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Angelika Wehinger und Lea Putz-Erath klären auf.
Angelika Wehinger und Lea Putz-Erath klären auf. ©VOL.AT/Emilia Waanders/Canva

Wenn Männer töten – und die Gesellschaft wegschaut: Der tödliche Alltag hinter Femiziden

Sechs Frauen sind heuer in Österreich von Männern getötet worden – meist von jenen, die ihnen einst nahestanden. Zwei Vorarlberger Expertinnen sprechen über das, was hinter diesen Taten steckt: eine tief verwurzelte Struktur, die tödlich endet – und doch oft ignoriert wird.

Sie wollten einfach nur leben – doch für sechs Frauen endete das Jahr 2025 bereits tödlich. Ermordet von Männern, oft den eigenen Partnern. Hinter jedem "Femizid" steht eine Geschichte von Kontrolle, Angst und Hilferufen, die niemand hörte.

Wie konnte es so weit kommen – und was muss sich endlich ändern? Ein Gespräch mit Lea Putz-Erath von Femail und Angelika Wehinger vom Gewaltschutzzentrum.

Video: "Die Spitze des Eisbergs"

"Femizid": Das tödliche Ende eines tief verankerten Problems

"Femizid bedeutet die Tötung von Frauen als Konsequenz patriarchaler Verhältnisse", erklärt Lea Putz-Erath, Geschäftsführerin von Femail. Es sei mehr als ein Mord: "Es geht auch um die systematische Ungleichheit zwischen Frauen und Männern, die Unterdrückung und den gesellschaftlichen Nährboden, der Gewalt an Frauen möglich macht."

Trotz seiner gesellschaftlichen Relevanz ist der Begriff "Femizid" nicht im österreichischen Strafgesetzbuch verankert. Wird eine Frau getötet, erfolgt die rechtliche Einordnung als Mord, Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge – nicht aber unter der Bezeichnung Femizid. „Das ist ein Problem“, sagt Angelika Wehinger vom Gewaltschutzzentrum Vorarlberg. „Denn so bleibt der strukturelle Hintergrund der Tat unsichtbar.“

Angelika Wehinger und Lea Putz-Erath. ©VOL.AT/Emilia Waanders

"Sie schrie stundenlang – aber niemand rief die Polizei"

Besonders eindrücklich bleibt Angelika Wehinger ein Fall aus Wien in Erinnerung, der sich vor zwei bis drei Jahren ereignete: "Eine Frau wurde stundenlang von mehreren Männern vergewaltigt, bis sie schließlich starb. Nachbarn hörten ihre Schreie – aber niemand rief die Polizei." Solche Fälle seien tragisch – und vermeidbar: "Hinsehen, nicht weghören, handeln. Ein Anruf hätte ihr das Leben retten können."

Lea Putz-Erath erinnert sich an einen anderen Fall: "Eine 62-jährige Gynäkologin, die sich jahrzehntelang für Frauenrechte einsetzte, wurde im Herbst in Wien von ihrem eigenen Ehemann getötet. Das hat mich besonders mitgenommen."

"Es ist ein Besitzdenken" – Warum Männer Frauen töten

Warum töten Männer Frauen? "Es ist ein Besitzdenken", sagt Wehinger. Besonders gefährlich seien Trennungssituationen oder neue Partnerschaften. "Wenn Frauen sich aus einer Beziehung befreien wollen, sehen manche Männer keinen anderen Ausweg mehr, als dass sie tödliche Gewalt anwenden." Laut einer Studie von Birgit Haller zeigen rund 30 Prozent der Täter psychische Auffälligkeiten.

Auch Schwangerschaften gelten als Risikophase. "Oft beginnt in dieser Zeit die Gewalt überhaupt zum ersten Mal", so Wehinger. Der Grund? Eifersucht, Kontrollverlust und der Übergang in eine neue Lebensphase, die manche Männer nicht verkraften. "Einige Frauen berichteten über Tritte in den Babybauch. Darum sollte auch das Gesundheitswesen aufmerksam sein, wenn eine Schwangere dem Arzt erzählt, sie sei gestolpert."

Lea Putz-Erath, Femail. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Aktuelle Zahlen: Bisher sechs Femizide im Jahr 2025

Mit Stand Anfang Mai 2025 gab es bereits sechs Femizide in Österreich – im gesamten Jahr 2024 waren es 27. Diese Tötungsdelikte sind jedoch nur die "Spitze des Eisbergs": "Jede dritte Frau in Österreich erlebt körperliche oder sexualisierte Gewalt", betont Putz-Erath.

2023 wurden in Vorarlberg laut Gewaltschutzzentrum 540 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen – ein Anstieg von 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (503). "Wir vermuten den Anstieg nicht etwa deswegen, weil es mehr Gewalt gibt", erklärt Wehinger, "sondern weil Betroffene früher Hilfe suchen und sensibilisierter sind."

82 Prozent der Gewalt-Opfer waren Frauen

2023 hat das Gewaltschutzzentrum Vorarlberg 1.110 Personen beraten – rund 82 Prozent davon waren Frauen. Fast die Hälfte der Betroffenen kommt über eine Zuweisung durch die Polizei, etwa nach einem Betretungsverbot. Die andere Hälfte meldet sich selbst oder wird von anderen Stellen vermittelt – etwa durch Gemeinden, Ärzte oder Bildungseinrichtungen.

"Unser Angebot ist freiwillig, kostenlos und vertraulich", erklärt Wehinger. Die Beratung beinhaltet Schutz- und Sicherheitspläne, rechtliche Unterstützung sowie psychosoziale Prozessbegleitung. Seit 2021 müssen potenzielle "Gefährder" nach einem Betretungsverbot auch verpflichtend eine sechsstündige Gewaltpräventionsberatung absolvieren.

Gesetzliche Nachbesserungen gefordert

Ein Kritikpunkt: Weisungen von Gerichten – etwa, dass sich Täter dem Opfer nicht mehr nähern dürfen – bleiben oft wirkungslos. "Die Polizei wird nicht automatisch informiert, daher können sie im Ernstfall nicht eingreifen", kritisiert Wehinger. Hier brauche es dringend gesetzliche Nachbesserungen.

Der letzte bekannte Fall: Erschossen bei der „letzten Aussprache“

Am vergangenen Wochenende wurde erneut eine Frau in Österreich ermordet. In Maria Alm (Salzburg) traf sie sich nachts auf einem Parkplatz zur "letzten Aussprache" mit ihrem Ex-Partner – und wurde von ihm erschossen. Für Wehinger ist das ein weiteres trauriges Beispiel: "Solche Treffen nach Gewalt- oder Stalkingvorfällen sind extrem riskant." Sie warnt: "Darum rate ich bei Beziehungen mit gewalttätigen Hintergründen immer von einer letzten Aussprache ab."

"Geschlechtergerechtigkeit ist die Voraussetzung für ein sicheres Leben"

Beide Expertinnen fordern mehr gesellschaftliche Verantwortung. "Geschlechtergerechtigkeit ist die Voraussetzung für ein sicheres Leben", so Putz-Erath. Doch viele wollten keine "Spaßbremse" sein, wenn frauenfeindliche Witze fallen – das müsse sich ändern.

Auch Wehinger betont: "Die Bekämpfung von Gewalt beginnt bei den Rollenbildern im Kindergarten und in der Schule. Es geht um Mädchenarbeit, Bubenarbeit und darum, die strukturelle Ungleichheit zu beseitigen." Frauenhäuser, Beratungsstellen und das gesamte Hilfesystem müssten besser finanziert und sichtbarer werden.

Angelika Wehinger, Gewaltschutzzentrum Vorarlberg. ©handout/privat

Zahlen und Statistiken im Überblick

Zahlen zu Femiziden in Österreich

  • 6 Femizide in Österreich im Jahr 2025 (Stand: Anfang Mai)
  • 27 Femizide im gesamten Jahr 2024
  • Femizid = Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts (nicht im Strafrecht verankert)

Allgemeine Gewaltzahlen

  • Jede dritte Frau in Österreich ist laut Studien von körperlicher oder sexualisierter Gewalt betroffen
  • Gewalt beginnt häufig in der Schwangerschaft oder bei Trennungssituationen
  • 30 % der Täter zeigen laut Studie von Birgit Haller psychische Auffälligkeiten

Daten aus Vorarlberg

  • Ein Femizid im Jahr 2024
  • 540 Betretungs- und Annäherungsverbote im Jahr 2023
  • 503 Betretungs- und Annäherungsverbote im Jahr 2022
    • +6,7 % Zunahme – wird auf gesteigerte Sensibilität und Prävention zurückgeführt
  • 1.110 Personen wurden 2023 vom Gewaltschutzzentrum Vorarlberg beraten
    • 82 % Frauen
    • Ca. 18 % Männer, u. a. betroffen von Stalking, Gewalt zwischen Generationen oder in WGs
    • Ca. 3 % der Fälle: Frauen als Täterinnen gegen Männer im häuslichen Kontext
  • Gefährlichster Ort für Frauen: die eigenen vier Wände
  • Gefährlichster Ort für Männer: der öffentliche Raum

Maßnahmen und rechtlicher Rahmen

  • 14 Tage: Dauer eines polizeilichen Betretungs- und Annäherungsverbots
  • 100 Meter: Mindestabstand zur Wohnung und zum Opfer während dieser Maßnahme
  • 6 Stunden verpflichtende Gewaltpräventionsberatung bei Verstößen seit 2021
  • Gerichtliche Weisungen (z. B. Kontaktverbot) derzeit ohne automatische Information der Polizei

Lesung mit Yvonne Widler mit freiem Eintritt

Anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen findet am Freitag eine gemeinsame Veranstaltung von Femail und dem Gewaltschutzzentrum Vorarlberg statt. Journalistin Yvonne Widler spricht im Theater am Saumarkt über Femizide in Österreich. Unter dem Titel "Heimat bist Du toter Töchter" gibt sie ermordeten Frauen eine Stimme und beleuchtet die Ursachen männlicher Gewalt. Die Veranstaltung ist eine Kooperation von Femail und dem Theater – der Eintritt ist frei.

Kontaktinformationen:

(VOL.AT)

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