Alles einsteigen! Der Zug fährt ab! Nein, man befindet sich nicht auf einem Bahnsteig, sondern immer noch im Seestudio des Bregenzer Festspielhauses. Und wenn akustisch die Vermutung nahe läge, dass hier demnächst ein voll beladener Güterzug über die Bühne rumpelt, dann ist das nichts anderes als der KAZ-Konzertauftakt und der bringt mit The Wayward gleich auch eine österreichische Erstaufführung.
Ganz genau auf Schiene
Nichts Geringeres hätte man sich von der zeitgenössischen Programmlinie der Festspiele auch erwartet. Güterzug und rumpeln dem liegt jede despektierliche Absicht fern. Denn mit dem US-amerikanischen Komponisten Harry Partch (19011974), dem belgischen Ictus-Ensemble und dem ebenfalls aus Belgien stammenden Komponisten Tim Marien (geb. 1975) ist man ganz genau auf Schiene. Warum? Nun, einerseits, weil Harry Partch die kreativste Phase seines Lebens als Landstreicher, versteckt in den Güterwaggons der amerikanischen Eisenbahnlinien, verbrachte. Andererseits auch, weil man genau dieser Rastlosigkeit und für nichts anderes steht die Eisenbahn hier ja stellvertretend in der Musik Partchs Ton für Ton lauschen kann. Die Klangwelt eines Landstreichers reflektiert dann auch Partchs vierteiliges Werk The Wayward, das in Bregenz mit Tim Mariens Toeenwas in zwei Hälften geteilt wurde.
Bedeutend mehr Tasten
Zunächst aber zum Prinzipiellen. Dass Harry Partch einen eher ungewöhnlichen Lebensstil pflegte, wurde bereits erwähnt. Dass er sich dabei aber auf die Suche nach der ureigensten amerikanischen Musik machte, dass er zum Schluss kam, dass diese mit dem konventionellen Musikinstrumentarium nicht abgebildet werden kann und deshalb selbst zum Instrumentenbauer mutierte, hat doch noch vielerorts Neuigkeitswert. Es darf also nicht verwundern, wenn da auf der Bühne beispielsweise ein Klavier zu sehen ist, das auf bedeutend mehr als die üblichen 88 Tasten verweisen kann. Tim Marien nun spürte für The Wayward Partchs Spuren nach und passt sein Toeenwas klanglich und stilistisch perfekt in die Partchschen Tonräume ein.
Das dazu. Jetzt aber zur Musik. Die ahmt einmal das Holterdiepolter des Dampfrosses nach, zeichnet ein anderes Mal aus den Rufen der Zeitungsjungen ein Tongemälde oder zitiert aus den Briefen eines Landstreichers. Mit dem belgischen Ictus-Ensemble hat man zudem einen Glücksgriff gelandet. Geben sich Michael Schmid, Gerrit Nulens, Tom Pauwels, Daniel Ploeger und Jean-Luc Plouvier ja nicht damit zufrieden, dass sie sich in Partchs Notenwelt vertiefen, im Gegenteil, sie sind die Musik. Egal, ob mit Stimme, Flöte, Zither, Banjo, Posaune oder mikrotonaler Orgel.
Wie klingt das nun also anders, aber man hört sie, die rastlose Eisenbahn, die Weisheiten des Landstreichers, die Werberufe der Rad fahrenden Zeitungsjungen und das unkonventionelle Leben der Menschen am Rande der betuchten Gesellschaft.
Kräftiger Applaus
Man hört Amerika und wird das Gefühl nicht los, dass es Harry Partch irgendwo zwischen Zitaten aus traditionellen Volksliedern und dem Schnalzen der Posaune geschafft haben könnte, den USA ihre Musik auf den Leib zu schneidern. Und dafür spricht auch der kräftige Applaus, den sich alle abholen durften. Volle Kraft voraus heißt es jetzt also für den KAZ-Zug.
Nächste KAZ-Termine: 2. bis 9. August,Klavierperformance von Marino Formenti in der Bregenzer Galerie K12 (Kirchstraße 12); 5. und 6. August, “As if Stranger”, Werkstattbühne.
(VN)
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