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Vergessene Welt: Vienna.at bei Fotowalk in Wiener Unterwelten dabei

Fotograf Lukas Arnold führt Interessierte durch die Wiener Unterwelten.
Fotograf Lukas Arnold führt Interessierte durch die Wiener Unterwelten. ©Cornelia Grotte/Vienna.at
Fotograf Lukas Arnold von den Wiener Unterwelten hat es sich zum Ziel gemacht, den Untergrund und die Keller Wiens zu entdecken und zu zeigen. Vienna.at war bei einem Fotowalk in einem Keller in Wien-Alsergrund dabei.
"Fotowalk" zum Mitmachen in den Wiener Unterwelten
Fotowalk in den Wiener Unterwelten

Es ist dunkel und kalt. Von den Ziegelmauern des Kellers geht ein modriger Geruch aus. Unsere kleine Gruppe steht und wartet im Dunkeln. Leises Atmen ist zu hören. Dann macht unser Wiener Unterwelten-Leiter Lukas Arnold das Licht an. Es erleuchtet am anderen Ende eines langen, hohen Kellergewölbes eine einsame Holztruhe. Eine unheimlich schöne Szenerie für ein Foto.

Wiener Unterwelten: Die Erfoschung der Wiener Keller

Der ehemalige Luftschutz-Keller in Wien-Alsergrund, durch den uns Lukas Arnold führt, ist nur einer von vielen unterirdischen Kellersytemen in der Stadt Wien. Der Historiker Dr. Marcello La Speranza und Fotograf Lukas Arnold haben es sich zur Aufgabe gemacht, Keller dieser Art - im Besitz der Stadt oder im Privatbesitz - zu erkunden, zu dokumentieren und ihre Geheimnisse und Geschichten für die Nachwelt zu erhalten, denn die Wiener Unterwelt verschwindet Stück für Stück. Historische Keller weichen Parkgaragen und U-Bahn-Tunneln oder werden wegen der Statik der Gebäude zugeschüttet - und damit auch ein Stück Wiener Stadtgeschichte. Arnold und Speranza wollen daher so viel dokumentieren, wie möglich, und den Menschen ermöglichen, diese Orte der Geschichte zu erleben. Wir waren bei einem Fotowalk mit Lukas Arnold dabei.

Fotowalk mit Lukas Arnold: Vienna.at im Selbsttest mit dabei

Treffpunkt für das Event ist um 19 Uhr beim Würstelstand Lenek's in der Spitalgasse in Wien-Alsergrund. Ich warte und sehe mich nach Menschen mit einer Kamera um. Da sprechen mich zwei Herren an. Ob ich auch beim Fotowalk teilnehme? Meine Kamera hat mich verraten. Nachdem sich noch eine Dame und ihre Tochter zu uns gesellt haben, trifft auch Lukas Arnold ein.

Vor dem Arne-Karlsson-Park gibt uns Arnold einen kurzen historischen Überblick und allgemeine Infos über die Geschichte der Bunker und Kelleranlagen in Wien. Denkt man an die Wiener Unterwelt, würde man an drei Dinge denken, so Arnold: Die Katakomben unter dem Stephansdom, die Dritte-Mann-Tour durch den Wiener Kanal und die Flaktürme oder Bunkeranlagen. Wir würden aber einen anderen Teil der Wiener Unterwelt erforschen, so unser Tourguide. Er weißt auf ein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In dessen Keller würden wir uns also aufmachen. Ein Hauskeller hört sich für mich wenig spannend an - meine Befürchtungen einer langweiligen Tour, werden jedoch nicht bestätigt.

Der Schacht in den Keller führt mehrere Meter in die Tiefe. ©Cornelia Grotte

Hinunter in einen ehemaligen Wiener Luftschutz-Keller

Bevor Arnold die Türe in den Hof öffnet, zeigt er noch auf das Dach eines Hauses. Dort ist eine Luftalarm-Sirene zu erkennen. Diese stamme, so Arnold, noch aus dem zweiten Weltkrieg und sei nicht mehr in Betrieb. Dann geht es aber los: Arnold öffnet das Tor in den Hof des Altbaus. Im Hof bleibt er kurz mit unserer fünfköpfigen Gruppe stehen und leuchtet mit seiner Taschenlampe in einen etwa drei Meter tiefen Kellerschacht. Normalerweiße hat Arnold Gruppen von bis zu zehn Leuten. Der Schacht würde nach den drei Metern noch weiter schräg in die Tiefe abfallen. Oft könne man die Tiefe nicht richtige einschätzen, um uns ein Gefühl dafür zu geben, zeigt er uns den Schacht.

Fluoreszierende Schilder sind Überbleibsel an den Wänden des ehemaligen Luftschutz-Kellers in Wien-Alsergrund. ©Cornelia Grotte

Spinnen, leuchtende Schilder und große Gewölbe im Wiener Untergrund

Dann führt uns Arnold zu einer Tür, hinter der eine Wendeltreppe liegt. Diese steigen wir hinab und landen in einem verputzten, weiß-ausgestrichenen, gut ausgleuchteten Kellergang. Das sei nicht der Keller, den wir heute erkunden, erklärt Arnold. Er öffnet eine Türe rechts neben der Wendeltreppe. Ein modriger Kellergeruch schlägt uns entgegen. Eine Wendeltreppe umgeben von reinem Ziegelgemäuer führt in die Dunkelheit. "Hier beginnt für mich die Wiener Unterwelt", denke ich.

An der linken Wand am Ende der Treppe finden wir ein fluoreszierendes Schild mit der Aufschrift "Zur Verbindungsöffnung". Hier hält die Gruppe für ihre ersten Fotos. Links neben der Treppe ist eine kleine Ausbuchtung, gegenüber davon hängt ein Bild. Arnold hat auf den feuchten Ziegelmauern der Kellergänge verschiedene Bilder anderer Kellertouren aufgehängt. Eine große Spinne über dem Bild ist Opfer von Schimmel oder Salzen geworden. Sie wird nun zu einem beliebten Fotomotiv.

Die tote Spinne als beliebtes Fotomotiv. ©Cornelia Grotte

Fotos und historische Anekdoten

Lukas Arnold bezeichnet sich als Fotograf, trotzdem kommt der historische Teil des Fotowalks nicht zu kurz. Immer erzählt er zu den Wiener Kellern im Allgemeinen und zu diesem, im zweiten Weltkrieg zum Luftschutzkeller umgebauten Gewölbe im Besonderen. Die Geschichte der Wiener Unterwelt gehe 2.000 Jahre zurück, so Arnold.

Hinterlassenschaften vergangener Zeiten. ©Cornelia Grotte

Wir folgen einem Kellergang nach rechts, wo drei teilweise eingefallene, abgetrennte Bereiche sind. Darüber ein Schild "Notabort für Frauen". Lukas Arnold wachelt mit seiner Taschenlampe vor dem fluoreszierendem Schild, um es für unsere Fotos zum Leuchten zu bringen. Dann sollen alle ihre Kameras fokusieren. Ein Piepsen und Klicken: Die ersten Fotos sind gemacht. Bei einer jungen Frau hat das Fotografieren nicht funktioniert, Arnold hilft ihr bei den Kameraeinstellungen. Dann geht es weiter nach Links, tiefer hinein in den Keller.

Lukas Arnold hat das Kellergewölbe für die Fotografen schön ausgeleuchtet. ©Cornelia Grotte

Ein Licht im Dunkeln

Arnold macht seine Taschenlampe aus, kurz warten wir im Dunkeln, dann geht am Ende des nun sichtbar werdenden großen Kellergewölbes ein Licht an. Eine einzelne Holztruhe ist an dessen Ende zu sehen. Wieder ist Zeit für Fotos. Dabei kommen auch manche Handys zu Einsatz, mit denen auch erstaunlich gute Bilder gelingen. In den Nischen des Kellergewölbes haben Arnold und sein Kollege mehrere alte Fundstücke aus dem Keller zusammengetragen und zur Schau gestellt.

Wie ein Höhlenforscher den Wiener Keller erkunden

Unser Fotoguide zeigt dann auf eine Öffnung an der Decke des zirka drei Meter hohen Kellergewölbes, dort sei der Schacht, durch den wir im Hof vorher hineingesehen hätten. Dann geht es weiter hinunter in eine Art "drittes Kellergeschoss" über eine kleine Treppe. Dort hätten Arnold und sein Kollege die meisten Gegenstände gefunden. Unser Guide zeigt uns ein teilweise verschüttetes Kellergewölbe. Er hat die Vermutung, dass der Keller sogar noch tiefer gewesen sein könnte. Für uns geht es jedoch nicht mehr weiter an dieser Stelle. Der Boden hier ist sandig und schlammig zugleich. Die Ziegelwände sind feucht und teilweise von einer weißen, salzartigen Schicht bedeckt. Man fühlt sich ein wenig wie ein Höhlenforscher, wenn man Arnold und dem Licht der Taschenlampe durch die Gänge des Kellergewölbes folgt. Viele Keller in Wien, so Arnold, hätten zwei oder drei Stockwerke. Einige davon seien jedoch schon verschüttet.

Fundstücke ©Cornelia Grotte

Das Zeitgefühl verlieren

In den Kellern könne man das Zeitgefühl verlieren, so Arnold. Jedoch würde man das Rattern der Straßenbahn darüber oft gut hören oder auch einzelne Stimmen von der Straße oder aus dem Hof. Das sei besonders gespenstisch, so Arnold, wenn er alleine im Keller arbeite. Ich denke kurz an die Menschen, die sich in diesem Keller vor den Luftangriffen versteckt hatten. Es muss sehr laut, kalt und nass gewesen sein. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Ein Keller unter dem Keller. ©Cornelia Grotte

Wiener Unterwelten verschwinden nach und nach

Lukas Arnold ist aus Neugier Wiener Unterwelten-Forscher geworden. Er hat sich schon als Kind für Geschichte interessiert. Als ihm sein Vater die Geschichte hinter den Flaktürmen im Wiener Augarten nicht erzählen konnte, begann Arnold zu recherchieren und kam so in Kontakt mit Marcello La Sparanza. Seit rund sieben Jahren erforschen sie nun gemeinsam die Wiener Unterwelten. Es sei schade, dass gerade viele der alten Luftschutz-Keller als Nazi-Bauten abgetan werden, denn auch diese seien Teil unserer Geschichte, so Arnold. Und dieser Teil der Geschichte verschwindet zusehens. Er weicht Tiefparkgaragen für Autos, U-Bahn-Tunneln oder wird verschüttet, da Hauseigentümer zum Beispiel beim Ausbau des Daches um die Statik fürchten. Stück für Stück geht damit die Wiener Unterwelt verloren. Man fühlt sich bei diesem Gedanken priviligiert, dieses Stück Wiener Geschichte noch mit eigenen Augen gesehen zu haben.

Metertief unter der Erde. ©Cornelia Grotte

Nach zwei Stunden geht es wieder die Wendeltreppe - mit sandigen Schuhen und modrigem Kellergeruch in den Kleidern - hinauf in die "Oberwelt". Erst beim Verlassen des Kellers, bemerkt man, dass es bereits dunkel geworden ist. Ein wenig fühle ich mich wie eine Höhlenforscherin. Es fehlen nur der Helm und die Stirnlampe.

Weitere Termine für den Wiener Fotowalk

Für alle, die beim nächsten Fotowalk dabei sein wollen: Am 22. Mai 2023 finden zwei weitere Fotowalks statt: Einer beginnt um 17 Uhr. Der zweite startet um 19 Uhr. Weitere Infos unter: Wiener Unterwelten. Anmeldungen erfolgen unter: fwu@forscherteam-wiener-unterwelten.at. Der Fotowalk beträgt 50 Euro pro Person.

Fotos: Vienna.at/Cornelia Grotte

(cor)

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