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Trinken statt anpacken

©APA/GEORG HOCHMUTH (Symbolbild/gestellte Szene)
Gastkommentar von Johannes Huber. Karl Nehammer fehlt Entscheidendes, um gerade jetzt ein guter Politiker sein zu können.

Zum Politikersein gehört es, zu wissen, was man möchte und so reden zu können, dass Mehrheiten dafür mobilisiert werden. Bei Karl Nehammer sind diese Begabungen nur bedingt vorhanden. Umso verhängnisvoller, dass Österreich mit großen Krisen konfrontiert und er Bundeskanzler ist.

Das mit dem Reden klappt in seinem Fall gar nicht: Wie überfällig wäre es, dass er einmal Sinn und Zweck der Sanktionen gegen Russland so schlüssig erklärt, dass zum Beispiel auch sein Parteikollege, Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer, davon überzeugt ist? Dieser hatte erst unlängst kritisiert, dass sie nicht zu Ende gedacht seien. Das ist Wasser auf die Mühlen all jener, die meinen, sie gehörten beseitigt und die Ukrainer überhaupt ihrem Schicksal überlassen. Ja, genau: Der freiheitliche Bundespräsidenten-Kandidat Walter Rosenkranz darf sich über diese Wahlhilfe freuen.

Zur Teuerung meinte Nehammer auf dem Landesparteitag der Tiroler ÖVP, wenn es nicht gelinge, dagegen vorzugehen, bleibe nur noch die Entscheidung zwischen Alkohol oder Psychopharmaka. Was für eine Formulierung! Gefragt wären Entschlossenheit und Zuversicht, dass man die Herausforderungen gemeinsam bewältigen wird; dabei möglich wäre es, darauf hinzuweisen, dass es hart werden könnte. Aber nicht dieser deprimierende Ausblick, der dazu angetan ist, Resignation auszulösen bzw. nicht erst anzupacken, sondern sich gleich zu betrinken.

Das ist kein Krisenkanzler. Aber das hat seine Parteikollegin, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, ohnehin schon gesagt. „Es braucht eine klare Führung in der Regierung“, diktierte sie der „Kronen Zeitung“. Soll heißen: Derzeit gibt es keine, Nehammer lässt aus.

Mikl-Leitner weiß hoffentlich auch, was das bedeutet: Sie ist die – mit Abstand – mächtigste ÖVP-Politikerin, sie ist mitverantwortlich dafür, dass Nehammer Sebastian Kurz bzw. Alexander Schallenberg nachgefolgt ist, sie muss sich um eine Lösung kümmern. Es darf nicht sein, dass sie sich nur auf die niederösterreichische Landtagswahl konzentriert und Österreich Österreich sein lässt, als habe sie nichts damit zu tun.

Gefordert wäre im Übrigen auch ein ganz anderer, nämlich Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Weniger, weil unter den gegebenen Umständen sein Gegenkandidat um das höchste Amt im Staat, Walter Rosenkranz, auf weit mehr als 20 Prozent Zuspruch hoffen darf beim Urnengang Anfang Oktober. Es geht darum, dass bei Leuten wie Nehammer der Glaube an die Zukunft verloren gehen könnte. Zumindest Van der Bellen sollte viel mehr über die Bedeutung des russischen Angriffskrieges und der Sanktionen reden sowie deutlich machen, dass eine solidarische Gesellschaft auch mit der Teuerung fertig werden kann. Das wäre die Stärkung, die viele Menschen so dringend brauchen wie einen Bissen Brot.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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