das Zuhause einer Frau, von der in Dornbirn so gut wieder jeder zumindest schon gehört hat – die aber so gut wie niemand wirklich kennt. Und so wird sie von den meisten einfach nur „Schwefel-Frau“ genannt. „Ja, wir sehen sie praktisch jeden Tag“, erzählt eine Mitarbeiterin eines nahegelegenen Geschäfts WANN & WO. „Kunden haben uns schon nach ihr gefragt, viele wollen ihr Geld oder Lebensmittel schenken. Allerdings nimmt sie diese Spenden nicht an. Sie will allein sein und keine Kontakte zu Menschen haben.“
Obdachlos mit Christbaum
Das bestätigt auch der Inhaber eines weiteren Geschäfts neben dem Lager der „Schwefel-Frau“. „Seit gut einem Jahr kennen wir sie. Wenn sie nicht gerade unterwegs ist, sitzt sie dort auf ihrem Klappstuhl, bei Wind und Wetter, notfalls in Decken und Schals gehüllt, dass gerade nur noch das Gesicht herausschaut“, schildert der Unternehmer. „In dieser Zeit hat sie nie Hilfe angenommen. Die scheint sie aber auch nicht zu brauchen: Sie hat sich da eingerichtet, hatte zur Weihnachtszeit sogar einen Tannenbaum dort stehen.“ Nicht zuletzt mit ihrem Christbaum ist die Unbekannte längst Stadtgespräch geworden. So wie auf der Straße, so ist die „Schwefel-Frau“ auch in sozalen Medien ein Thema. Denn wenn es auch sonst schon schwer ist, auf der Straße zu leben, ist es gerade jetzt im Winter noch einmal schwerer. Einige Internetnutzer fragen deshalb, wie sie ihr helfen können, andere berichten, dass sie durchaus auch aggressiv werden kann, wenn man sie bedrängt – selbst wenn es gut gemeint ist. Das kann der Inhaber des Geschäfts nebenan nicht bestätigen: „Wir hatten noch nie Probleme mit ihr. Sie ist sogar sehr reinlich, hebt herumliegenden Müll auf und fegt den Boden ihres Lagers mit einem Besen. Ich habe sie immer als sehr freundlich erlebt.“ Dennoch ist ihr Schicksal bei Weitem kein leichtes: „Die Frau ist psychisch krank. Es war auch schon die Polizei da, die haben sie mitgenommen. Aber nur kurze Zeit später war sie wieder hier.“
Polizei brachte sie zurück
Wird also eine ältere, kranke Frau trotz offenbaren Notrufen scheinbar einfach wieder auf die Straße gesetzt? Keinesfalls, sagt Günter Nägele, Leiter der ifs Erwachsenenvertretung: „Das Gesetz legt fest, dass die Selbstbestimmung ein hohes Gut ist – auch wenn das Risiko besteht, dass sich Menschen selber schaden. Das bedeutet, dass niemand gegen seinen Willen festgehalten werden kann, es sei denn, es besteht akute Lebensgefahr. Solch eine Zwangseinweisung bleibt deshalb immer das letzte Mittel.“ Die meisten Obdachlosen wüssten aber genau, wie sie selbst Minusgrade aushalten. „Das ziehen einige von ihnen den Notschlafstellen etwa der Caritas in Feldkirch oder der dowas in Bregenz vor.“ Denn schließlich gelten dort gewisse Regeln.
„Dort ist festgelegt, wann ich kommen und gehen soll, ich muss eventuell nüchtern bleiben, mit Sozialarbeitern sprechen – viele Obdachlose wollen zudem nicht an Nachfolge-Einrichtungen wie Kaplan Bonetti oder das Kolpinghaus weitervermittelt werden“, so Nägele. „Fest steht: Niemand muss in Vorarlberg obdachlos sein. Aber manche entscheiden sich dazu.“ Und so wird die „Schwefel-Frau“ wohl noch lange Stadtgespräch in Dornbirn bleiben.
Im Notfall: So kann man Obdachlosen am besten helfen
Auch wenn der innere Drang, etwas zu tun, groß ist: Manchmal hilft man Obdachlosen am besten, wenn man nichts tut, sagt Günter Nägele, Leiter der ifs Erwachsenenvertretung. „Gerade wenn Menschen schon länger obdachlos sind, können sie in der Regel gut für sich selbst sorgen“, so Nägele. Sieht man aber, das jemand neu auf der Straße ist und offenbar Hilfe braucht, wende man sich am besten an die Sozialabteilung der Stadt oder im Notfall an die Polizei.
(WANN & WO)
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