Das kleine Haus am Fuße des Pfänderhanges wird von den Bewohnern des Weißenreuteweges liebevoll „Tor zum Land“ genannt. Wer durch die Bregenzer Belruptstraße spaziert, entlang des Anstiegs von der Innenstadt zum Pfänderhang, der sieht es unvermutet hangaufwärts an der steilen Straße stehen. Stolz, keck, ein Bild von einem Haus.
Das spitze Giebeldach, ohne Dachvorsprung, symmetrisch und die Fenster ganz in einer Folge „klein nach groß“. Vom winzigen Kellerfenster, das einen kleinen Bruder hat, zum Zimmerfenster darüber, bis hoch zu einem breiten Panoramaglas. Ein großes, ernstes Auge, das schaut und zugleich umfangreiche Aussicht bietet.
Diese Abfolge verrät schon etwas über das Innere. Nach einem für Umbauten soliden Prinzip wurde der historische Keller belassen, die alte, kleinteilige Zimmeranordnung im Erdgeschoß weitgehend unverändert für die Schlafräume genutzt und im Obergeschoß ein großer, offener Wohnbereich geschaffen. Das Dach musste ohnedies erneuert werden. So konnte der Wohnraum auch bis ins Dach hinauf geöffnet werden.
Doch bis es dazu kam, erlebten Baufrau und Architekt noch einige spannende Momente. Gleich vier Architekten hatten sich für das Grundstück interessiert. Einem gehörte es und drei andere bewarben sich darum. Nach etwa einem Jahr konnte Andreas Stickel es schließlich für die Bauherrin sichern. Nur er hatte auch Interesse am Bestand des Hauses. Gemeinsam mit den besten Fachleuten – Statiker, Bauphysiker und Trockenlegungsexperte – stand man in dem reichlich verlotterten Gemäuer und entschied sich nach den ersten Mauerproben und einigem Kopfwiegen für Kauf und Umbau.
Viele Male hatte der Architekt seine Bauherrn schon beruhigend über die bangen Momente getragen, wenn ein Haus nach dem planmäßigen Ausbau von abgenutzten Bauteilen und störenden Zwischenwänden als dürrer Rohbau, als Ruine dastand: Jetzt kamen auch ihm Bedenken, als die ersten Mauern vom Putz befreit wurden. Das Stadt-archiv hatte nur vermutet, dass das Haus zumindest 200 Jahre alt ist und einst wohl das Mesnerhaus für einen Vorgängerbau der Herz-Jesu-Kirche war. Ein Fachwerkhaus auf einem festen Keller, doch mit nur 15 cm dünnen Wänden, und der höchsten Wand zum See, die abgebrochen werden musste.
Um die neue Stirnwand und das Dach kümmerte sich die Zimmerei, um die schrägen Wände der Verputzer. Zwischen 10 und 30 cm schwankte die Dämmstärke bis alle Wände kerzengerade dastanden und mit einem traditionellen „Münchner Reibputz“ versehen wurden. Innen wurden ein dunkler Holzboden und Möbel mit Furnier vom selben Holz eingebaut. Bad und Flur wurden mit Jura-Marmor belegt. Fachgerechte Eigenleistung mit Augenmaß und ein geschickter Grundriss ermöglichten schließlich die Fertigstellung zu einem vernünftigen Preis.
Das Haus ist heute neu und hat doch sympathische Falten. Sein ungewöhnlicher Grundriss mit nur fünfeinhalb Metern Breite, der Reibputz, der geölte Fußboden und einige alte Möbel mit Charakter verleihen dem Haus viel Wohnlichkeit und Identität. Ein paar eigenwillige Kunstwerke passen ganz gut in das Ambiente. Hinter der Küche verbirgt sich noch ein kleiner Salon zum Fernsehen, Lesen oder auch nur zur Ruhe. Über der Küche ist ein Dachraum eingezogen, gibt ihr Schutz und ordnet den Luftraum. Eine alte, steile Treppe führt zu ihm hoch und endet überraschend auf einer Terrasse, die als Bonus entstand, als der Quergiebel gekappt wurde.
Spontan begeistert sind auch die Gäste, darunter nicht wenige Architekten, die das Haus besuchen. Anerkennendes Kopfnicken und entspannte Stimmung sind die Bestätigung dafür. Das besondere Panorama ist natürlich unschlagbar. Nicht nur der See, sondern auch der Blick auf die Dächer der Stadt verzaubert.
Jede Zeit hat ihre Standards und typischen Grundrisse. Bauherrschaft und Architekt haben instinktiv auf das Ungewöhnliche der Geschichte vertraut und ihm durch sensible Materialien und gefühlvolle Improvisation wieder einen festen Platz gegeben.
Gerade erst ist eine radikale Pergola mit luftig auskragenden Betonfingern fertig geworden. Dort sitzt man mit Blick auf das Haus, plaudert und trinkt Kaffee. Und schreibt darüber, wie freundlich etwas Eigensinn und ein paar gute Ideen einen Sonntagnachmittag doch machen können.
Daten & Fakten
Objekt: Umbau Wohnhaus Romanowski, Bregenz
Planung: Andreas Stickel, Bregenz
Statik: Mader & Flatz, Bregenz
Projektleitung: Jürgen Postai
Statik: M+G Ingenieure, Feldkirch
Bauweise: Bestehendes Fachwerkhaus mit Holzbalkendecken, Sanierung mit Wärmedämm-verbundsystem und Reibputz. Erneuerung Dach und Stirnwand mit vorgefertigten Holzelementen. Holzfenster mit 2-Scheiben-Verbundglas.
Objektdaten:
- Planungsbeginn 2004
- Bauzeit 2005-2006
- Grundstücksgröße 330 m²
- Wohnnutzfläche 130 m²
- Erdgeschoß 65 m²
- Energie 55 kWh/m²/a
Ausführung:
- Zimmerei: Artur Österle, Doren
- Verputz: Manfred Brunner, Höchst
- Fenster: Zech, Götzis
- Installationen: Fink, Schwarzach
- Elektrik: Denifl, Bregenz
- Tischler: Hugl, Feldkirch
- Dach: Schwendinger & Fink, Wolfurt
- Stein: Troy, Hörbranz
- Parkett: Fröwis, Bezau
Auszeichnung: Das beste Haus – Architekturpreis 2007
(Leben & Wohnen)
vai Vorarlberger Architektur Institut
Seit November 2011 zeichnet das vai für Projektauswahl und redaktionelle Gestaltung der Coverserie von „Leben&Wohnen” verantwortlich. Die wöchentlich erscheinenden Architekturgeschichten ergeben in Summe einen anschaulichen Querschnitt der aktuellen architektonischen Entwicklung in Vorarlberg.
Die Ausstellung „Hohe Auflage” inszeniert diese Medienkooperation und verknüpft die redaktionellen Beiträge zur Gesamtschau in den Räumlichkeiten des vai, Marktstraße 33, Dornbirn. Eröffnung: Dienstag, 17. Juli 2012, um 18.30 Uhr
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