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„Unsere Gesellschaft ist krank!“

Wann&Wo bat Elmar Stüttler zum ausführlichen Interview.
Wann&Wo bat Elmar Stüttler zum ausführlichen Interview. ©Sams
Seit 13 Jahren setzt sich Elmar Stüttler mit seinem Verein „Tischlein Deck Dich“ gegen Armut und Verschwendung im Ländle ein. Im Gespräch mit WANN & WO verrät der 66-Jährige, was ihn ärgert und freut und was er sich für 2019 wünscht.

Von Harald Küng / Wann & Wo

WANN & WO: Herr Stüttler: Heiligabend steht vor der Tür. Wie verbringen Sie das Weihnachtsfest?

Elmar Stüttler: Am 24. Dezember gibt es noch Verteilungen in Bludenz. Wir sind etwas früher unterwegs als sonst, damit die Ehrenamtlichen nicht so lange eingespannt sind. Es wird aber sicherlich 18 Uhr, bis wir wieder zuhause sind. Das ist aber jedes Jahr so.

WANN & WO: Die Adventzeit soll ja auch die Zeit der Besinnlichkeit sein. Spüren Sie davon etwas?

Elmar Stüttler: Nein. Aber das war in den vergangenen 13 Jahren, seit es den Verein gibt, nicht anders. Irgendwann gibt es vielleicht wieder mal ein Jahr, in dem ich ein bisschen zurückschalten kann. Doch im Advent geht es eigentlich immer rund. An den Wochenenden finde ich aber manchmal Zeit, um etwas zur Ruhe zu kommen.

WANN & WO: Wie nehmen Sie die Menschen in der Adventzeit wahr?

Elmar Stüttler: Für den Verein ist die Adventzeit sehr wichtig. Die Leute sind da eher spendabel, zwei Drittel aller Spenden bekommen wir um Weihnachten. Aber aus persönlicher Sicht ist das heute alles viel zu hektisch. Die Leute sind voll im Kaufrausch, das ist nicht meine Welt. Es wäre schön, wenn die Menschen wieder etwas umdenken würden, ein Schritt zurück wäre schön. Ob das aber überhaupt noch möglich ist, ist eine andere Frage. Es muss immer mehr und noch mehr sein – so kann es nicht weitergehen. Unsere Gesellschaft ist da einfach krank.

WANN & WO: Gibt es Dinge, die sie besonders ärgern?

Elmar Stüttler: Es ist ein Wahnsinn, was wir täglich bekommen: Sind zehn Prozent der Trauben nicht mehr schön, werden sie weggeworfen. Ist die Banane zu gelb, wird sie nicht mehr angenommen und weggeworfen. Wir hatten einmal 14 Paletten Salat. Dem fehlte gar nichts, aber er wurde ein Grad zu warm angeliefert. Dann hält er laut Lieferant nicht mehr ganz so lange und wird abgelehnt und entsorgt. Das ist beinhart. Und dazu kommt: Alles ist in Plastik eingepackt! Ginge es nach mir, würde ich als erstes alle Plastikflaschen verbannen und auf Glas umsteigen. Das ist ja auch viel gesünder. Wir brauchen Plastikverpackungen nicht, das ist nur unsere eigene Bequemlichkeit.

WANN & WO: Ein Fünftel der Vorarlberger sei armutsgefährdet, hieß es kürzlich in den Medien. Wie schätzen Sie die Situation aus ihrer täglichen Erfahrung ein?

Elmar Stüttler: Es kommt immer auf die Ausgangslage drauf an. Auf den Vorarlberger Lebensstandard bezogen, sind sicher zahlreiche Menschen im Hintertreffen. Verglichen mit anderen Ländern, jammern wir aber auf sehr hohem Niveau, das muss ich schon ganz klar sagen.

WANN & WO: Sie waren einst selbst in einer schwierigen Lebensphase, aus der schließlich „Tischlein Deck Dich“ hervorging.

Elmar Stüttler: Das ist richtig. Ich war als selbstständiger Tischler tätig und ich gebe unverhohlen zu, dass mir Geld sehr wichtig war. Urlaub, ein neuer Mercedes … und Hauptsache Geld. Ich wurde eines Tages allerdings sehr krank und depressiv. Dann kam das Umdenken. Ich dachte mir: Wir leben in Vorarlberg ja eigentlich im Paradies, haben alles, leben in Frieden. Und sind dennoch nicht zufrieden. Über meinen Glauben bin ich schließlich auf einen anderen Weg gekommen. Ich habe 1996 begonnen, Theologie zu studieren und wurde 2000 schließlich zum Diakon geweiht. Gesundheitlich habe ich mich völlig erholt, auch die Depressionen gingen vorbei. Da war für mich der Zeitpunkt gekommen, etwas zurückgeben. Ich gründete dann „Tischlein Deck Dich“ – der Rest ist Geschichte.

WANN & WO: „Glaube versetzt Berge“ trifft in Ihrem Fall also vollkommen zu?

Elmar Stüttler: Durchaus. Für mich ist vor allem das Gebet sehr wichtig. Das kann man nun belächeln, wenn man möchte, aber Beten ist für mich ein elementarer Bestandteil meines Lebens. Ich bete täglich eine Stunde und nehme auch Wünsche für den Verein in meine Gebete hinein. Einmal fehlte uns beispielsweise Schokolade, da baten mich meine Mitarbeiter, dafür zu beten. Nach kurzer Zeit kamen 85 Paletten Schokolade aus München. Das war richtig toll. Ich habe überhaupt schon so viele tolle Dinge erlebt, dass ich mir denke: Das ist nicht normal. Ich sehe mich selbst als Werkzeug, das arbeitet. Die Verantwortung überlasse ich dem Herrgott, er spielt in meinem Leben keine Rolle – er ist der Regisseur.

WANN & WO: „Tischlein Deck Dich“ bestimmt ihr ganzes Leben?

Elmar Stüttler: Absolut. Meine Frau und ich arbeiten wöchentlich mindestens 50, 60 Stunden, 52 Wochen im Jahr und das seit vielen Jahren. Von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends. „Tischlein Deck dich“ ist unser absoluter Lebensinhalt. Ich bin auch sehr froh, dass meine Frau hier arbeitet, ansonsten würden wir uns nur sehr selten sehen. Auch freue ich mich, wieder einmal ein paar Tage Urlaub mit ihr zu verbringen.

WANN & WO: „Tischlein Deck Dich“ engagiert sich auch für Flüchtlinge. Wie nehmen Sie das Asylthema in Vorarlberg wahr?

Elmar Stüttler: Ich finde es furchtbar schade, dass junge, talentierte Leute nicht bei uns bleiben dürfen, sondern abgeschoben werden. Viele Asylwerber helfen bei uns mit, dafür dürfen sie dann auch Dinge mitnehmen, die sie im Alltag brauchen können. Und wir sehen, dass ganz viele Menschen dabei sind, die sehr intelligent und sehr interessiert sind. Natürlich gibt es auch welche, die nichts tun wollen, keine Lust auf Arbeit haben und lieber spazieren gehen. Aber man muss differenzieren und mehr auf jene hören, die unmittelbar mit diesen Menschen zu tun haben. Nicht einfach irgendwas in Wien entscheiden und danach Richtlinien handeln. Denn von denjenigen, die sich einbringen und engagieren, profitieren wir als Gesellschaft.

WANN & WO: Sehen Sie sich selbst als Gutmensch?

Elmar Stüttler: Nein, mit dem Begriff kann ich nichts anfangen. Ich mache alles aus voller Überzeugung und bin sicher: Würde sich jeder ein bisschen für andere engagieren, würde es der Gesellschaft insgesamt besser gehen. Uns geht es zu gut und um das zu kompensieren bin ich der Meinung, dass sich ruhig jeder ein bisschen für das Gemeinwohl einbringen dürfte. In Vorarlberg funktioniert das aber ohnehin wunderbar, es gibt hier so viele Menschen, die ehrenamlich tätig sind. Das hat meiner Ansicht nach aber nichts mit Gutmenschentum zu tun. Ich sehe es so: Ich habe die Gabe zu helfen bekommen und möchte das solange tun, wie es meine Gesundheit zulässt und ich Freude daran finde. Das ist für mich gelebter Glaube. Nur auf der Kanzel oben zu stehen und zu predigen, zeigt nur wenig Wirkung. Man muss auch gar nicht stundenlang aktiv sein, mit Spenden ist vielfach schon geholfen.

WANN & WO: Abschließend ein Ausblick auf das neue Jahr: Welche Hoffnungen und Wünsche haben Sie für 2019?

Elmar Stüttler: Ich hoffe, dass uns die Ehrenamtlichen weiterhin treu bleiben, denn ohne sie würde das alles nicht funktionieren. Auch die finanzielle Unterstützung der Menschen wird im kommenden Jahr weiterhin wichtig sein für uns. Ich möchte diese Gelegenheit auch nutzen und mich bei allen herzlich bedanken, die uns über die Jahre unterstützt haben! Zudem wünsche ich mir, dass wir endlich anfangen, umzudenken, dass uns endlich bewusst wird, wie wichtig und kostbar Lebensmittel sind. Wir müssen aufhören, den Einkaufswagen bis zum Rand mit Lebensmitteln zu füllen, die dann schließlich im Kühlschrank kaputt gehen. Das wäre mein großer Wunsch an die Welt: Nur noch das einzukaufen, was man wirklich braucht. Und natürlich hoffe ich, dass es uns gesundheitlich weiterhin gut geht. Ansonsten sind wir sehr zufrieden und glücklich.

WORDRAP
Zur Person Name: Elmar Stüttler, 66 Jahre, Vandans Beruf/Funktion: Obmann und Gründer des Vereins „Tischlein Deck Dich“, Diakon in der Gemeinde St. Anton, Toni-Russ-Preisträger im Jahr 2011 Hobbys: Musik und Tanz

 

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