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Verheerungen sind größer als im Jahre 1910

Das Unwetter beendete in Gargellen jäh die Sommersaison. Jetzt hoffen die Gargellner, dass es bis Dezember eine neue Straße gibt. Die Ersatzstraße soll bis 12. September stehen.

Die Alten erzählten ihm oft von dem verheerenden Hochwasser im Jahre 1910, bei dem alle Brücken im Montafon weggerissen wurden. „Damals wurden auch Häuser in Gargellen zerstört. Aber die Straße nach Galgenul, die wurde damals nicht weggerissen“, weiß Robert Salzgeber (67) aus Gargellen. Für den Pensionisten ist klar: „Die Verheerungen sind heute größer als im Jahre 1910.“

Der 100-Seelenort selbst wurde vom Hochwasser verschont. Die Gargellner hatten Riesenglück – weil Bagger vor Ort waren. Sie haben verhindert, dass der Alptobelbach verklaust. Sonst hätte er sich ein neues Bachbett gesucht und Häuser überflutet. So blieb es bei geringen Flurschäden aufgrund kleinerer Erdrutsche.

„Das große Problem ist die Straße“, bringt es Hotelier Roland Saur (Hotel Marmotta) auf den Punkt. Die Straße, die der Suggadinbach auf einer Länge von insgesamt vier Kilometern weggerissen hat.

Heute erfuhr der Hotelier, dass – wegen der immensen Schäden und der Enge des Tales – die Errichtung einer Ersatzstraße noch mindestens 17 Tage in Anspruch nimmt. Eine Hiobsbotschaft für alle Gargellner. Bis dahin ist Gargellen nur zu Fuß oder über die Luft erreichbar.

Die Luftbrücke nach Gargellen, die bis zur Fertigstellung der Ersatzstraße bestehen bleibt, funktioniert tadellos. Seit Mittwoch werden Lebensmittel, Medikamente und Benzin ins Bergdorf eingeflogen. Und Touristen ausgeflogen.

Rund 50 Gäste wurden schon mit Hubschraubern aus Gargellen weggebracht. 600 befinden sich noch im Ort. Die Masse der Touristen – rund 400 – werden bis Sonntag ausgeflogen, wie Gargellens Tourismusobmann Christian Thöny berichtet.

Es gibt aber auch Gäste, die darüberhinaus bleiben. Wie etwa die Lichtenbergs aus Hamburg. Peter und Elita Lichtenberg haben bis zum 3. September gebucht.

Das Ehepaar bricht seinen Urlaub im Hotel Marmotta nicht ab. „Jetzt müssen wir halt ein bisschen länger bleiben“, nimmt Peter Lichtenberg das Ganze mit Humor. Und: „Wir bleiben und machen jeden Tag eine Bergtour.“ Seine Kunden – Lichtenberg ist selbstständig – vertröstet er. „Ich rufe sie an und sage ihnen, dass ich später kommÑ. Sie werden das verstehen. Denn das ist höhere Gewalt.“

Horst Wagner (74), pensionierter Pfarrer aus Feuchtwangen, lässt sich hingegen morgen ausfliegen. „Ich habe daheim Verpflichtungen“, begründet er seinen Entschluss. Aber er will wieder ins „schöne Gargellen“ kommen. „Denn ich bin begeistert von der Landschaft hier.“ Einzig die Tatsache, dass er sein Auto zurücklassen muss, bereitet ihm Kopfzerbrechen. „Denn in ein paar Tagen muss ich nach Brüssel fahren.“

Urlauber werden nur ausgeflogen. Aber nicht eingefl ogen. „Folglich ist für uns die Sommersaison zu Ende“, stellt Tourismus-Chef Thöny nüchtern fest. In seiner Stimme schwingt großes Bedauern mit, was nicht weiter verwundert. Denn „der September ist ein klassischer Wandermonat und einer unserer besten Monate“. Rund 5000 Nächtigungen hätte Gargellen im September.

Doch diesen wirtschaftlichen Ausfall können die Gargellner noch verkraften. Was für den Wintersportort nicht verkraftbar ist, ist der Ausfall der Wintersaison. „Deshalb ist uns das Wichtigste, dass die Straße bis zum Winter fertiggestellt ist“, so Thöny zur NEUE. Fachleute hätten ihm versichert, dass das machbar sei.

Aber zunächst ist man schon froh, wenn die Ersatzstraße fertig ist, über welche die Einheimischen sich mit dem Nötigsten versorgen können. „Dann können auch unsere Gäste die Autos abholen kommen“, so Hotelier Saur. Und auch die Schüler können dann die Schule besuchen. Und die Pendler – es sind rund fünf – zur Arbeit fahren.

Jörg Salzgeber (30), der Sohn von Robert Salzgeber, ist einer von ihnen. Er pendelt jeden Tag zu seiner Arbeitsstelle nach Bings. Am Dienstag wurde ihm der Weg jäh abgeschnitten. Doch bereits am Mittwoch bahnte er sich einen Weg durch das verwüstete Tal. „Ich bin zu Fuß hinausmarschiert. Über Stock und Stein“, erzählt Salzgeber. Knapp eine Stunde war er unterwegs. Am Donnerstag saß er wieder wie gewohnt an seinem Arbeitsplatz.

Zur Zeit nächtigt er bei seiner Schwester in Feldkirch. Dass er noch mindestens 14 Tage auf die Behelfsstraße warten muss, behagt ihm gar nicht. „Das kann doch nicht so schwer sein, eine notdürftige Straße aufzuschütten“, murrt er. Die Nerven der Gargellner sind strapaziert. Auch wenn es die wenigsten zugeben.

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