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Wenn Schlaf zum Zwang wird

Hohenweiler - Jennifer sieht vielleicht etwas blass um die Nase aus, aber sonst recht aufgeräumt. Erzählt sie davon, lachen die Leute. Dabei leidet Jennifer unter der "Schlafkrankheit".

Krault ihren Hund hinterm Ohr. „Lass ihn doch“, protestiert sie, als ihre Mutter ihn der Küche verweist. Und lacht ihm entgegen, als er sich wenig später wieder durch den Türspalt stiehlt.

Lachen gefährlich

Jennifer lacht überhaupt gern. Gern, aber nicht mehr so oft wie andere Mädchen mit 17 Jahren. Denn Jennifer verliert die Kontrolle über ihren Körper, wenn sie lacht. Sie sackt dann in sich zusammen. „Ungefähr so.“ Ungelenk lässt sie die Arme auf den Tisch fallen, grad so, als wäre alles Leben aus ihnen gewichen. Das erste Mal ist ihr das vor Weihnachten 2005 passiert. „Wir haben über eine Schokolade Witze gemacht“, erinnert sich Mutter Ingrid. Plötzlich lag ihre Tochter auf dem Küchenboden. Hatte sich blitzschnell fallen lassen, als sie merkte, dass sie jede Kraft verlor. Damals wusste sie noch nicht, dass der Fachmann das „Kataplexie“ nennt. Jedem Menschen werden von Zeit zu Zeit die Knie weich. Bei Patienten mit Schlafkrankheit erfasst die Taubheit mitunter den ganzen Körper. Schlafkrankheit oder Narkolepsie ist selten. Sie wird auch selten erkannt. Ingrid Bocek wäre nie auf die Idee gekommen.

Schulischer Abstieg

Vor Weihnachten 2005 hatte Jennifer schon einen beachtlichen Sinkflug hinter sich. „Im Sommer hat alles angefangen.“ Da wurde sie immer öfter müde. Sie litt unter Kopfschmerzen. Doch damals war sie 15. Die Pubertät bringt ja allerlei Unbill mit sich. Man denkt sich nichts dabei. Doch die Schule zeitigte unangenehme Folgen. Vor allem, dass sie in Mathematik nur noch Fünfer schrieb, hat sie völlig irritiert. Sie mochte Mathe. Sie durchwachte auch die Schularbeiten. „Aber beim Läuten fehlte mir jede Erinnerung, was ich geschrieben hatte.“

Es folgte der blaue Brief an die Mutter, die ihre Tochter, die immer so müde war, zunehmend argwöhnisch betrachtete. Jennifer wurde anfällig für jede Krankheit. Sie blieb oft tagelang zuhause. Ihre Mutter reagierte wie alle Mütter: Mit abendlicher Ausgangssperre und bohrenden Fragen. Eines Abends eskalierte das Misstrauen. Beide gingen noch zur Stunde ins Krankenhaus. Aber der mütterliche Argwohn bestätigte sich nicht. Die Ärztin verneinte: „Ihre Tochter nimmt keine Drogen.“

Auch die Computertomographie blieb ergebnislos. „Ich bin in der Röhre eingeschlafen. Bei dem Lärm“, wundert sich Jennifer heute noch. Die Neurologie in Rankweil entkräftete den Verdacht auf Gehirntumor. Das Innsbrucker Schlaflabor brachte schließlich Gewissheit. Seit Februar 2006 weiß Jennifer: Sie hat die Schlafkrankheit.

Ständige Begleiter

Deren Ursachen liegen bis heute im Dunkeln. Heilen lässt sie sich (noch) nicht. Medikamente halten Jennifer derzeit in Balance. Heute macht sie im elterlichen Betrieb eine Lehre als Bürokauffrau und versucht die Abend-HAK. Viele Fragen sind noch offen. Sie wird ihr Leben lang auf Arzneien angewiesen sein. Doch während einer Schwangerschaft sind die Medikamente tabu. Und kein Mensch weiß, wie stark sich die wiederkehrenden Erschöpfungszustände aufs Gemüt schlagen werden. Abermals lächelt sie. Doch verhalten, fast vorsichtig. Als wägte sie Gefahren ab.

Selbsthilfe

Weil es anderen auch so geht, wollen Ingrid und Jennifer eine Selbsthilfegruppe gründen. „Wer Interesse hat, kann mich per Mail erreichen: jennifer.bocek@aon.at über den Club Antenne in Dornbirn, www.selbsthilfe-vorarlberg.at

 

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