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Wenn Allergene flügge werden

Die Blütezeit bedeutet für Pollenallergiker eine enorme körperliche Belastung.
Die Blütezeit bedeutet für Pollenallergiker eine enorme körperliche Belastung. ©stock.adobe.com
Das große Durchatmen vieler Allergiker findet dieser Tage ein jähes Ende: Mit Beginn der wärmeren Tage und Nächte erwacht die Pflanzen- und Tierwelt aus ihrem Winterschlaf. Schwere Zeiten brechen an, jedenfalls für all jene, die auf Allergene wie Blütenstaub, Insektenstiche und mehr überreagieren.

So wie Chiara Rudigier aus Gortipohl. Bei der diagnostizierten Allergike­­rin auf Gräser und Birke scheint eine Heilung nicht in Reichweite. Fit & Gesund sprach mit HNO-Facharzt Wolfgang Feuerstein explizit über die Pollenallergie der jungen Frau, aber auch über allergische Fakten.

Wenn Sie die persönliche Krankengeschichte von Chiara Rudigier betrachten, was raten Sie ihr?

Wolfgang Feuerstein: Nach wie vor gilt die spezifische Immuntherapie (SIT) als die einzig kausale Therapieform bei allergischen Erkrankungen. Was jedoch ihre Erfolgsquote und vor allem ihre Nachhaltigkeit betrifft, wurde sie deutlich überschätzt. Grundsätzlich gehen wir heute von einer Wirksamkeit bei 45 bis 60 Prozent der Betroffenen aus, bei Insektengiften liegt die Erfolgsquote deutlich höher. Wirksamkeit bedeutet jedoch nicht Heilung. Lediglich bei 10 Prozent der Betroffenen kommt es zu einer dauerhaften Beschwerdebesserung. Auch was die Qualität der Präparate betrifft, hat eine Marktbereinigung stattgefunden. Die deutsche Therapieallergeneverordnung hat dazu geführt, dass viele Präparate, die ihre Wirksamkeit studienmäßig nicht ausreichend belegen konnten, vom Markt verschwunden sind. Bei Therapieversagen der SIT stellt die Depotgabe von Cortison eine wirksame Alternative dar. Es ist jedoch darauf zu achten, die Dosis so gering wie möglich zu halten und die Injektionsstelle zu wechseln, um lokalen Nebenwirkungen des Cortisons vorzubeugen.

Nun zur Entstehung von Allergien:­ Kann es jeden treffen? Kann man von einem typischen Verlauf sprechen? Beobachten Sie einen Zuwachs an Allergien?

Grundsätzlich können allergische Erkrankungen jeden treffen. Beschwerden beginnen oft bereits im Kleinkind­alter als atopische Dermatitis, verschwinden dann wieder, treten erneut im Kindesalter oft als Heuschnupfen in Erscheinung. Im Alter von 10 Jahren sind bis zu 10 Prozent, bei den 14-Jährigen sind bis zu 20 Prozent der Kinder von Heuschnupfen betroffen. In weiterer Folge können auch die tieferen Atemwege mitbetroffen sein, und es entwickelt sich ein Asthma bronchiale. Gerade bei Birkenpollenallergikern kann es in bis zu 60 Prozent der Fälle auch zu Kreuzallergien auf Lebensmittel kommen. Je nach Dauer der Beschwerden ist die Lebensqualität der Betroffenen oft massiv beeinträchtigt. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen intermittierenden, das heißt unterbrochenen und persistierenden allergischen Erkrankungen. Eine Zunahme von allergischen Erkrankungen ist überwiegend in den Industriestaaten zu sehen, in Entwicklungsländern deutlich weniger.

Spielen in Bezug auf Allergien Umwelteinflüsse wie Luftschadstoffe, Zusätze in Lebensmitteln und Co. eine Rolle?

Bei der Entstehung spielt Genetik eine große Rolle. Zudem werden übertriebene Hygienemaßnahmen sowie aggressive Allergene durch Luftschadstoffe diskutiert. Weitere prädisponierende Faktoren scheinen Tabakrauch, feuchtes Wohnklima und dadurch bedingte Schimmelpilzbildung sowie Kfz-Emissionen zu sein. Lebensmittelzusätze führen eher zu Unverträglichkeitsreaktionen bzw. Reizdarmsyndromen. Nur selten treten Lebensmittelzusatzstoffe als Auslöser echter Allergien in Erscheinung.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, einen Facharzt aufzusuchen?

Grundsätzlich sollte bei Beschwerden der allergologisch versierte Facharzt aufgesucht werden. Die drei Säulen in der Allergiediagnostik sind nach wie vor Anamnese, Hauttests sowie Labortests. In Einzelfällen kann auch eine molekulare Allergiediagnostik oder Komponentendiagnostik sinnvoll sein. Diese ermöglicht eine genauere Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenallergenen, was gerade bei Kreuzallergien hilfreich ist. Bei Beteiligung der tieferen Atemwege ist auch eine Lungenfunktionsdiagnostik indiziert.

Und die Therapiemöglichkeiten?

Grundsätzlich unterscheiden wir einen rein symptomatischen von einem kurativen Therapieansatz. Mittels Antihis­taminika, cortisonhaltigen Nasensprays, Leukotrienantagonisten usw. lassen sich allergische Symptome sehr gut unterdrücken. Dies ändert jedoch nichts an der Allergie selbst. Auch der sogenannte Etagenwechsel, das heißt ein Übergreifen der allergischen Entzündung auf die tieferen Atemwege, kann dadurch nicht verhindert werden. Die spezifische Immuntherapie stellt einen kurativen Therapieansatz dar. Dabei wird mittels subkutanen Spritzen, Tropfen oder auch Tabletten versucht, das Immunsystem dahingehend zu beeinflussen, dass keine überschießenden Reaktionen mehr stattfinden. Wie aber bereits erwähnt, liegt die durchschnittliche Erfolgsquote der spezifischen Immuntherapie lediglich bei 45 bis 60 Prozent. Eine dauerhafte Heilung ist nur in etwa 10 Prozent der Fälle zu erwarten.

Wovon hängt am Ende die Chance auf Heilung ab?

Ein Ansprechen auf die Therapie, ob jetzt nur Symptomlinderung oder gar Heilung, hängt im Wesentlichen von einer exakten Diagnosestellung und der Patientencompliance ab. Entscheidend ist sicherlich auch, ob der Patient auf Major- oder Minor­allergene sensibilisiert ist. Dies kann mittels der Komponenten basierten Diagnostik genauer festgestellt werden. Es gibt jedoch sicher auch noch eine Reihe von weiteren Faktoren, die wir derzeit aber noch nicht kennen.

Zur Person: Dr. Wolfgang Feuerstein betreibt in Dornbirn eine HNO-Praxis und ist Fachgruppenobmann der HNO-Ärzte in Vorarlberg
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